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Jules Verne hätte sich gefreut

Arbeiten ohne die Fesseln von Raum und Zeit
Jules Verne hätte sich gefreut

Visionäre Konzepte sehen einen dramatischen Wandel zukünftiger Bürowelten und Arbeitsorganisationen vor. Begleiten wir den fiktiven Grafikdesigner K. Abel-Los an einem Tag des Jahres 2012 bei seiner Arbeit im Büro der Zukunft.

Nicolas Wulgaris ist Journalist in Stuttgart

Montag, 7.18 Uhr: Verwundert reibt sich Grafik-designer K. Abel-Los die Augen, als ihn sein Bildtelefon aus den morgendlichen Träumen reißt. Das Konterfei seines Abteilungsleiters erscheint, und dessen Gesichtsausdruck verheisst Arbeit. Eigentlich wollte er heute erst am späteren Vormittag zu einer Präsentation seiner Entwürfe ins Büro. Eigentlich, denn seine Anwesenheit sei dringend erforderlich, bedeutet ihm sein Vorgesetzter.
  • 8.23 Uhr: Eine provozierend gutgelaunte Dame lächelt Abel vom Bildschirm entgegen. Laura ist die Schnittstelle der biometrischen Zugangskontrolle (BioID), und ihr überirdisch weißes Gebiss strahlt lediglich computergeneriert. Bevor sie den Zugang freigibt, erkennt und registriert sie jeden Mitarbeiter anhand individueller biologischer Merkmale, etwa seiner Gesichtszüge oder dem Muster der Netzhautäderchen.
  • 9.17 Uhr: Abel nimmt im zentralen Sekretariat seinen persönlichen digitalen Assistenten (PDA) entgegen, ein handliches Gerät mit Farbbildschirm und integrierter Kamera inklusive Anbindung ans Telekommunikationsnetz. Über ein drahtloses, lokales Netzwerk (WLAN) und ein Ortungssystem ist er im gesamten Bürokomplex frei beweglich und trotzdem immer zu erreichen.
  • 9.43 Uhr: Nach dem Einloggen erscheint sofort der Chef auf dem Bildschirm seines PDA. Der Auftraggeber des Projekts hat im letzten Moment noch entscheidende Änderungen verfügt. Die gestern übermittelten Entwürfe sind überarbeitungsbedürftig. Anstelle der geplanten Präsentation ist eine interne Besprechung angesetzt, auf der Abel neue Entwürfe präsentieren soll.
  • 9.50 Uhr: Abel holt seinen Caddy aus der Abstellkammer neben dem Sekretariat. In dem mobilen Rollcontainer sind alle schriftlichen Vorgaben niedergelegt, die für die Arbeit wichtig sind. Seit die Geschäftsleitung das Prinzip des nonterritorialen Arbeitens eingeführt hat, besitzt hier niemand mehr einen eigenen Schreibtisch. Viele erledigen ihre alltäglichen Aufgaben ohnehin an heimischen Telearbeitsplätzen, die an das Intranet des Unternehmens angeschlossen sind.
  • 10.07 Uhr: Der Designer hat einen der begehrten Denkerliegestühle mit in die Lehne integriertem Touchscreen-Terminal ergattert. Anstelle des Bildschirms nutzt er heute lieber eine 3D-Datenbrille mit integriertem Kopfhörer und einen sensitiven Datenhandschuh.
  • 10.29 Uhr: Abel taucht ein in den von ihm mitentworfenen Cyberspace eines virtuellen Kaufhauses. Miteinander vernetzte Verkäufer und Kunden bevölkern den aufwendig 3D-animierten Konsumtempel. Die Waren lassen sich anfassen und vom Regal nehmen. In der Endanwendung sollen sie dem überforderten Käufer gar ihre Funktionen erklären. Abel ist verantwortlich für die grafische Gestaltung der Figuren. Mal sehen, wie das Personal optisch noch ansprechender rüberkommen könnte.
  • 11.07 Uhr: Inzwischen haben die Kollegen den restlichen Raum mit Hilfe variabler und lichtdurchlässiger Raumteiler abgekoppelt, um ihre eigenen Teilprojekte ungestört vorantreiben zu können. Abel muss sich woanders etablieren, um seine im Cyberspace gewonnennen Ideen in Entwürfe umzusetzen.
