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Jedem Fingerzeig folgen, bevor die Pleite kommt

Insolvenzrecht: Viele wissen nicht, wann es zu spät ist
Jedem Fingerzeig folgen, bevor die Pleite kommt

Jedem Fingerzeig folgen, bevor die Pleite kommt
Wie sieht die Prognose aus? Sind wir noch zahlungsfähig? Diese Fragen muss sich der Chef bei den ersten Krisenanzeichen stellen. Ein frühzeitig gestellter Insolvenzantrag verbessert die Chance, das Unternehmen zu sanieren (Bild: IBM)
Geschäftsführer erkennen oft viel zu spät, dass ihr Unternehmen bereits pleite ist – und müssen wegen Insolvenzverschleppung mit Folgen rechnen. Wer hingegen die drohende Insolvenz früh erkennt, kann den Betrieb häufig retten.

Rechtsanwalt Dr. Gerrit Heublein ist Partner der Berliner Kanzlei Schröder Rechtsanwälte

Ein verspäteter Insolvenzantrag kann gravierende Konsequenzen haben. Wer eine Insolvenz über Monate oder sogar Jahre verschleppt, der muss zivil- und strafrechtlich umfangreich haften. Vielen ist jedoch nicht klar, woran es sich erkennen lässt, dass ein Unternehmen insolvent ist. Bisweilen melden Unternehmer erst dann Insolvenz an, wenn nicht einmal mehr die am heftigsten drängelnden Gläubiger bedient werden können.
Grundsätzlich sind alle Kapitalgesellschaften verpflichtet, im Falle der Insolvenzreife einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht zu stellen, also insbesondere die AG und die GmbH. Dasselbe gilt für die GmbH & Co. KG, soweit diese keine natürliche Person zu ihren persönlich haftenden Gesellschaftern zählt.
Für den Gesetzgeber ist insolvenzantragspflichtig – und damit umgangssprachlich pleite – wer zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Beide Insolvenzgründe sind in der Insolvenzordnung geregelt.
Gemäß § 17 der Insolvenzordnung ist zahlungsunfähig, wer nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Über Jahrzehnte haben Rechtsprechung und juristisches Schrifttum viele Einzelfälle herausgearbeitet, die nur der Spezialist noch überblicken kann.
Dies gilt schon für den sehr strengen und absoluten Ansatz des Gesetzes. Darin heißt es nämlich, dass das Unternehmen zur „Volldeckung aller fälligen Zahlungsverpflichtungen“ fähig sein muss. Ist es das nicht, ist es zahlungsunfähig. Allerdings ist dieser Grundsatz durch die Rechtsprechung abgemildert worden – wenn auch nicht sehr. Zahlungsunfähig ist demnach, wer außerstande ist, seine aktuell fälligen Zahlungsverpflichtungen binnen eines Zeitraums von längstens drei bis vier Wochen zu wenigstens 90 % zu erfüllen.
Jede Bestandsaufnahme der Zahlungsfähigkeit oder Zahlungsunfähigkeit muss daher bei der Frage beginnen, wie viele fällige Zahlungsverpflichtungen bestehen. Fällig ist jede Geldschuld, die bezahlt werden muss – auch wenn der Gläubiger noch nicht gemahnt, geklagt oder gar vollstreckt hat. Fällig sind auch alle Geldschulden, die vom Gläubiger nur stillschweigend gestundet oder sogar gegen seinen Willen nicht bezahlt werden („erzwungene Stundungen“). Fällig ist also auch die von der Bank stillschweigend geduldete Kontokorrentkredit-Überziehung.
Der Summe der in diesem Sinne fälligen Zahlungspflichten muss das Unternehmen die Summe der flüssigen Mittel gegenüber stellen: Also dem Geld, das am Stichtag zur Verfügung steht – zuzüglich der Zahlungen, die in den nächsten drei bis vier Wochen voraussichtlich eingehen werden.
Ist der nach diesen Grundsätzen aufgestellte Finanzplan fertig, lässt sich feststellen, ob ein Unternehmen im Sinne der Insolvenzordnung als zahlungsfähig oder zahlungsunfähig gilt: Hat die Summe der liquiden Mittel nicht wenigstens 90 % der am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten erreicht (manche Gerichte verlangen sogar einen Deckungsgrad von 95 %), besteht Zahlungsunfähigkeit und damit die Verpflichtung, unverzüglich, spätestens aber binnen drei Wochen, einen Insolvenzantrag zu stellen.
Der zweite Grund, der zur Insolvenz-Anmeldung verpflichtet, ist die Überschuldung, wobei in der Regel die Überschuldung vor der Zahlungsunfähigkeit eintritt. Ein Unternehmen ist gemäß § 19 Abs. 2 überschuldet, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt – eine Regel, die in der Praxis mit Tücken behaftet ist.
Eine Schwierigkeit besteht darin, dass bei der Feststellung der Überschuldung die Handelsbilanz bestenfalls ein Indiz ist. Stattdessen muss ein Überschuldungsstatus als Sonderbilanz nach eigenen Regeln aufgestellt werden. Und hier kann das Vermögen eines Unternehmens nach zwei Prinzipien ermittelt werden. In beiden Fällen müssen realistische Werte angesetzt und Stille Reserven aufgelöst werden.
Das erste Prinzip ist die Fortführungsbilanz. Wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass das Unternehmen in den nächsten zwei Jahren zahlungsfähig bleibt (positive Fortführungsprognose), sind bei der Bewertung der Aktiva und Passiva die sogenannten Fortführungswerte zugrunde zu legen. Das sind in der Regel Wiederbeschaffungs- oder Teilwerte. Eine Fortführungsprognose setzt allerdings ein dokumentiertes Unternehmenskonzept voraus.
Ergibt die Fortführungsbilanz, dass die Aktiva die Passiva decken, besteht keine Überschuldung. Doch auch eine positive Fortführungsprognose hilft nicht weiter, wenn das Unternehmen selbst zu Fortführungswerten überschuldet ist: Dann liegt in jedem Fall eine insolvenzantragspflichtige Überschuldung vor.
Das zweite Prinzip heißt Liquidationsbilanz. Ergibt der Finanzplan, dass das Unternehmen nicht mindestens bis zum Ende des nächsten Geschäftsjahres zahlungsfähig bleibt, ist die Fortführungsprognose negativ. Folge: Der Überschuldungstatus muss zu Liquidationswerten aufgestellt werden: Das sind die Werte, die bei einer Auflösung des Unternehmens beim Verkauf der Aktiva innerhalb eines angemessenen Zeitraumes am Markt erzielt würden. Dabei ist zu erwähnen, dass die Liquidationswerte in der Regel deutlich geringer ausfallen als die Fortführungswerte.
Grundsätzlich gilt: Vorsorglich sollte auch bei positiver Fortführungsprognose ergänzend zur Fortführungsbilanz immer auch die Liquidationsbilanz ermittelt werden. Denn diese ist bei negativer Fortführungs-prognose zugleich der maßgebende Überschuldungsstatus.
Folgen der Geschäftsführer einer GmbH oder der AG-Vorstand diesen Grundsätzen, so sinkt das persönliche Haftungsrisiko wesentlich. Allerdings nur unter zwei ganz entscheidenden Voraussetzungen.
Erstens: Die Prüfungen der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung müssen penibel dokumentiert werden. Denn sowohl Rechtsprechung als auch die einschlägige Fachliteratur legen für den Fall, dass das Unternehmen dann doch insolvent wird, strenge Regeln an. Die Geschäftsleitung muss auf jeden Fall den Beweis für eine angeblich positive Fortführungsprognose vorlegen.
Und zweitens: Jeder Fall ist anders. Insofern wird der Geschäftsführer oder Vorstand immer kompetente Beratung suchen, um die konkreten Situation zu bewerten. Denn wird rechtzeitig ein Berater hinzu- gezogen, der mit den Tücken des Insolvenzrechts vertraut ist, lässt sich das Unternehmen oft nachhaltig sanieren.
Die Schulden müssen auf den Prüfstand
Wichtig: Prognosen schriftlich dokumentieren

