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Im CFK-Valley Stade stricken Spezialisten am Super-Leichtbau

Kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK): Unschlagbar leicht und stabil
Im CFK-Valley Stade stricken Spezialisten am Super-Leichtbau

Am Airbus-Standort Stade haben sich 50 Unternehmen und Institutionen im „CFK-Valley“ zusammengeschlossen. Sie entwickeln Methoden, um CFK-Strukturen in kleinen und mittleren Serien zu fertigen. Schon jetzt ist klar, dass der Maschinenbau stark profitieren wird.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin.de

Als der Airbus A380 am 27. April 2005 zum Jungfernflug abhob, ging ein „Ah“ und „Oh“ durch europäische Entwicklungsbüros. „Wir können den Amerikanern Paroli bieten“, jubelten Ingenieure aller Branchen. Der Start des Riesen-Fliegers ließ aber nicht nur Techniker-Seelen höher fliegen. Mit dem A380 gingen „Carbon“- oder Kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) in bisher nicht gekanntem Ausmaß in die Lüfte. Das Leichtbaumaterial nimmt 22 % am Strukturgewicht des A380 ein. Bei künftigen neuen Modellen von Airbus soll der Anteil noch höher liegen.
Das Material boomt, und das spiegelt auch die Entwicklung am Boden wider: Das Werk Stade, in dem die Airbus Deutschland GmbH den Großteil ihrer CFK-Strukturen produziert, hat seine Mitarbeiterzahl seit 2001 massiv erhöht. Die 2000 Beschäftigten werden in diesem Jahr rund 400 Seitenleitwerke aus CFK produzieren – so viel wie noch nie. Engpässe sind mit den bisher verfügbaren Produktionsmethoden vorprogrammiert. Zulieferer arbeiten daher mit Hochdruck an rationelleren Fertigungstechnologien für größere Serien.
Um die Aktivitäten voranzutreiben, entstand bei Airbus schon früh die Idee, ein CFK-Kompetenzzentrum vor den eigenen Toren zu schaffen. Im Sommer 2004 gründete der Flugzeugbauer mit sechs Partnern den CFK-Valley Stade e. V. Das Land Niedersachsen und die Stadt Stade investierten in den Bau eines Technologiezentrums. Heute, nur 20 Monate später, zählt das Netz bereits 50 Mitglieder. „Die Forscher im CFK-Valley setzen die Initialzündung für neue Verfahren und Maschinen in der Produktion“, erklärt Dr. Wilm Unckenbold von der Göttinger Sperlich Consulting GmbH, die im Auftrag des CFK-Valley die Geschäftsstelle leitet. „Den Nährstoff für ihre Arbeiten erhalten sie aus der industriellen Fertigung bei Airbus.“
Die Bedeutung des CFK-Valley reicht jedoch weit über den Flugzeugbau hinaus. Maschinenbauer, die CFK für schnelllaufende Bauteile verwenden wollen, finden hier kompetente Ansprechpartner. CFK bietet das höchste Leichtbaupotenzial aller Werkstoffe. Der Grund ist die hohe Steifigkeit der Kohlenstoff-Verstärkungsfaser mit Werten bis zu 935 GPa gegenüber 70 GPa bei Aluminium. Zudem beträgt die Dichte nur 60 % im Vergleich zur Dichte von Alu. Experten halten Gewichtseinsparungen von bis zu 40 % gegenüber Aluminium-Konstruktionen für möglich. In schnelllaufenden Druckwalzen gehört der Leichtbauwerkstoff CFK deswegen sogar schon zum Stand der Technik.
Die bislang größte Hürde für den industriellen CFK-Einsatz sind die begrenzten Stückzahlen. Doch auch dies soll sich ändern durch zunehmend automatisierte Prozesse, wie Professor Axel Herrmann erläutert, Vorstandsvorsitzender des CFK-Valley Stade e.V.: „Wir denken schon heute über CFK-Bauteile mit Stückzahlen von jährlich 50 000 und mehr nach. Wie Sie sehen, bewegen wir uns auf Losgrößen zu, die auch der Automobilbau für Nischenmodelle ins Auge fasst.“
Herrmann ist Geschäftsführer der Composite Technology Center (CTC) GmbH, die zu den Gründungsmitgliedern des CFK-Valley gehört. Die 2001 gegründete Airbus-Tochter ist Vorläufer des CFK-Valley und zugleich Kristallisationspunkt für neue Mitglieder. „Wir wollen innovative Fertigungstechnologien zur Prozessreife bringen und spürten, dass wir dafür die Vernetzung brauchen.“ Zurzeit beschäftigt Herrmann 14 Mitarbeiter, „die sich multiplizieren, weil wir mit anderen Firmen im Technologiezentrum in Projekten zusammenarbeiten“.
Selbst die Macher sind überrascht von der rasanten Entwicklung. „Unsere Vision füllt sich schneller mit Leben als wir gedacht haben“, sagt Geschäftsstellenleiter Unckenbold. Noch in diesem Jahr soll in Stade ein Studiengang für Faserverbund-Ingenieure starten. Parallel können die angehenden Bachelor den Facharbeiterbrief erwerben. Das Ausbildungszentrum befindet sich bereits im Bau.
