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In Berlin wird das Unsichtbare sichtbar

Hahn-Meitner-Institut macht Tomografie-Methoden der Industrie zugänglich
In Berlin wird das Unsichtbare sichtbar

Einen Blick in das Innere von Metallbauteilen und Werkstoffen wagen? Keine Utopie. Das Hahn-Meitner-Institut setzt dafür Neutronen- und Synchrotronstrahlen ein und macht diese Technik über Kooperationen auch kleinen und mittleren Unternehmen zugänglich.

Dr. Paul Piwnicki ist Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit des Bereichs Strukturforschung am Hahn-Meitner-Institut in Berlin

Tests in einem Forschungsreaktor oder Teilchenbeschleuniger mögen den meisten Mittelständlern überflüssig und viel zu teuer erscheinen. Doch darin täuschen sie sich. Diese Anlagen können Entwicklern helfen, wertvolle Einblicke in moderne Werkstoffe und Geräte zu gewinnen. Das Berliner Hahn-Meitner-Institut (HMI) hat dazu zwei Messanlagen gezielt für industrielle Anwendungen aufgebaut.
Am Beispiel einer Brennstoffzelle lässt sich zeigen, was eine dieser Methoden für die industrielle Entwicklungsarbeit leisten kann: Das Funktionsprinzip einer Brennstoffzelle kann man als kontrollierte Knallgasreaktion beschreiben. Sauerstoff und Wasserstoff werden so zusammengebracht, dass sie elektrische Energie erzeugen. Als „Abfallprodukt“ entsteht dabei Wasser, das größtenteils ausgeschieden wird, sich aber teilweise auch im Inneren der Zelle in der reaktiven Schicht ansammelt. Besonders effizient funktioniert die Brennstoffzelle dann, wenn das entstehende Wasser gleichmäßig über den Reaktionsbereich verteilt ist und geregelt abfließen kann. Wie aber soll man feststellen, wo sich das Wasser im Inneren der Zelle befindet, die in einem Metallgehäuse eingeschlossen ist? Mit dieser Frage wandte sich das Ulmer Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) an das Hahn-Meitner-Institut. Die Antwort der HMI-Mitarbeiter lautete: „Mit Hilfe der Neutronenradiografie.“ Bei diesem Verfahren wird das Innere eines Untersuchungsobjekts ähnlich wie in einer medizinischen Röntgenaufnahme durchleuchtet, jedoch nicht mit Röntgenstrahlen sondern mit Neutronen. Die so erzeugten Bilder zeigten den Ulmer Entwicklern deutlich die Verteilung des Wassers im Inneren der arbeitenden Brennstoffzelle.
Solche Einblicke ermöglichen die besonderen Eigenschaften der Neutronen: Anders als für Röntgenstrahlen sind für Neutronen die meisten Metalle praktisch transparent. Sie werden dagegen stark von Wasserstoff und einigen anderen Elementen wie Lithium abgeschwächt. Bereiche, die diese Elemente enthalten, treten in einem Neutronenradiogramm deutlich hervor. Da die meisten organischen Materialien große Mengen an Wasserstoff enthalten, lassen sich organische Stoffe hinter Metall mit Hilfe von Neutronen besonders gut sichtbar machen. Das können beispielsweise Treib- und Schmierstoffe in Verbrennungsmotoren, Dichtungen in Wasserhähnen, Ablagerungen in Rußpartikelfiltern, Klebstoffe und viele ähnliche Substanzen sein. Der Nutzen der Methode beschränkt sich aber keineswegs auf Darstellungen organischen Materials. Sie ist am HMI auch schon für Untersuchungen an Granit, menschlichen Zähnen, archäologischen Objekten und verschiedenen Batterien eingesetzt worden. In der Praxis muss in jedem einzelnen Fall bestimmt werden, ob Neutronen die interessanten Strukturen im Inneren eines Objekts sichtbar machen können.
Neutronen sind Bestandteile von Atomkernen. In Kernreaktionen, wie sie auch in Forschungsreaktoren stattfinden, werden diese Teilchen freigesetzt. Das HMI betreibt einen von vier Forschungsreaktoren in Deutschland. Hier werden fundamentale Fragen zum Aufbau von kondensierter Materie erforscht, beispielsweise von kristallinen Substanzen, Supraleitern oder biologischen Materialien. Eine wachsende Rolle spielen anwendungsnahe Untersuchungen an Werkstoffen und Maschinenbauteilen.
Neben zweidimensionalen Radiogrammen lassen sich in Berlin auch dreidimensionale Tomogramme erzeugen. Dazu rekonstruiert spezielle Software aus einer großen Anzahl von Radiogrammen, die aus verschiedenen Richtungen aufgenommen wurden, die gesamte dreidimensionale Materialverteilung. So entsteht ein treues Abbild des Untersuchungsobjektes im Computer. Es kann virtuell beliebig gedreht und zerschnitten werden und somit Informationen über verschiedene Strukturen in der Probe liefern. Ein Beispiel ist das Tomogramm eines kleinen Verbrennungsmotors (siehe Bild S. 36). Das äußere Gehäuse ist nur angedeutet, so dass das gesamte Innenleben sichtbar wird.
