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Immer mehr Logistik-Dienstleister mischen munter in der Fertigung mit

Durch Outsourcing können Unternehmen bis zu 20 Prozent ihrer Logistikkosten sparen
Immer mehr Logistik-Dienstleister mischen munter in der Fertigung mit

Ihre Aktienkurse sind stark gefallen, doch die Branche wächst weit besser als die übrige Wirtschaft: Logistik-Dienstleister, die umfassende Versorgungslösungen anbieten, können in den nächsten Jahren sogar mit zweistelligen Zuwachsraten rechnen. Zu ihren Aufgaben zählt immer häufiger auch die Übernahme von Produktionsprozessen.

Thomas Preuß ist Journalist in Stuttgart

Man hätte sein Geld auch verbrennen können. Im Winter vor drei Jahren zum Beispiel. Das wäre schneller gegangen und hätte minutenweise eine warme Wohnung gebracht. Statt dessen hat man es in Logistikaktien am Neuen Markt investiert. In Thiel zum Beispiel. D-Logistics. Oder Microlog. Die Branche boomte, von E-Commerce, Online-Bestellungen, mehr Transporten und einem steigenden Bedarf an logistischen Dienstleistungen war die Rede. Seriöse Gesprächspartner nannten Wachstumsraten von 20 %. Pro Jahr. Für mindestens ein Jahrzehnt.
Heute herrscht Ernüchterung. Die Aktien haben seit dem Sommer 2000 zwischen 90 und 99 % an Wert verloren. Schuld ist nicht die Baisse allein; die Erwartungen sind gesunken: Dr. Thomas Wimmer, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Logistik e. V. (BVL) in Bremen, rechnet nur noch mit rund 5 % Wachstum jährlich. Damit geht es der Branche gleichwohl besser als der übrigen Wirtschaft.
Vergleichsweise wenig verloren Anleger mit den Papieren der Branchenriesen. Die Deutsche Post AG, Bonn, hat seit dem Börsengang 2000 nur die Hälfte verloren. Die Stinnes AG wurde neulich von der Deutschen Bahn AG gekauft. Die will ihre Kunden aus einer Hand beliefern können: über Land-, Luft- und Seefracht. Die Stinnes-Aktie hat seit dem ersten Umtauschangebot 50 % zugelegt.
Die Post gehört wie etwa die Stinnes-Tochter Schenker Deutschland AG, Frankfurt/M., zu den Logistik-Dienstleistern, die mehr als reine Transportleistungen anbieten. Michael Harich, der bei Schenker Deutschland die Zentrale Logistics Sales leitet und in dieser Funktion zusätzliche Kundenkreise für die integrierte Logistik erschließen soll, sieht sein Unternehmen als Wertschöpfungspartner der Industrie. Die Dienstleister übernehmen Aufgaben, die nicht zur Kernkompetenz ihrer Kunden zählen. „Die Industrie neigt dazu, ihre Fertigungstiefe zu reduzieren, um ihre Kosten in den Griff zu bekommen“, weiß Harich. „Wer Logistik-Leistungen fremdvergibt, kann in diesem Bereich zwischen zehn und 20 Prozent der Kosten sparen.“
In der so genannten Kontraktlogistik geht das so weit, dass der Logistiker Aufgaben von der Beschaffung über die Produktion bis zur Distribution übernimmt. Dabei werden auch Vormontagen erledigt, etwa in der Automobilindustrie komplette Module – beispielsweise eine Stoßstange – gefertigt und für einen Zulieferer zur rechten Zeit in der richtigen Folge ans Band eines Autoherstellers geliefert. „Just in time hat sich durch just in sequence überlebt“, führt Michael Harich aus. „Wir realisieren heute komplexe Versorgungslösungen für Industriekunden und bieten ihnen eine sichere und effiziente Planungs- und Prozesssteuerung.“
Statt fürs Lager wird für den Auftrag produziert
Dazu gehört auch, die Warenströme über geeignete Informationstechnik zum Teil weltweit zu überblicken und zu steuern. „Wir müssen nicht nur die Bestände in einem Lager im Griff haben“, berichtet Harich, „sondern die Bestände, die sich auf den Verkehrsträgern befinden.“ Wer diese Bestände verringern kann, löst gebundenes Kapital auf, senkt seine Kosten und die des Auftraggebers. Viele Unternehmen hätten sich vorgenommen, „nur noch das zu bauen, was bereits ein Kunde bestellt hat“. Die frühere „Build-to-stock“-Philosophie – bauen und ins Lager legen – sei abgelöst durch „Build to order“. Dazu sei eine hohe Standardisierung der Produkte nötig und eine durchgestylte Fertigung, die sehr schnell angestoßen werden könne. Schließlich will der Verbraucher sein Produkt am liebsten sofort.
