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„Junge Unternehmen sind Ausdruck für die Vitalität der Industrie“

IfM-Chef Dr. Gunter Kayser beobachtet Wandel im industriellen Mittelstand:
„Junge Unternehmen sind Ausdruck für die Vitalität der Industrie“

Der industrielle Mittelstand lässt Federn – ist aber nicht unterzukriegen. Das sagt Dr. Gunter Kayser, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM), Bonn, im Exklusiv-Interview.

Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

Der industrielle Mittelstand ist in Deutschland ein Erfolgsmodell. Doch derzeit wird er von einer Pleitewelle überrollt. Wie passt das zusammen?
Das ist Ergebnis der desolaten Konjunktursituation seit 2001. Da addiert sich vieles: von der schlechten Kreditversorgung über den Wettbewerb bis hin zu mangelhafter Zahlungsmoral. Hier sind zum ersten Mal Mittelständler stärker gebeutelt worden als Großunternehmen. Der Mittelstand konnte als Investor die Konjunkturausschläge nicht mildern. Zudem hat er erstmals im Verhältnis mehr Arbeitsplätze abgebaut als die Großen.
Welche Folgen hat das konkret?
Die Unternehmen haben sich sicher von eigentlich unersetzbaren Fachkräften trennen müssen, um in dieser Rezession zu überleben. Um diese Fachkräfte werden sie wieder schwer kämpfen müssen.
Stirbt der Mittelstand langsam aus?
Er stirbt keinesfalls aus, er hält sich – salopp gesagt – verdammt gut. Er hat aber Federn gelassen wie die ganze Wirtschaft. Unter dem Strich sinkt derzeit die Unternehmenszahl, dies liegt aber an der schlechten Lage der Bauindustrie.
Laut der Studie, die Sie für den BDI und Ernst & Young erstellt haben, wurden knapp 24 Prozent der Industrieunternehmen nach 1991 gegründet …
Das ist in der Tat verblüffend. Ich kann dies nicht begründen, ich kann es nur beschreiben. Es ist eine neue Generation von Industrieunternehmen, in denen industrielle Fertigung und Dienstleistung eine extreme Symbiose eingegangen sind. Es sind stark kundenorientierte Betriebe, die die Grenze, die man früher zwischen New und Old Economy gezogen hat, eingerissen haben. Es ist aber zweifelsfrei Industrie – die bezeichnen sich selbst so.
Als was definieren Sie diese neugegründeten Unternehmen?
Ich nenne sie die junge Industrie. Es ist eine neue Unternehmensform. Diese Unternehmen sind meiner Meinung nach Ausdruck für die Vitalität der Industrie insgesamt: Sie beschäftigen meist nicht mehr als 10 bis 15 Mitarbeiter, sie haben in der Regel einen sehr begrenzten Kundenkreis, oft nur drei bis fünf, sie kooperieren eng mit den Kunden. Sie sind nicht hochinnovativ, aber tendenziell IT-lastig …
… sprichwörtliche junge Wilde?
Eher nicht. Die machen ganz ernsthaft Wirtschaft, das ist kein Hype. Die besitzen enormes technisches Know-how und verfahren betriebswirtschaftlich nach dem Lehrbuch. Meist hegen sie eine angloamerikanische Einstellung zur Beschäftigung: Da muss jeder Mitarbeiter 100-prozentig zum Team passen.
Wie steht es um die Innovationskraft des klassischen Mittelstands?
Lege ich die ganz rigiden Definitionen für Forschung und Entwicklung zu Grunde, sehe ich im Mittelstand kein Pioniertum. Was dort mehr Bedeutung hat, ist die weiter gefasste Auslegung von F+E: die Anpassung bestehender Produkte und Prozesse an neue Bedürfnisse und Möglichkeiten. Die Variation ist die Stärke, nicht die Innovation. Wenn man bedenkt, welche Aufwendungen nötig sind, um neue Produkte zu entwickeln, sieht man einen Nachteil des Mittelstands.
Stichwort Finanzierungs-Notstand: Welches Ende nimmt das?
