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Jeder anders, alle fit

Gesundheitsmanagement: Interkulturell im Betrieb
Jeder anders, alle fit

Kulturelle Vielfalt am Arbeitsplatz ist heute eine Selbstverständlichkeit. Den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter zu gewährleisten, ist eine besondere Herausforderung. Ein speziell dafür entwickeltes Konzept steht für den Einsatz in Unternehmen bereit.

Für hervorragende Leistungen und innovative Ideen vergibt die Landeszentrale für Gesundheit in Bayern (LZG) alljährlich gemeinsam mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium den Preis für Gesundheitsförderung und Prävention. Zu den in diesem Jahr ausgezeichneten Projekten gehört das Interkulturelle Betriebliche Gesundheitsmanagement (IBGM) – ein Pilotprojekt der Betriebskrankenkasse des Automobilherstellers BMW und der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA). Aufgrund der überzeugenden Konzeption und den durchweg guten Erfahrungen wurde die Einführung des Konzepts als besonders förderungswürdig auf den dritten Platz gewählt.

Dieser Erfolg lenkt den Blick auf ein heute noch meist wenig beachtetes Problem: die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsplatz. Kulturelle Vielfalt ist in vielen Unternehmen eine Selbstverständlichkeit – und wird in Zukunft noch zunehmen. Den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter zu gewährleisten, stellt eine besondere Herausforderung dar. Denn Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen haben auch unterschiedliche Vorstellungen, was Gesundheit bedeutet. Sie nehmen Krankheiten verschieden wahr und erleben berufliche Beanspruchungen auf unterschiedliche Weise. Hinzu kommen Sprachbarrieren und Wissenslücken, wer im Betrieb der richtige Ansprechpartner für ein spezielles Anliegen ist.
Diese kulturell bedingten Unterschiede schlagen sich auch in der Krankenstatistik nieder: Arbeitnehmer anderer Nationalitäten haben oft häufiger Arbeitsunfälle und leiden öfter als ihre deutschen Kollegen an Berufskrankheiten. Dennoch: „Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht grundsätzlich gesundheitlich benachteiligt“, betont Bärbel-Maria Kurth vom Robert-Koch-Institut in Berlin. Schützende Faktoren, etwa gesundheitsfördernde soziale Netzwerke, könnten sich positiv auf die Gesundheit der Mitbürger mit Migrationshintergrund auswirken.
Das gilt natürlich auch am Arbeitsplatz. Weil bisher kaum spezielle Maßnahmen existierten, hat die IGA das so genannte Interkulturelle Betriebliche Gesundheitsmanagement konzipieren lassen. Es stellt zwei Faktoren in den Vordergrund, die durch die Betriebe gut zu beeinflussen sind: das Führungsverhalten der direkten Vorgesetzten – insbesondere gegenüber Beschäftigten mit Migrationshintergrund – sowie die Einbindung der Mitarbeiter in das betriebliche Gesundheitsmanagement.
Die kulturelle Vielfalt zeigt sich auch bei BMW. In der Abteilung TM-2, dem Presswerk und Karosseriebau, besitzen nur knapp 61 % der Beschäftigten die deutsche Staatsangehörigkeit. Etwa ein Viertel der Belegschaft ist türkischer Herkunft, die restlichen 15 % verteilen sich auf andere Nationalitäten. „Unabhängig von dem jeweiligen kulturellen Hintergrund ist es die gemeinsame BMW-Kultur, die das Miteinander am Arbeitsplatz positiv bestimmt“, erklärt Joachim Grüger, Leiter Presswerk und Karosseriebau im Werk München. Ein idealer Nährboden für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts.
Das langfristige Ziel des Interkulturellen Betrieblichen Gesundheitsmanagements bei BMW ist es, die Gesundheit aller Mitarbeiter nachhaltig zu fördern und ihnen den Zugang zu Versorgungs- und Präventionsangeboten im Betrieb zu erleichtern. Dabei gehen die Verantwortlichen des Automobilherstellers ausdrücklich auch auf die Bedürfnisse von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund ein, um sie stärker in die gesundheitlichen Strukturen des Unternehmens einzubinden.
Die Umsetzung des Konzepts sieht mehrere Bausteine vor, die sich flexibel an spezifische betriebliche Belange anpassen lassen (siehe Kasten Seite 29). So erhielten die beteiligten Akteure im Rahmen eines Steuerkreises zum Thema Sicherheit, Anwesenheit und Gesundheit (SAG) zunächst eine interkulturelle Beratung durch die externen Kooperationspartner.
In der Auftaktveranstaltung, an der auch alle Führungskräfte der Produktionsabteilung teilnahmen, haben sich dann unter anderem das Umsetzungsteam und die externen Projektpartner vorgestellt. Neben der Darstellung des Projekts wurden von den Teilnehmern beispielsweise offene Fragen erarbeitet sowie positive und negative Rückmeldungen erfasst.
Ein spezielles Seminar richtete sich an die Führungskräfte, um sie für die kulturellen Unterschiede sowie den Zusammenhang von Führung und Gesundheit zu sensibilisieren. Dort wurden Inhalte vermittelt, die zu einem größeren Verständnis der Zusammenhänge von Migration, Kultur und Gesundheit führen sollten. Die Führungskräfte selbst wiederum erarbeiteten, welche Aufgaben, Rolle und Einsatzmöglichkeiten der so genannten Gesundheitslotsen sie in ihren Abteilungen sehen.