Erst im Januar beschlossen fünf Firmen, im CFK-Valley Stade eigene Produktionskapazitäten anzusiedeln oder ihre bestehenden zu erweitern. Zu ihnen gehören die M.Torres Deutschland GmbH mit Hauptsitz in Pamplona/Spanien und die Saertex-Gruppe mit Hauptsitz in Saerbeck. M.Torres baut Tapeleger-Maschinen, die mit Harz vorimprägnierte Faserhalbzeuge (Prepregs) automatisch in Formenwerkzeuge einlegen, „als würde eine Wand maschinell tapeziert“, wie Unckenbold erklärt. Durch Weiterentwickeln dieser Technologie, unter anderem in Gemeinschaftsprojekten, trägt M.Torres zur Automatisierung der CFK-Fertigung bei.
Saertex produziert belastungsgerechte Faserhalbzeuge, die im Gegensatz zu Prepregs maßgeschneidert werden. Das Unternehmen liefert beispielsweise die Carbon-Struktur für die Druckkalotte des A380. Mit einem Durchmesser von 6 m schließt sie den Passagierraum des Airbus nach hinten ab. Um diese Carbon-Struktur passgenau zu fertigen, nutzt Saertex spezielle Textilmaschinen. Herrmann und Unckenbold sehen ein großes Automationspotenzial im Einsatz solcher Textiltechnologien anstelle von Prepregs. Zudem ermöglichen sie es, Fasern lastgerecht auszurichten und an heiklen Stellen durch Sticken oder Nähen zu verstärken. Unckenbold: „Mit der Textiltechnik können wir unsere Faserverbunde so elegant auslegen, wie es die Natur tut: Wo ein Ast aus einem Baumstamm herausragt, wachsen die Fasern um das Astloch herum und werden nicht zerschnitten.“
Warum das vernetzte Arbeiten der CFK-Firmen so wichtig ist, erklärt Unckenbold an einem Beispiel: „CFK ist kein Werkstoff sondern eine Werkstoff-Familie. Kommen Carbonfasern mit veränderten Parametern auf den Markt, müssen die Textilmaschinen an diese Randbedingungen angepasst werden.“ Der Erfolg hängt also immer davon ab, dass sich die Know-how-Träger untereinander abstimmen, hier Faserproduzenten und -verarbeiter einerseits und Maschinenbauer andererseits.
Ein Ziel des CFK-Valley ist, die gesamte Prozesskette abzudecken, vom Entwurf einer CFK-Struktur über die Herstellung und Bearbeitung bis hin zum Recycling. Neue Mitglieder werden nach strengen Kriterien ausgewählt. Innerhalb des Netzwerkes darf kein direkter Wettbewerb entstehen, und jedes Mitglied muss bereit sein, eigenes Know-how einzubringen. Dies geschieht in Arbeitsgruppen innerhalb der zwölf ausgewiesenen Kompetenzfelder und in internen Fachveranstaltungen. Über 30 Projektideen seien bereits skizziert und budgetiert, erste davon bewilligt worden, sagt Unckenbold. Langfristig, so hofft er, werden sich damit die Herstellkosten für CFK auf das Preisniveau von Aluminium-Strukturen drücken lassen.
Ab 2010 soll es ein weiteres Highlight im CFK-Valley geben: ein Recyclingzentrum für CFK-Werkstoffe aus ganz Europa. Ohne die zähe Pionierarbeit von Prof. Hans Ahlborn ließe es sich wohl kaum realisieren. Ahlborn ist Geschäftsführer der Hadeg Recycling GmbH. Obwohl es bisher kaum einen ernstzunehmenden Ansatz für CFK-Recycling gibt, bewies er, „dass es doch geht“. Nach seiner Emeritierung im Jahr 1994 besorgte sich Ahlborn sowohl Prepreg- als auch CFK-Abfälle von Airbus und verwertet sie seither auf vielerlei Weise: Prepreg-Abfälle verarbeitet Hadeg zu CFK-Platten und Sandwiches. Sind die Abfallstücke zu klein, wird aus ihnen durch Aushärten, Shreddern und Mahlen ein Füllstoff, der die Werkstoffeigenschaften von spritzgießfähigem Kunststoff verbessert. Dieser Verwendung führt Ahlborn auch die Fasern von CFK-Abfällen zu. Um sie zu gewinnen, hat der heute 76 Jahre alte Professor eine Niedertemperatur-Pyrolyse entwickelt, bei der nur der Kunststoff verbrennt, nicht aber das Carbon.
Unerwähnt bleiben darf nicht, dass das CFK-Valley Stade auch einem Wettbewerb ausgesetzt ist. Prof. Herrmann spricht allerdings von einem „Süd-Nord-Gefälle“. Faserverbundzentren gibt es in Aachen, Braunschweig, Dresden und Stuttgart. In Baden-Württemberg, so berichtet Prof. Klaus Drechsler vom Institut für Flugzeugbau (IFB) in Stuttgart, sei für die Zukunft ein Leichtbau-Kompetenzzentrum mit Fokus auf die Automobilakteure Audi, Daimler-Chrysler und Porsche geplant.

