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In wilder Ehe rund um den Globus zu Hause

In der virtuellen Fabrik entscheidet das enge Miteinander
In wilder Ehe rund um den Globus zu Hause

In wilder Ehe rund um den Globus zu Hause
Prof. Walter Eversheim, FIR e. V., RWTH Aachen - „Die Spitzen eines dynamischen Marktes abfedern“ - Die Zukunft von virtuellen Unternehmensformen beleuchtet Prof. Walter Eversheim. Der Direktor des Forschungsinstituts für Rationalisierung (FIR) e. V. hat das Konzept Virtuelle Fabrik mitentwickelt
Die Kooperation in Firmen-Netzwerken bietet eine Chance, den Anforderungen dynamischer Märkte gerecht zu werden. In ihnen können kleine und mittlere Betriebe eigene Tugenden mit den Stärken großer Unternehmen verbinden.

Von unserem Redaktionsmitglied Haider Willrett

An einer Ehe sind nur zwei Parteien beteiligt“, vergleicht Prof. Walter Eversheim, „trotzdem scheitern viele Beziehungen.“ So warnt der Direktor des Forschungsinstituts für Rationalisierung (FIR) e. V. in Aachen, vor Problemen im Umgang mit Partnern. Nicht nur Ehen, auch Firmen-Partnerschaften müssen sorgfältig aufgebaut, gelebt und gepflegt werden. Vertrauen und der echte Wille zusammenzuarbeiten sind entscheidend. Und alle Beteiligten müssen von der Kooperation profitieren.
Gerade Mittelständlern bietet der Verbund in Netzwerken ganz neue Möglichkeiten. Als Einzelfirma haben sie oft nicht das Potenzial, um den Anforderungen der globalen Märkte gerecht zu werden. Der stetig steigende Preisdruck sowie die Notwendigkeit, schnell und flexibel auf Kundenwünsche und Veränderungen am Markt zu reagieren, zwingen sie, ihre Betriebsstruktur neu auszurichten. Gefragt sind moderne und dynamische Organisationsformen, die die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikations-Technik ausschöpfen.
Die Speerspitze dieser Entwicklung ist die virtuelle Fabrik. Das Konzept gründet auf zwei Bausteinen. Reale Unternehmen schließen sich in langfristigen Kooperationsnetzwerken zusammen. Aus diesem Firmenpool bilden sich, je nach Anforderungen und Umfang eines Auftrags, virtuelle Fabriken. Sie treten für die Dauer eines Projekts gegenüber den Kunden als geschlossene Unternehmenseinheit auf. So lassen sich Projekte kurzfristig realisieren, die ein Einzelunternehmen nicht oder nicht gewinnbringend abwickeln könnte. Sobald die Aufgabe erfüllt ist, löst sich dieser spezielle virtuelle Verbund auf, das Netzwerk insgesamt bleibt aber erhalten.
Vor fünf Jahren hat das Institut für Technologiemanagement (ITEM) der Universität St. Gallen mit der Virtuellen Fabrik Bodensee (VFB) ein Pilotprojekt ins Leben gerufen. Mittlerweile engagieren sich darin rund 30 Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gestützt auf die positiven Erfahrungen mit der VFB haben die St. Gallener inzwischen weitere Kooperationsnetzwerke in der Nord-West-Schweiz und im Rhein-Ruhr-Gebiet angestoßen.
Auch der Automobil-Zulieferer Behr hat das Potenzial dieser Organisationsform erkannt. Dem virtuellen Zulieferkonzern der Stuttgarter gehören sechs deutsche und zwei japanische Unternehmen an. Gemeinsam haben sie sich vom Bauteil- zum Systemanbieter entwickelt. „Im Verbund stellen wir unseren Kunden einen Know-how-Pool mit hoher Innovationskraft bereit“, sagt Horst Geidel, Vorsitzende der Geschäftsführung bei Behr.
Durch die strikte Auftragsorientierung bieten virtuelle Netzwerke im Vergleich zu anderen Kooperationsformen, wie etwa einer strategischen Allianz oder der verlängerten Werkbank, eine Reihe von Vorteilen. Obwohl die Mitgliedsbetriebe eigenständig bleiben, können sie ein größeres Marktpotenzial nutzen. Dabei müssen sie ihre Stärken wie Schnelligkeit und Flexibilität nicht aufgeben. Begriffe wie Kompetenz- oder Kapazitätsmanagement erhalten Bedeutung.
Mit Internet, E-Mail und Videotechnik erhält der Mittelständler eine schnelle und kostengünstige Kommunikationsplattform, um an weltweiten Kooperationen teilzunehmen. Andererseits ermöglichen es ihm diese Techniken, unter eigenem Namen global präsent zu sein. Er kann damit erstmals als ernsthafter Wettbewerber zu Großbetrieben und Konzernen auftreten.
Die Technik ist da. Jetzt mangelt es nur noch an der Bereitschaft, auf diesen Zug aufzusteigen. Zu Informationsveranstaltungen des Instituts für Technische Weiterbildung (ITW) in Berlin kamen rund 100 an einer Kooperation interessierte Firmen. „Alle sahen die Notwendigkeit ein, ihre Betriebsstrukturen dynamischer zu gestalten“, sagt ITW-Geschäftsführerin Dr.-Ing. Elke Raddatz. Wirkliche Kooperationen seien jedoch nur wenige zustande gekommen. Viele Unternehmer hätten große Vorbehalte, ihren Betrieb nach außen zu öffnen.
