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Hätte ich das nur vorher gewusst

Antriebsseminare: Praxiswissen senkt die Kosten – je nach Anlage um bis zu 70 %
Hätte ich das nur vorher gewusst

Wer die Vorteile moderner Antriebe nicht kennt, übersieht vielleicht die eleganteste Lösung. Das Basiswissen für solche Konstruktionen vermitteln Antriebshersteller in zumeist kostenlosen Seminaren. Diese gehen heute weit über Produktpräsentationen hinaus und sollen die Teilnehmer inspirieren.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Der Messebesuch ist für den Konstrukteur aus Kostengründen seit drei Jahren gestrichen, der Nachbarschreibtisch nur in Teilzeit besetzt, und an Arbeit mangelt es in der Abteilung wirklich nicht. Kein Wunder, dass der Chef die Brauen hebt, wenn sich sein Antriebsspezialist ins Seminar verabschieden möchte.
Ein zustimmendes Nicken könnte in dieser Situation aber von Vorteil sein: Denn was die Antriebshersteller an praktischen Erfahrungen sammeln, hilft einem Anwender bei seinem nächsten Projekt. Dieses Wissen vermitteln die Hersteller bei Praxistagen und liefern damit den Stoff für neue Ideen, wie sich die nächste Maschine um einiges günstiger bauen ließe.
Wie das funktionieren kann, erläutert Steffen Winkler vom Geschäftsbereich Electric Drives & Controls der Bosch Rexroth AG in Lohr am Main: „Wer sich mit der Sicherheitstechnik im Antrieb gut auskennt, kann die Kosten für externe Mess- und Überwachungseinrichtungen um bis zu 70 Prozent senken.“ Wenn wiederum ein System aus nur vier Antrieben projektiert werde, brauche eine Maschine heute keine komplette Steuerung mehr: Die Motion-Control-Funktion im Umrichter hat die Bewegungen im Griff und senkt die Gesamtkosten um rund 500 bis 2000 Euro.
Basis für solche Verbesserungen sind weiterentwickelte Produkte, die die Hersteller auf Messen präsentieren, ins Internet stellen oder im guten alten Katalog dokumentieren. „Aber seien wir ehrlich“, sagt Martin Lude, Marketing- Experte bei der Esslinger Festo AG. „Erstens hat kein Konstrukteur die Zeit, sich ausführlich mit Fachliteratur oder auch Produktbeschreibungen zu befassen. Und zweitens bringt ihm eine rein sachliche Beschreibung der Eigenschaften kaum die Inspiration, eine Aufgabe grundlegend anders zu lösen, als er das bisher getan hat.“
Wenn aber ein Referent vorrechne, dass sich die Taktzahl bei gleichbleibenden Komponentenkosten verdoppeln lässt, indem man das optimale Pneumatik-Ventil auswählt, andere Schläuche verwendet oder einen Stoßdämpfer einbaut, bleibe das im Gedächtnis haften. Sind dünne Schläuche ein Speed-Killer? Darf der Anwender Pneumatik-Schläuche an seiner Anlage sehen, oder soll man sie der Optik wegen verstecken, dafür aber lange Schläuche und Verluste bei der Taktzahl in Kauf nehmen? „Von Diskussionen in der Kaffeepause oder der gezielten Nachfrage beim Referenten profitieren alle Teilnehmer bei unserem Treffpunkt Automation“, erläutert Lude, der diese Treffs als „eine Art Lebens- und Arbeitshilfe“ für Praktiker sieht.
Die Wünsche der Chefs und der steigende Druck bei der Arbeit kommen bei der Seminarplanung aber auch nicht zu kurz. Die Termine werden in der Regel über die Bundesrepublik verteilt angeboten, so dass die Anreise möglichst kurz ausfällt. „Und wir komprimieren die Inhalte so, dass wir nie länger als einen halben oder maximal einen Tag brauchen“, sagt Lude.
Auch die Praxisnähe solcher Veranstaltungen soll sie vom Angebot kommerzieller Seminaranbieter unterscheiden. „Unsere Außendienstmitarbeiter sind täglich im Kontakt mit Kunden“, berichtet beispielsweise Bosch-Rexroth-Produktmanager Steffen Winkler. Wenn sich dabei gute Lösungswege abzeichneten, tauschten die Beratungsingenieure diese untereinander aus. Und ihr Wissen ist auch die Basis für die Seminare, selbst wenn dort niemals der Name des Kunden fiele oder Details aus seiner Maschine preisgegeben würden. Von rein produktbezogenen Veranstaltungen seien die Seminare daher weit entfernt. „Wenn wir nur Werbung machen würden, wäre das für die Teilnehmer ein verlorener Tag und damit das Todesurteil für weitere Seminare“, sagt Lude. Die rege Nachfrage beweise aber, dass das Konzept stimme. Als thematische Renner hätten sich Informationen über Steuerungstechnik herauskristallisiert, die mit dem Verbund von Pneumatik und Elektronik neue Möglichkeiten bietet. Auch Software für die Projektierung und einbaufertige Standard-Handlings rangierten hoch in der Gunst der Teilnehmer.