CFK-Werkstoffe: Das Zeitalter der Automation beginnt

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Das Projekt Pro-CFK liefert ein Beispiel dafür, wie die Faserverbundbranche den Wandel von der „Manufaktur“ zur industriellen Fertigung von CFK-Bauteilen schafft.
Am Projekt Pro-CFK sind neben der federführenden CTC GmbH sechs weitere Mitglieder des CFK-Valley Stade beteiligt. Projektziel ist es, bereits erarbeitete Einzeltechnologien zu einer effizienten Prozesskette zu integrieren. Pro-CFK ist in drei Unterprojekte mit mehreren Arbeitspaketen unterteilt.
Der Bereich „Bauteilaufbau“ konzentriert sich auf die Konzeption von Greifer- und Schneid-Einheiten, die Faserhalbzeuge automatisch handhaben können.
Im Bereich „Vakuumaufbau“ entwickeln und testen die Forscher ein automatisiertes Verfahren, um Formen zu befüllen und das harzinfiltrierte Fasermaterial auszuhärten. Vereinfacht funktioniert dieser Ablauf im Falle der „Nasstechnologie mit nachgelagerter Harzinfiltration“ so:
  • Auf dem Positionierträger des Formwerkzeuges wird eine Vakuumfolie aufgebracht und mittels Unterdruck leicht angezogen. Dieser Sog erleichtert das bisher rein manuelle Drapieren der Folie.
  • Nun erfolgt der automatische Aufbau der „Preform“ auf der Vakuumfolie: Roboter legen Faserhalbzeug, Verstärkungselemente und weitere Formmodule ein.
  • Der Positionierträger unterfährt die Gegenseite der Form und schließt die Hälften mechanisch. Nun wird die Form inklusive Preform um 180° gedreht.
  • Das Evakuieren der Form leitet die Phase der Harzinjektion ein. Anschließend erfolgt das Aushärten, Entformen und Reinigen des Bauteils.
Aus heutiger Sicht wird dieser automatisierte Ablauf die Prozesszeit um bis zu 70 % verkürzen. Ein weiterer Vorteil ist die höhere Reproduzierbarkeit und Genauigkeit: Die Lagetoleranzen liegen bei den bisherigen Tests weit unterhalb der für die Serienfertigung zulässigen Werte. os
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