  • 11.34 Uhr: Nach Abels Credo ist das Skizzieren von Entwürfen ein unerzwingbarer kreativer Akt, der unbedingt auf althergebrachtem Papier zu vollziehen ist. Beladen mit Zeichenutensilien und einem auf die Schnelle besorgten Sandwich, bahnt sich Abels Caddy einen Weg zum Cockpit, einem auf das Wesentlichste reduzierten Rückzugsraum von mönchszellenartigem Zuschnitt. Hier kann er ungestört über seinen Skizzen brüten.
  • 14.27 Uhr: Die wichtigsten Änderungen sind auf Papier gebannt. Richtig zufrieden ist Abel immer noch nicht, aber die Zeit bis zur Besprechung wird knapp. Um sie den Kollegen zugänglich zu machen, müssen die Entwürfe gescannt und in digitaler Form im betriebsinternen Netz ablegt werden.
  • 14.38 Uhr: Nichts geht mehr! Abel braucht dringend eine Pause, um seine Entwürfe später überzeugend darbieten zu können. Eine Dusche oder ein kurzes Nickerchen wären jetzt genau richtig. Ein kleiner Rückzugsraum bietet ihm beide Möglichkeiten. Abel entscheidet sich für eine erfrischende Dusche, um danach noch Zeit für ein Gespräch mit Kollegen zu haben. Rückzugsraum und zentrale Cafeteria sind der Ausgleich für den Verlust eigener Schreibtische und Statussymbole, an den sich vor allem Abels Vorgesetzte erst gewöhnen mussten.
  • 15.16 Uhr: Zeit zum Durchatmen. An der langen Theke der Recreation-Lounge trifft Abel einige befreundete Kollegen zum Kaffee. Kaum breitet er seine letzten Entwürfe aus, äußert ein Kollege aus der Nachbarabteilung den entscheidenden Änderungsvorschlag. Abels latente innere Zweifel sind augenblicklich beendet. Das ist es! An einem interaktiven Stehpult, dessen Auflagefläche aus einem berührungsempfindlichem Monitor besteht, nimmt der Geistesblitz rasch Formen an.
  • 16.00 Uhr: Im akustisch und klimatechnisch optimierten Konferenzraum haben sich außer Abel vier weitere Teamkollegen eingefunden. Über Videokonferenz ist ebenfalls die Programmier-Abteilung zugeschaltet, die die Entwürfe in den Cyberspace zu implementieren hat. Der Abteilungsleiter musste überraschend zu einem Kundenbesuch und schaltet sich aus der VIP-Lounge des Flughafens zu.
  • 16.12 Uhr: Kaum ist der Konferenzraum betreten, erscheinen die alten Entwürfe an der Wand, die als Projektionsfläche für Bildschirminhalte genutzt werden kann. Sensoren in den Wänden erkennen, welcher Mitarbeiter sich im Raum aufhält und suchen in der Datenbank nach dem aktuellen Projekt. Werden die Konferenzsessel nahe genug aneinander geschoben, bilden alle Besprechungsteilnehmer ein temporäres Netzwerk: Dateien und Bildschirminhalte können auf Knopfdruck ausgetauscht werden.
  • 16.12 Uhr: Jetzt ist Abel an der Reihe. Per Tastendruck zaubert er seine Entwürfe auf die interaktiven Tapeten des Konferenzraums sowie den Mobilcomputer seines Vorgesetzten. Die Kollegen sind schnell überzeugt, vor allem von seiner letzten, nur grob ausgestalteten Idee. Die Besprechung wird zu einem vollen Erfolg. In den nächsten Tagen wird der Auftraggeber über das Schicksal der neuen Entwürfe zu entscheiden haben.
  • 16.31 Uhr: Abel räumt den Caddy auf und schiebt ihn in den Abstellraum zurück. Der Tag war unerwartet anstrengend. Ein palmengesäumter Sandstrand auf Knopfdruck käme Abels Erholungsbedürnis jetzt sehr entgegen. Vielleicht werden derartige holographischen Simulationen à la Raumschiff Enterprise irgendwann möglich. Gegen die real aufkommenden Kopfschmerzen hilft aber ein seit über hundert Jahren bewährtes Mittel immer noch am besten.
Industrieanzeiger
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