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Keramik hilft – aber nur im richtigen Design

Verschleissarmes Lager: fertigpressen ohne nacharbeit
Keramik hilft – aber nur im richtigen Design

Mit seinen außergewöhnlichen Eigenschaften ist technische Keramik dem Metall in vielem überlegen. Doch Vorsicht: Eins zu eins zu substituieren, führt oft nicht zum Ziel. Häufig hängt der Nutzen von kleinen konstruktiven Änderungen ab. Das zeigen Beispiele aus der Praxis.

Der Einsatz von technischer Keramik bietet ein großes Potential zur Optimierung technischer Systeme. Besonders hervorzuheben sind die geringe Dichte und die hohe Härte der Werkstoffe, ihre Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit, die möglichen hohen Einsatztemperaturen und die in der Regel gute thermische und elektrische Isolationsfähigkeit. Damit tragen Keramiken einen bedeutenden Part zur Verbesserung von Produkteigenschaften bei, zum Beispiel als Komponenten in der Medizin- und Automobiltechnik, im Maschinen- und Gerätebau und in der Elektronikindustrie.

So konnten beispielsweise Lebensdauer und Wirkungsgrad der elektrischen Benzinpumpe wesentlich gesteigert werden, indem die Kunststoffseitenplatte durch Keramik ersetzt wurde. Gleichzeitig ist der Geräuschpegel gesunken. Ein weiteres Beispiel für den erfolgreichen Keramik-Einsatz ist die Lagerung der Abgasklappe bei der Abgasregelung. Sie reguliert speziell in der Warmlaufphase des Motors die Bypassmenge des Abgasstroms. Die Betriebstemperatur beträgt etwa 500 °C. Herkömmliche Werkstoffe versagten in diesem Umfeld. Nur der Werkstoff Zirkonoxid mit seinen hervorragenden thermischen Eigenschaften, seiner recht hohen Wärmedehnung und seiner Widerstandsfähigkeit ermöglichte eine einwandfreie Lagerung. Darüber hinaus lassen sich noch viele weitere Anwendungen nennen, in denen technische Keramik einen Durchbruch brachte, beispielsweise Ventilplatten für Common-Rail-Einspritzsysteme, Dicht- und Regelscheiben in Benzin- und Kühlwasserpumpen, hochverschleißfeste Transportrollen und Umformwerkzeuge, Komponenten für Textilmaschinen, Hüftgelenkkugeln und -pfannen, Sicherungskörper für die elektrische Isolation und Schneidstoffe zum Bearbeiten von Gusswerkstoffen.
Sollen jedoch metallische Komponenten durch keramische ersetzt werden, etwa um die Verschleißeigenschaften zu verbessern, so ist es wichtig, über das Bauteildesign nachzudenken. Denn was bei der Formgebung von Metallen möglich und machbar ist, lässt sich nicht unbedingt kostengünstig eins zu eins in eine keramische Version umsetzen. Elementar ist die Festlegung der wichtigen Bauteilanforderungen: Wo müssen bestimmte Oberflächengüten erreicht werden? Welche engen Maßtoleranzen an welcher Stelle sind wirklich nötig? Können Toleranzforderungen in den metallischen Partner verlegt werden? Lässt sich die Konstruktion so auslegen, dass das Keramikteil eher unter Druck als Zug steht? Und wie sieht eine möglichst einfache Form aus, die alle Funktionen erfüllt? Am besten gelingt dies, wenn sich Anwender und Keramikhersteller in einer frühen Phase mit diesen Fragen auseinandersetzen und gemeinsam ein keramikgerechtes Design entwickeln.