Natürlich ist es nicht die reine Nächstenliebe, die einen Hersteller dazu bringt, solche Veranstaltung zu organisieren. „Wir wollen unseren Kunden etwas Gutes tun und ihnen zum Erfolg verhelfen“, lautet das Credo der Esslinger zur Imagepflege. Manchmal bringe das zwar auch unerwünschte Ergebnisse, wie Lude einräumt, wenn beispielsweise ein Teilnehmer einen eleganten Lösungsweg kennenlernt und sich für dessen Umsetzung die Komponenten zum günstigsten Preis am Markt beschafft. Im Allgemeinen aber stünde das Interesse an Neuerungen bei Antrieben und in der Automatisierung im Vordergrund, und die Teilnehmer honorierten den Transfer des Wissens.
An diesem Interesse setzt auch Bosch Rexroth an und verzeichnet eine steigende Nachfrage für eine neue Kategorie von Veranstaltungen: Die Referenten der eintägigen Praxisseminare Elektrische Antriebstechnik verzichten darauf, bestimmte Produktgruppen aus dem eigenen Haus in den Vordergrund zu stellen. Sie vermitteln vielmehr herstellerübergreifende Informationen zu Motorentechnik, Umrichtern, Feldbussen oder Sicherheitstechnik – wobei man „allein über Sicherheit einen Tag diskutieren könnte und sogar ein Vortrag nach der Mittagspause lebhafte Reaktionen auslöst“, wie Winkler beobachtet hat.
Das Publikum setzt sich hier nicht mehr nur aus Kunden zusammen: Alle Interessenten sind willkommen. Dass auch Basiswissen nicht bei allen vorauszusetzen sei, zeigt sich bei den Gesprächen in kleiner Runde. „Viele alte Hasen haben sich daran gewöhnt, nach einem Schema zu projektieren und setzen zum Beispiel immer Normmotoren ein.“ Auf die Forderung nach mehr Flexibilität versuchten solche erfahrenen Konstrukteure zu reagieren, indem sie zusätzliche Bremsen, Geber und Umrichter einplanten oder eine andere Steuerung vorsähen. „Natürlich kommt man auch so ans Ziel“, räumt der Antriebsexperte ein. „Aber für gewisse Leistungsbereiche ist es wirtschaftlicher, die Flexibilität mit einem Schlag durch einen Servomotor zu erreichen.“ Für solche Fälle hätten die Experten von Bosch Rexroth jede Menge Tipps parat und könnten anhand von Tabellen sogar sagen, ab wieviel Kilowatt der eine oder der andere Motor die bessere Lösung ist.
„Losgelöst von allen anderen Komponenten“ dürfe man den Antrieb heute allerdings keinesfalls mehr betrachten, betont Michael Kropp, Leiter Produkttraining bei der SEW-Eurodrive GmbH & Co. KG. Daher haben auch die Bruchsaler neue Konzepte für die Weiterbildung entwickelt, die unter dem Dach der im Jahr 2004 gegründeten Drive Academy gebündelt sind. Dort werden SEW-Mitarbeiter, aber auch Spezialisten für die Projektierung, Inbetriebnahme, Instandhaltung und den Service aus Kundenunternehmen geschult. Produktbezogene Seminare sind dort nur ein Standbein. „Wir haben uns mit Partnern zusammengetan und bieten heute Seminare an, die vom Motor über den Umrichter bis zu Feldbus und Steuerung den gesamten Antriebsstrang abdecken“, erläutert Kropp. Auch die mechanische Seite soll in Zukunft integriert werden, „denn auch ein Zahnriemen bedingt Ansprüche an den Antrieb“. Am interessantesten seien solche umfassenden Angebote für große Unternehmen, die 30 oder 40 Mitarbeiter ausbilden wollen und für die die Seminare maßgeschneidert würden.
Aber auch in kleinen Betrieben gibt es laut Kropp ein Defizit an Antriebstechnik-Know-how, das seine Ursache in mangelnder Ausbildung habe und sich nur mit einem Fortbildungspaket ausgleichen lasse. „Bislang kam die Antriebstechnik an den meisten Hochschulen, aber auch in der Facharbeiterausbildung viel zu kurz“, sagt der Bruchsaler. „Dabei sollten sich doch die Mitarbeiter beispielsweise bei Direktantrieben auskennen, damit der Servicetechniker schnell handeln kann.“ Das hierfür erforderliche Wissen wollen die Referenten der Drive Academy ab Frühjahr 2006 an einer speziellen Modellanlage vermitteln. Sie wird sich auf Fortbildungen einstellen lassen, die speziell für Inbetriebnehmer, Instandhalter oder Projektierer ausgelegt sind. Diese polieren an 20 Seminartagen ihr Fachwissen auf und kommen nach einer Prüfung als zertifizierte Antriebstechniker in den Betrieb zurück. „Gerade hier legen wir Wert darauf, dass herstellerübergreifendes Wissen vermittelt wird“, sagt Kropp. Die Grundlagen der Positionierung oder Inbetriebnahme seien schließlich bei allen Produkten gleich.
Dass der Chef für eine so umfangreiche Schulung etwas tiefer in die Tasche greifen muss, räumt Kropp ein. Aber er sieht auch – je nach Anlage – ein Einsparpotenzial zwischen 10 und 30 % der Gesamtkosten, die allein Verbesserungen am Antriebsstrang bringen können. Und selbst wenn der Chef die Erfahrung gemacht hat, dass ein neuer Antrieb bei den Kosten gar nichts bringt, sollte er vielleicht noch mal nachfragen. Denn Kropp sagt: „Oft stellt sich heraus, dass man eine Menge hätte sparen können, hätte man nur den Antrieb richtig eingesetzt.“
Produktinfos lesen? Dafür hat ein Konstrukteur doch gar keine Zeit
Kleine Betriebe haben große Defizite in der Antriebstechnik