Gesundheitslotsen verstehen sich als gleichberechtigte Kollegen, die Überblickswissen zum betrieblichen Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement erworben haben. Ihre Aufgabe ist es, Kollegen durch das betriebsinterne Gesundheitsangebot zu lotsen und damit eine Brückenfunktion wahrzunehmen. Insbesondere sollen sie
  • gesundheitsrelevante Informationen weitergeben,
  • die Kommunikation von Veranstaltungen unterstützen,
  • ihre Kollegen zur Teilnahme motivieren,
  • über Strukturen und Ansprechpartner im Betrieb informieren und beraten,
  • ihre Kollegen dorthin vermitteln und
  • auf gesundheitliche Defizite aufmerksam machen.
Die Auswahl der Lotsen erfolgte nach festen Kriterien. So sollten sie etwa neben guten Deutschkenntnissen auch Vertrauen und Anerkennung in ihren Produktionsbereichen genießen. Bei BMW wurden nicht nur Mitarbeiter mit Migrationshintergrund geschult; darüber hinaus konnten die Angesprochenen freiwillig entscheiden, ob sie diese Aufgabe annehmen wollten oder nicht.
Insgesamt nahmen schließlich 20 Mitarbeiter an der Schulung teil, für die ein Zeitrahmen von 40 Stunden veranschlagt war. Inhaltlich gliederte sie sich in einen theoretischen Teil mit grundsätzlichen Themen wie Gesundheit und Migration. Der methodische Teil befasste sich mit praktischen Anwendungsübungen beispielsweise zur Kommunikation, dem Aufbau von und der Arbeit in Netzwerken. Ein kompletter Schulungstag wurde darauf verwendet, welche Aufgaben die Mitarbeiter künftig übernehmen wollen und wie ihre Rolle definiert sein soll. Mit Erfolg: „Die neu ausgebildeten Gesundheitslotsen geben ihre Kenntnisse an ihre Landsleute und Kollegen weiter, wenn nötig auch in der jeweiligen Muttersprache“, lobt Joachim Grüger.
Die Abschlussveranstaltung diente dann der Vernetzung der unterschiedlichen Zielgruppen des Interkulturellen Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Um die Nachhaltigkeit zu sichern, wurden drei Aspekte betont:
  • Die Gesundheitslotsen sollen die Gelegenheit bekommen, sich im vierwöchigen Rhythmus regelmäßig zu treffen. Dazu werden sie von ihrer Arbeit freigestellt.
  • Sie sollen sich strukturell mit anderen Akteuren des betrieblichen Gesundheitsmanagements, beispielsweise der BKK BMW und dem Gesundheitsdienst, vernetzen, indem sie je nach Bedarf an den jeweiligen Arbeitskreisen teilnehmen.
  • Sie werden aktiv in Maßnahmen und Aktionen des betrieblichen Gesundheitsmanagements einbezogen, etwa indem sie als Multiplikatoren fungieren, die Informationen an ihre Kollegen weitergeben und sie motivieren, an diesen Maßnahmen teilzunehmen.
Knapp sechs Monate nach der Abschlussveranstaltung haben die Verantwortlichen bei BMW alle geplanten Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit umgesetzt. So unterstützten die Gesundheitslotsen zwei Aktionen der BKK BMW. Bei der Darmkrebs-Aktion beispielsweise halfen sie Kollegen mit Verständnisschwierigkeiten, die Testsets im Internet zu bestellen und erläuterten deren Anwendung. Sie sorgten dafür, dass das Thema diskutiert wurde, und gingen mit gutem Beispiel voran. Und: Die Führungskräfte und Meister werden regelmäßig über die Arbeit der Lotsen informiert.
Insgesamt stößt das Konzept auf großen Zuspruch. „Wir sehen mit dem Interkulturellen Betrieblichen Gesundheitsmanagement eine gute Möglichkeit, auf die besonderen Bedürfnisse unserer Mitarbeiter mit Migrationshintergrund einzugehen“, bestätigt Norbert Haberl, Vorstand der BKK BMW. „Die durchweg positiven Erfahrungen und das Engagement der Gesundheitslosen bestärken uns darin, weiter in diese Richtung zu agieren und das Konzept in anderen Abteilungen und an anderen Standorten umzusetzen.“
Das Wohlbefinden und die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern, ist von keiner Mitarbeiterzahl abhängig. Deshalb stellen die IGA und der BKK-Bundesverband das Konzept jetzt zum Einsatz in anderen Unternehmen zur Verfügung (siehe Kasten Seite 28). Von großer Bedeutung ist in jedem Fall die persönliche Ansprache der Mitarbeiter. So nehmen an Gesundheitsprogrammen, die die Unternehmen ohne gezielte Kommunikation anbieten, nur rund 15 % der Mitarbeiter teil. Bei Maßnahmen, die gezielt an die Belegschaft vermarktet werden, sind weitaus höhere Teilnahmequoten möglich.
Jens-Peter Knauer Journalist in Waldenbuch

Kontakt für Betriebe
Das Konzept für das Interkulturelle Betriebliche Gesundheitsmanagement wurde maßgeblich entwickelt vom Diplom-Soziologen Ramazan Salman, Geschäftsführer des Ethno-Medizinischen Zentrums e.V., und Prof. Dr. Martina Harms von der AMD Hamburg. Ansprechpartner für Unternehmen stehen bei der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) und beim BKK-Bundesverband bereit.
IGA: projektteam@iga-info.de, Tel. (0351) 457-1010 BKK-Bundesverband: Dr. W. Bödeker, iga@bkk-bv.de, Tel. (0201) 179-1370

Kosteneffizienz
Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten drücken auf die Kostenseite. Die betriebliche Prävention sollte jedoch die verschiedenen kulturellen Hintergründe der Belegschaft berücksichtigen. Mit einem kultursensiblen Gesundheitsmanagement können Unternehmen dafür sorgen, ihre Mitarbeiter mit Migrationshintergrund voll in das betriebliche Konzept einzubinden.
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