Natürlich gibt es auch Grenzen für den Einsatz der Neutronenradiografie und -tomografie: Die Methode kann nur Strukturen sichtbar machen, die größer als 100 µm sind. Für die Tomografie sollten die Untersuchungsobjekte nicht größer als etwa 30 cm sein, radiografische Aufnahmen können auch von größeren Objekten erstellt werden.
Dass auch Röntgenstrahlung zu ungeahnten Leistungen fähig ist, zeigt eine weitere tomografische Methode: die Synchrotrontomografie. Das HMI betreibt zu diesem Zweck eine Tomografieanlage in Kooperation mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und nutzt dafür die Synchrotronstrahlung am Berliner Elektronenspeicherring Bessy. Diese Form von Röntgenstrahlung wird von Elektronen emittiert, die sich mit hoher Geschwindigkeit auf einer gekrümmten Bahn bewegen. In Bessy kreisen die Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in einem Ring mit einem Durchmesser von 240 m.
Von gewöhnlicher Röntgenstrahlung unterscheidet sich Synchrotronstrahlung zunächst durch die deutlich höhere Intensität, verteilt über einen weiten Energiebereich. Dadurch wird es möglich, monochromatische Strahlung für Experimente zu nutzen, also Strahlen mit genau festgelegter Energie. Im tomografischen Bild lassen sich damit Objektbestandteile mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung getrennt und einzeln darstellen. Zum Beispiel können Partikel sichtbar gemacht werden, die in Metallmatrizes eingebettet sind (Bilder S. 36 unten ): Ein Metallschaum-Vormaterial besteht größtenteils aus Aluminium, enthält aber auch Titanhydrid- und Siliziumkarbid-Teilchen. Die Tomografie zeigt die räumliche Verteilung. Beim Aufschäumen wirkt das Titanhydrid als Treibmittel, das Siliziumkarbid stabilisiert den fertigen Schaum. Das linke Bild zeigt das volle Material, im rechten ist das Aluminium durchsichtig dargestellt, damit die Verteilung erkennbar wird. Auf ähnliche Weise macht das Tomogramm einer Alkalibatterie die verschiedenen Bestandteile in den vier Quadranten sichtbar (Bild unten).
Die Synchrotron-Tomografie kann aber auch dort eingesetzt werden, wo es nur darum geht, feine Strukturen sichtbar zu machen. Bei einer Probengröße von 3 mm erfasst sie Details von 1,5 µm Größe und macht somit Rissverläufe, Lunker oder Poren sichtbar. Spezielle Computerprogramme sind in der Lage, automatisch die Größen- und Formverteilung von Poren aus den Daten zu bestimmen. In einer aktuellen Arbeit sind Vliesschichten aus der eingangs erwähnten ZSW-Brennstoffzelle mit Hilfe einer Synchrotrontomografie untersucht worden – ein wichtiges Beispiel für die Nutzung beider tomografischer Verfahren in einem einzigen Projekt.
Vielleicht haben Leser in den genannten Anwendungen von Neutronen- und Synchrotrontomografie die Fragestellungen wiedererkannt, die im eigenen Unternehmen bestehen. Um die Machbarkeit von Untersuchungen und Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zu diskutieren, können sie sich mit ihren Ideen und Fragen unverbindlich an das Hahn-Meitner-Institut wenden. Besonders willkommen sind Fragestellungen, die helfen, die Methode weiterzuentwickeln und neue Anwendungsfelder zu erschließen.
Die genauen Bedingungen für eine Kooperation müssen in jedem Einzelfall gesondert diskutiert werden. In der Regel wird erwartet, dass sich der Nutzer an den Kosten der Messung beteiligt. Die Sorge wegen zu hoher Kosten sollte aber niemanden davon abschrecken, eine Anfrage an das HMI zu richten. In der Regel lässt sich eine Lösung finden, die alle Partner zufrieden stellt.
Die zentrale Anlaufstelle für das gesamte Spektrum industriell relevanter Untersuchungsverfahren an den HMI-Großanlagen ist das Anwenderzentrum Nixe (Neutrons, Ions and X-Rays for Engineering). Neben der Tomografie vertritt es die zerstörungsfreie Bestimmung von Eigenspannungen, Methoden zur Untersuchung von Nanomaterialien und eine Reihe besonders leistungsfähiger Verfahren zur Elementanalytik.
Informationen und Kontakt: www.hmi.de/nixe
Synchrotronstrahlen erfassen Risse, Lunker und Poren
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