Beispiel 3: Verbesserte Fördertechnik

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  • Anwendung: Rollenbahn aus fünf Bändern, die jeweils von einem Getriebemotor angetrieben werden und 10 m lang sind
  • Standardlösung: Schaltschrankinstallation
  • Die Alternative: Dezentrale Antriebstechnik mit Frequenzumrichter am Getriebemotor
  • Vorteile der Alternative: Wie der Kostenvergleich zeigte, sinken bei der beschriebenen Anlage die Komponentenkosten um rund 30 % und die Installationskosten sogar um etwa 60 %. Die größten Einsparpotenziale liegen in den Lohnkosten und wirken sich auch bei Erweiterung und Umbau aus.

  • Beispiel 1: Verbesserte Handhabung

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    • Anwendung: Handhabungs- und Montageaufgabe in der Elektronikbranche
    • Standardlösung: Der Anwender konstruiert, beschafft und montiert das Pick&Place-Handling, mit dem Risiko von Schnittstellenproblemen, da Komponenten verschiedener Lieferanten eingebaut sind.
    • Die Alternative: Beim einbaufertig angelieferten Pick&Place garantiert der Hersteller alle geforderten technischen Kriterien.
    • Vorteile der Alternative: Gesamtkostenreduktion um bis zu 50%. Anwender konzentriert sich auf Kernkompetenz, entlastet die betriebliche Prozesskette und spart Zeit.

    • Beispiel 2: Verbesserte Schleifmaschine

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      • Anwendung: Schleifmaschine Helitronic Vision der Walter AG in Tübingen, für rotationssymmetrische Werkzeuge aus Hartmetall
      • Standardlösung: Herkömmliche Antriebslösungen mit Motor plus Mechanik
      • Die Antriebsalternative: Direktantriebe in allen fünf CNC-Achsen plus passende Steuerung (Voraussetzung: angepasste Gesamtkonstruktion mit Mineralgussbett und Portalbauweise)
      • Vorteile der Alternative: 50 % mehr Produktivität durch schnelles und präzises Verfahren, 25 bis 60 % verbesserte Genauigkeit, Standzeiterhöhung der Schleifscheibe um Faktor Zwei

      • Das spricht für die Seminare
        Eine Reihe von Gründen lassen den Besuch eines Antriebstechnik-Seminars sinnvoll erscheinen:
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