„Der Kunde erwartet hohe Flexibilität bei möglichst geringer Kapitalbindung, kurze Lagerzeiten und absolute Zuverlässigkeit bei höchsten Qualitätsansprüchen in ganz Europa“, fasst Dr. Peter Kruse zusammen. Kruse ist Mitglied des Konzernvorstands der Deutschen Post World Net in Bonn. Der Trend zum Outsourcing in der Industrie sei daher ungebrochen und verspreche auf lange Sicht gute Chancen für Logistik-Dienstleister, pflichtet BVL-Geschäftsführer Thomas Wimmer bei.
Eines der heißesten Themen ist die einstufige Lagerhaltung. Während früher zum Teil unzählige Lager – im Wareneingang, als Fertigungspuffer, im Versand, bei den Lieferanten – betrieben wurden, verfolgen Hersteller und Zulieferer heute das Ziel, im unmittelbaren Nahbereich beispielsweise eines Automobilproduzenten nur ein einziges Lager zu führen. Als Betreiber kann der Hersteller ebenso fungieren wie ein Dienstleister. Der Clou eines so genannten Konsignationslagers: Der Kunde bezahlt erst, wenn er die Ware entnimmt. Der Lieferant wiederum befüllt die Regale und trägt die Kosten, bis der Kunde die Teile abfordert. „Bei einem Zahlungsziel von 30 Tagen“, rechnet Wimmer vor, „ist das Produkt idealerweise längst verkauft, wenn die Komponenten bezahlt werden müssen.“ Für den Hersteller sinken die Kosten gegen Null, die Verfügbarkeit der Einzelteile geht gegen 100 %, und das Risiko trägt allein der Lieferant oder der Dienstleister. Der wird sich freilich bemühen, so wenig Bestand wie möglich, aber so viel wie nötig vorzuhalten. Durch Belieferung mehrerer Kunden von einem Lager aus und weil andere Tarifverträge als etwa in der Metallindustrie gelten, können die Dienstleister diese Aufgaben zu günstigen Preisen anbieten, so dass beide Partner profitieren.
100 % Verfügbarkeit und niedrige Kosten bei null Risiko
Schnelligkeit ist ein weiterer Punkt. Gabelstapler-Hersteller Jungheinrich AG, Hamburg, hat aus diesem Grund kürzlich ein neues Ersatzteil-Logistikcenter in Lahr bei Offenburg errichtet, das zweite nach Norderstedt. Betreiber ist die TNT Logistics Deutschland GmbH, Troisdorf. Die beiden Zentrallager sind mit dem vollem Ersatzteilsortiment bestückt, rund 40 000 Teile – statt mehrerer regionaler Lager mit weniger Teilen. Jungheinrich gewährleistet damit die Direktversorgung seines Kundendienstes in viele Länder Europas noch während der Nacht. Jungheinrich-Techniker in Deutschland, Dänemark, Frankreich und Benelux, Italien, Österreich und der Schweiz haben die am Vortag angeforderten Ersatzteile zum Arbeitsbeginn am nächsten Tag in ihren Servicefahrzeugen. Das reduziert die Ausfallzeiten der Stapler bei den Kunden und ist ein gutes After-Sales-Argument.
Der zentrale Jungheinrich-Kundendienst zeichnet in beiden Lagern für Disposition, Beschaffung, Einkauf und EDV-Steuerung verantwortlich. Die Aufträge werden vollständig über ERP-System von SAP abgewickelt. Dieses überträgt Aufträge und Lieferscheine für das Lager Lahr unmittelbar in das TNT-eigene Lagerverwaltungssystem. TNT Logistics kommissioniert die Ersatzteile, verpackt sie und macht sie fertig für den Versand. Eine Unternehmenstochter führt den Transport über Nacht durch. Leistungsziel des Dienstleisters ist es, die Ware zu 99,8 % pünktlich für den Versand bereitzustellen.