Überschuldungsstatus: Diese Positionen sind anzusetzen
  • Sämtliche verwertbaren Aktiva und bestehenden und zu erwartende Passiva
  • Handelsbilanzielle An- sätze und Bewertungen sind unmaßgeblich
  • Möglicherweise: handelsbilanziell nicht aktivierungsfähige immaterielle Wirtschaftsgüter
  • Bei Werthaltigkeit: hartes Patronat, das heißt feste Zusagen des Gesellschafters
  • Sonderposten mit Rücklagenanteil in Höhe des Steuerschuldanteils
  • Rückstellungen, soweit entsprechende Verbindlichkeit wahrscheinlich ist
  • Pensionsrückstellungen für unverfallbare Ver- sorgungsanwartschaften
  • Kein Ansatz von vor Gericht mit guten Gründen bestrittenen Verbindlichkeiten
  • Bei (Teil-)Betriebsstilllegung: Passivierung der zu erwartenden Kosten (Beispiel: Sozialplan)
  • Eventualverbindlichkeiten aus Bürgschaften bei wahrscheinlicher Inanspruchnahme
  • Passivposten dürfen ausgeblendet werden, soweit Rangrücktritte vorliegen (Wichtig: Besondere Anforderungen der Rechtsprechung)

  • Kriterien für Zahlungsunfähigkeit

    Checkliste

    Fällige Zahlungsverpflichtungen sind:
    • Alle Geldschulden, die aktuell bezahlt werden müssen
    • Auch wenn der Gläubiger noch nicht gemahnt, geklagt oder vollstreckt hat
    • Auch bei nur stillschweigender oder gegen Gläubigerwillen erzwungener Stundung
    • Von der Bank nur stillschweigend geduldete Kontokorrentkredit- überziehung
    • Vor Gericht unberechtigterweise bestrittene Verpflichtungen („Justiz- kredite“)
    • Außer Betracht bleiben nur: ausdrücklich gestundete Zahlungspflichten
    Dem stehen die liquiden Mittel gegenüber:
    • Geld, das am Stichtag zur Verfügung steht
    • Zahlungen, die in den nächsten drei bis vier Wochen voraussichtlich eingehen
    • Unausgeschöpfte Teile bestehender Kreditlinien bei Banken
    Zahlungsunfähigkeit
    besteht, wenn
    die liquiden Mittel nicht wenigstens 90 % der am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten erreichen. Manche Gerichte verlangen sogar 95 % Deckung.
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