Eine offene Informationspolitik in Bezug auf potenzielle Kunden, neue Geschäftsfelder, Know-how-Austausch sowie schnelle und effiziente Projektabwicklung zwischen den Mitgliedern sind jedoch die Grundvoraussetzungen für eine funktionierende virtuelle Fabrik. Das Vertrauensverhältnis zwischen den einzelnen Unternehmen ist eine der wichtigsten Aufgaben beim Aufbau eines Netzwerks und ein nie endender Prozess. Die Basis bilden gemeinsam definierte Strategien sowie festgelegte Rollen und Aufgaben für alle Beteiligten. Persönliche Kontakte bei regelmäßigen Treffen sollen das Vertrauensverhältnis zusätzlich fördern.
Das Miteinander hat guten Grund: „Die neue Fabrik unterscheidet sich durch ihre Menschen, ihre Methoden und ihre Organisation, nicht durch ihre Technik“, sagt Thomas Zipse von der KS Kolbenschmidt GmbH, Neckarsulm. Dieses Kennzeichen des Unternehmens der Zukunft sei nicht käuflich und deshalb ein echter Wettbewerbsvorteil. Die alte Weisheit, dass engagiertes Personal das wichtigste Gut eines Unternehmens ist, gilt gerade in der virtuellen Unternehmensform. Die Mitarbeiter müssen in das Konzept einbezogen werden und sich mit ihm identifizieren. Auch die persönliche Beziehung zum Partner zählt. Gemeinsam bewältigte Projekte schaffen das Vertrauen, sich auch in schwierigen Situationen aufeinander verlassen zu können.
Um in einer virtuellen Fabrik erfolgreich zu kooperieren, müssen einige neue Aufgabengebiete besetzt werden. Entscheidend ist das Management der Schnittstellen, das eine breite Qualifikation voraussetzt. Ein Schnittstellenmanager muss in der Lage sein, auch die Situation der Partner, ihre Möglichkeiten und Grenzen einzuschätzen. Da er als erster merkt, wenn eine Situation aus dem Ruder läuft, muss er zudem als Frühwarnsystem agieren. „Das ist ein vollkommen neues Aufgabenprofil“, erklärt Eversheim.
10 Vorteile der virtuellen Fabrik
– Größere Marktmacht bei Erhalt der Selbstständigkeit
– Bessere Einkaufskonditionen
– Erweiterte Produktpalette
– Globale Präsenz durch weltweite Kooperationen
– Austausch von freien Produktionskapazitäten
– Durch Konzentration auf Kernkompetenz effiziente Abläufe im Unternehmen
– Know-how-Austausch
– Bewältigen von Auftragsdimensionen und Lieferterminen, die für Einzelunternehmen nicht realistisch sind
– Schnelles und risikoarmes Erschließen neuer Märkte und Marktnischen
– Abwicklung der Projekte durch ein Unternehmen, das für den Ablauf und den Zusammenfluss aller Einzelkomponenten verantwortlich zeichnet
NACHGEFRAGT
? Anfangs herrschte viel Euphorie rund um das Thema Virtuelle Fabrik. Ist der Durchbruch gelungen?
! Es hat eine Weile gedauert, bis die Voraussetzungen geschaffen, die Spielregeln festgelegt waren. Wenn man die Regeln beherrscht, funktioniert das Konzept. Gerade angesichts der dynamischen Märkte und der Globalisierung hat es nach wie vor Gültigkeit.
? Lassen sich die Strukturen einer virtuellen Fabrik weiter verbessern?
!Die IT-Technologie schafft ganz neue Möglichkeiten. Zum einen wird die Kommunikation innerhalb eines Netzwerks effizienter, es lassen sich aber auch sehr schnell und einfach Alternativen durchspielen. So können Angebote ausgearbeitet werden, die hinsichtlich der Kosten, oder aber auf kurze Lieferzeiten hin optimiert sind. Entsprechend der Kundenwünsche werden dann die Partner für die virtuelle Fabrik ausgewählt.
?Wie sieht die Zukunft der virtuellen Fabrik aus?
!Das virtuelle Konzept basiert ja auf einer Reihe von klassischen Unternehmen. Sie bringen lediglich einen Teil ihrer Kapazität und ihrer Kompetenz in das Netzwerk ein, um die Dynamik der Wirtschaft abzufedern. Derzeit gibt es jedoch oft zu viele Schnittstellen. Die Vorteile dieser Organisationsform werden dann häufig von Nachteilen überkompensiert, weil der Ablauf schwierig zu handhaben ist. Deshalb raten wir heute, komplette Baugruppen oder Module möglichst in einer Unternehmenseinheit zu fertigen.
?Worauf muss ein kleines Unternehmen achten, das einem Netzwerk beitreten will?
!Kleine Firmen haben meist nur eine begrenzte Anzahl universell einsetzbarer und qualifizierter Mitarbeiter. Zu viele Aufgaben und zu viel Verantwortung konzentrieren sich auf wenige. Die Personalfrage führt bei kleinen Unternehmen viel schneller zu Engpässen als bei großen.
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