Wenn ich das wüsste … Ich bin sicher, dass es nach wie vor eine Kreditversorgung des Mittelstands durch den Finanzsektor geben wird – aber nicht mehr zu den Konditionen wie früher. Die Preise werden sehr viel differenzierter werden. Die Eigenkapitalquoten müssen sich zudem so verschieben, dass die Firmen einen Rating-Prozess überstehen, um Fremdkapital aufnehmen zu können.
Von wo droht sonst noch Gefahr?
Eine Frage ist, wie der Mittelstand zukünftig seine größte Stärke, die Flexibilität, ausspielen kann. Das Flexibilitäts-Potenzial wird eingeschnürt durch gesetzliche Vorschriften. Wenn wir uns den Kündigungsschutz ansehen: Da können sich die Unternehmen bei veränderter Auftragslage von der Beschäftigtenzahl her kaum an neue Bedingungen anpassen.
Um das früher drängende Thema Nachfolge ist es still geworden. Dabei sind über 80 Prozent der mittelständischen Betriebe familiengeführt. Wie klappt jetzt der Generationswechsel?
Das Thema hatte vor Jahren eine enorme Popularität. Nun erkennen die Akteure, dass man über einen bestimmten Grad der Sensibilisierung nicht hinauskommt. Nach wie vor ist es für viele Unternehmer eine Tabuzone; dies hängt mit der Frage nach der eigenen Endlichkeit zusammen. Aber generell gilt: In der Öffentlichkeit ist seit Mitte der 90er-Jahre viel in Bewegung gekommen. Es hat sich eine Beratungsinfrastruktur etabliert, das Wissen ist stark gewachsen. Wenn es jetzt nicht so läuft wie es sollte, dann liegt es an den Unternehmern selbst.
Wo hat denn der klassische Mittelstand sein größtes Handicap?
Ich sehe hauptsächlich Wettbewerbsnachteile, die durch die technische Entwicklung verursacht werden. Der technische Fortschritt versetzt Großunternehmen in die Lage, genauso schnell, genauso individuell und qualitativ hochwertig zu fertigen wie sonst nur der klassische Mittelständler – und das möglicherweise zu günstigeren Preisen. Bis in die 80er-Jahre hinein standen Mittelständler nur in Konkurrenz zu Unternehmen ähnlicher Größe. Heute stehen sie auch in Konkurrenz zu Global Playern.
Wo liegt die größte Herausforderung?
Die sehe ich ganz klar in der Globalisierung. Das ist ein Januskopf. Der industrielle Mittelstand, der ja schon in weiten Teilen auf Auslandsmärkten aktiv ist, hat dort Nachholbedarf. Er hat noch nicht ausgeschöpft, was denkbar und möglich ist. Je kleiner das Unternehmen ist, desto eher macht da die Ressourcen-Knappheit – Geld und Personal – einen Strich durch die Rechnung. Ein weiterer Punkt ist das mangelnde Bewusstsein für fremde Märkte und Kulturen. Deshalb gehen viele lieber als Tausendster in einen hochbesetzen EU-Nachbarstaat, anstatt zu fragen: Wie läuft das denn so in Brasilien?
Was können die Betriebe tun?
Es gibt heute mehr Auslandskooperationen zwischen Mittelständlern als früher, das ist ein gutes Zeichen. Der Mittelstand tut sich mit Kooperationen nicht mehr so schwer wie vor 15 Jahren. Da hat ein Quantensprung stattgefunden. Der Herr-im-Hause-Standpunkt ist heute in den Betrieben nicht mehr modern.
Gibt es ein Erfolgsrezept?
Eigentlich nicht. Beim Management-Know-how hat der Mittelstand sicher Nachholbedarf. Das scharfe Kalkulieren kommt oft erst an zweiter Stelle, an erster Stelle steht das Gefühl, die richtige Nase. Und die kann ich vielen Unternehmern halt nicht absprechen. Für die BDI-Studie haben wir besonders erfolgreiche Unternehmen untersucht. Das Ergebnis: Unter den Erfolgreichen gibt es welche, die überhaupt nichts professionell erledigen und solche, die alles nach Lehrbuch richtig machen. Ich denke, der Erfolg liegt an den handelnden Personen. Da sitzt einfach die richtige Person an der richtigen Stelle.
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