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Überführung eines metallischen Bauteils in eine keramikgerechte Konstruktion ist das im Bild gezeigte selbstjustierende Lagerelement für eine Klappe. Zunächst wurde das metallische Design 1:1 auf das keramische Bauteil übertragen, um die Materialeigenschaften in der Anwendung zu prüfen (mittlere Variante). Die Rundung der Außenfläche ist eine wichtige Funktion, die dafür sorgt, dass sich das Lager in der Buchse selbst ausrichtet. Allerdings kann die Rundung nicht fertiggepresst werden, wenn ihre Geometrie der des Metallteils entspricht. Sie lässt sich dann nur durch Pressen eines Zylinders mit anschließendem Bearbeiten herstellen. Der Wunsch lag nahe, diesen zeit- und kostenintensiven Bearbeitungsschritt einzusparen. Es wurde ein fertigpressbares Keramik-Bauteil entwickelt, das sich ohne zusätzliche Bearbeitung fertigen lässt. Möglich wurde dies durch Ändern der Krümmung. Die Funktion der Selbstjustage blieb erhalten und der Herstellprozess vereinfachte sich, auch wenn die Gestalt des Keramik-Bauteils auf den ersten Blick komplexer aussieht als zuvor. Zusätzlich wurde Rohstoff eingespart, weil kein Material mehr abgedreht werden muss.
Wird die Funktion der Selbsjustage nicht benötigt, ist ein zylindrisch ausgeführtes Lager die einfachste Lösung. Prozesstechnisch lässt es sich am leichtesten realisieren.
Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich Sanitärarmaturen: Aus dem früher metallischen Kugelventil wurde ein keramisches Flachschiebeventil. Die Kugelform würde in Keramik eine Grünbearbeitung und zusätzlich eine relativ teure Hartbearbeitung der gekrümmten Außenflächen erfordern. Das flache Design der neuen Lösung hingegen macht die Grünbearbeitung überflüssig. Das Bauteil kann fertig gepresst werden, und die Hartbearbeitung der flachen Funktionsflächen gestaltet sich wesentlich kostengünstiger. So wurde das Flachventil zum Stand der Technik und wird heute in Millionen Stückzahlen gefertigt.
Eine grobe Abschätzung über die kostenrelevanten Einflüsse auf die Konstruktion bietet die Tabelle links. Je niedriger die in Stufen eingeteilten Anforderungen an das keramische Bauteil sind, desto kostengünstiger lässt sich das Teil fertigen. Neben den grundlegenden Forderungen an eine keramikgerechte Konstruktion, wie nach einfachen Formen, weiten Toleranzen und nach Verzicht auf eine teure Hartbearbeitung, gibt es selbstverständlich etliche weitere Regeln, mit denen sich die Konstrukteure befassen müssen.
So sollten Spannungsspitzen vermieden werden, da sie nicht durch plastisches Verformen abgebaut werden können wie bei den Metallen. Für die Konstrukteure bedeutet dies, dass sie Ecken, scharfe Kanten und plötzliche Querschnittsänderungen wie Stufen und Absätze vermeiden müssen. Die Kräfte sollten großflächig eingeleitet werden. Von Vorteil ist auch, wenn das keramische Bauteil auf Druck statt auf Zug belastet wird. In der Regel können keramische Werkstoffe das 10-fache der maximalen Zugspannung als Druckspannung aushalten, ohne zu versagen und sich zu verformen.
Außerdem gilt zu beachten, dass bei der Keramik die Formgebung vor einem thermischen Prozess erfolgt, dem Sintern. Dabei schwindet das Bauteil bei Temperaturen von bis zu 2100 °C um bis zu 25 %. Um ungleichmäßiges Schwinden und Verzug zu vermeiden, sollten Materialanhäufungen vermieden werden. Das Bauteil sollte also im Idealfall gleichmäßige Wanddicken aufweisen und keine Querschnittssprünge haben.
Dr. Ilka Lenke Abteilungsleiterin Technologiemanagement bei der CeramTec AG, Plochingen

Neue Technologien
An der richtigen Stelle eingesetzt, kann technische Keramik Wunder wirken: da, wo eine extrem hohe Verschleiß-, Hitze- oder Chemikalienbeständigkeit gefordert ist. Das beste Beispiel sind die heutigen Sanitärarmaturen, die jahrelang halten, ohne Probleme zu machen. Allerdings ist das Substitutieren von Metall durch Keramik nur dann erfolgreich, wenn eine wichtig Bedingung beachtet wird: Es muss keramikgerecht konstruiert werden.
Industrieanzeiger
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