Dazu muss freilich der Kunde, in diesem Falle Jungheinrich, die benötigten Daten rechtzeitig an den Dienstleister liefern. Für Schenker-Manager Michael Harich zeigt sich auch in der Verknüpfung der Informationstechnik (IT) und der Verarbeitung im System des jeweiligen Logistikers dessen Kompetenz. Thomas Wimmer von der Bundesvereinigung Logistik glaubt, dass die IT der Branche einen „gewaltigen Schub“ verleihen werde: „Zukünftig wird es noch leichter, von irgendwo auf der Welt Komponenten zu beschaffen“, erklärt Wimmer. „Die Entscheidung zwischen make or buy wird folglich häufiger für ‚buy’ fallen.“ Das könne so weit gehen wie bei IBM, die in drei Fabriken auf der Welt ihre Produkte herstellen lassen – von unterschiedlichen Unternehmen. IBM trägt nur noch die Verantwortung für Design und Vermarktung. Dass das Beispiel Schule macht, schließt Wimmer nicht aus. Aber: „In einigen Branchen wird es immer Know-how geben, das man nicht aus den Händen geben will.“ Als Beispiele führt der Experte die Fertigung spezieller Computer-Chips oder komplexer Hydraulikaggregate an.
Gleichwohl dürften auch solche Hersteller geneigt sein, ihre Fertigungstiefe zu senken. So hat die Hamburger Paul-Günther Kontraktlogistik GmbH, ein Unternehmen der Bremer BLG Logistics Group, kürzlich die komplette Werkslogistik der FER Fahrzeugelektrik GmbH in Eisenach akquiriert. FER stellt Elektrik für alle gängigen Fahrzeuge her. Zu den abgegebenen Logistikdienstleistungen gehören Wareneingang, Produktionsversorgung, innerbetriebliche Transporte, Verpackung, Warenausgang, Versand und Leergut-Management. Zusätzlich sollen Einkauf und Disposition von Verpackungsmaterialien an Paul-Günther übertragen werden. Die Vertragslaufzeit beträgt zunächst vier Jahre. Für derartige Kontrakte sind in der Branche drei bis fünf Jahre üblich, in der Automobilindustrie Laufzeiten von mehr als sechs Jahren – dem angenommenen Lebenszyklus eines Pkw – ausgesprochen selten.
Kontraktlogistik wächst noch zweistellig
„Bei den Automobilisten entfallen etwa acht Prozent der Kosten auf die Logistik“, sagt Wimmer. „Davon könnten die Hersteller durch derartige Kontrakte fünf bis zehn Prozent sparen.“ In der Konsumgüterindustrie, die durch kleinere Produkte und eine größere Anzahl Sendungen viel mehr für die Distribution ausgibt, liege der Logistikkostenanteil gar bei etwa 13 %. Michael Harich von Schenker erwartet auf dieser Grundlage für herkömmliche Speditionsleistungen in den nächsten Jahren zwischen 4 und 5 % Wachstum, in der Kontraktlogistik sogar 7 bis 15 %. Pro Jahr. Und während in Europa etwa ein Viertel der Logistik-affinen Leistungen fremdvergeben sei, liege der Anteil im Rest der Welt erst bei 8 bis 10 %. Ein Markt mit Nachholbedarf.
Für Dienstleister ist also viel Geld zu verdienen. Den Kuchen werden sich wohl diejenigen teilen, die schon heute den Markt beherrschen. Neueinsteiger ohne Logistikerfahrung haben nach den Ergebnissen der Delphi-Studie „Der Transportmarkt im Wandel“, die im letzten Sommer der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, „keine Chance, sich erfolgreich zu etablieren“. Als Eintrittsbarrieren dürften vor allem der fehlende Kundenzugang wirken, aber auch die notwendige Schaffung eines Leistungsangebots und die risikobehafteten Investitionen in eigene Ressourcen.
Die derzeit Tätigen teilen sich ein Volumen von 125 Mrd. Euro in Deutschland und 450 Mrd. Euro in Europa. Auf diese Werte taxiert jedenfalls Deutsche-Post-Vorstand Peter Kruse den Logistikmarkt. Prof. Peter Klaus vom Lehrstuhl für Logistik der Universität Erlangen schätzt, dass etwa ein Volumen in Höhe von 30 Mrd. Euro in Deutschland, also ein Viertel des Marktes, kontraktlogistikfähig ist. Ausgeschöpft seien erst 5 Mrd. Euro. Man sollte jetzt Aktien kaufen.
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