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Klebefuge soll auf- und zugehen wie ein Zipper

Klebstoffverband Feica sieht großes Einsatzpotenzial im Maschinenbau
Klebefuge soll auf- und zugehen wie ein Zipper

Klebefuge soll auf- und zugehen wie ein Zipper
Prof. Heinrich A. Flegel, Daimler-Chrysler: „Wir haben uns entschieden, in jedem neuen Auto zu kleben“
Der Klebstoffverband Feica erwartet bis 2006 ein jährliches Umsatzwachstum von 4 % – und zwar vor allem im Automobil- und Maschinenbau. Neuester Trend ist das Kleben und Entkleben auf Kommando.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß – olaf.stauss@konradin.de

Bonding is good for cars.“ Mit diesen Worten fasste Professor Heinrich Flegel von der Daimler-Chrysler AG seine Rede zusammen, die er auf der Jahreskonferenz des europäischen Klebstoffverbandes Feica hielt. Die „Fédération Européenne des Industries de Colles et Adhésifs“, die 480 Unternehmen mit 32 000 Beschäftigten und rund 6 Mrd. Euro Umsatz repräsentiert, hatte den Technik-Manager nach Florenz eingeladen. Passend zum Motto „Bonds for the future“ sollte er die 380 Tagungsteilnehmer über die wachsende Bedeutung des Klebens im Automobilbau informieren. Flegel, zuständig für die F+E-Aktivitäten des Konzerns in der Produktion, brachte Fakten aus Stuttgart mit: Schon jetzt befinden sich im S-Klasse Coupé insgesamt 90 m strukturelle Klebefugen neben 1870 mechanischen Fügepunkten und 100 Schweißpunkten. Und dabei soll es nicht bleiben. „Wir haben uns entschieden, in jedem neuen Auto zu kleben“, sagte Flegel. Ein Hauptgrund ist der Materialmix, der moderne Leichtbau-Konstruktionen kennzeichnet.
Kleben erhöht die Steifigkeit von Fahrzeugen
Im S-Klasse Coupé bestehen die Kotflügel aus Kunststoff, die Seitentüren außen aus Aluminium und innen aus Magnesium. Stahl findet sich im Chassis und in den Längs- und Querträgern. Um alle Materialien zu verbinden, braucht es ein universelles Verfahren, das die Leichtbauteile weder thermisch noch mechanisch schwächt. Fast zwangsläufig bietet sich hier das Kleben an. Klebstoffe erleichtern zugleich den modularen Aufbau, weil sie Toleranzen im Zusammenbau ausgleichen können.
Noch ein Vorteil: Da die Fügekräfte flächig eingeleitet werden, haben geklebte Strukturen eine höhere Steifigkeit. „Mit wenigen Gramm Klebstoff erzielen wir dieselbe Wirkung wie früher mit verstärkten Paneelen“, sagte Prof. Flegel. Den Zugewinn an statischer Steifigkeit bezifferte er mit Werten zwischen 15 und 30 %, je nach Modell. Der Daimler-Chrysler-Ingenieur, der nebenbei Vorlesungen an der Uni Stuttgart hält, erwartet also viel vom Kleben. Er nannte aber auch die noch ungelösten Aufgaben: „Wir brauchen dringend zuverlässige Simulationsmodelle. Nur wenn wir die Eigenschaften geklebter Verbindungen voraussagen können, wird das Kleben große Bedeutung erlangen.“
Mit diesen Aussagen erfüllte Flegel genau die Erwartungen der Feica-Funktionäre, rührte jedoch auch an ein Verbandsproblem. Ansgar von Halteren, General Secretary der Feica und Geschäftsführer des Düsseldorfer Industrieverband Klebstoffe (IVK) e.V., hatte einleitend zwar gesagt: „Wir wünschen uns, dass die Kunden auf uns zugehen und sagen, was sie brauchen.“ Doch andererseits betonte er: „Wir sind ein Verband der Anbieter und nicht der Anwender.“ Soviel wurde in Florenz jedenfalls klar, dass von der Feica keine Initiative ausgehen wird, um Fragen der Anwendungstechnik zu lösen – auch wenn der Verband bis 2006 ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 4 % erwartet und dabei auf den Maschinen- und Automobilbau setzt. Die Warnung, dass eine Chance verpasst werden könnte, kam denn auch von anderer Seite. Eric Rozier von der National Starch & Chemical S.A.S meinte: „Die Automobilindustrie sucht starke Partner, die gestalten, produzieren und liefern können. Die Klebstoff-Lieferanten sollten diese Chance nutzen und als Spezialisten innovative Lösungen anbieten.“ Der Franzose riet dazu, Experten-Netzwerke zu bilden und Partnerschaften einzugehen.
Vieles in der Klebstoffwelt geschieht durch kleine, spezialisierte Nischen-Anbieter. Den größten finanziellen Handlungsspielraum hat aber zweifellos die Henkel KGaA, Düsseldorf, aufgrund ihres riesigen Umsatzes mit Massenklebstoffen. Sie hält auch die Mehrheit an der vor zwei Jahren gegründeten Forschungsgesellschaft Sustech GmbH & Co. KG in Darmstadt, an der die TU Darmstadt mit 10 % beteiligt ist – ein Novum in der Hochschullandschaft.
Mikrowellen härten die Klebefuge aus
Sustech entwickelt Klebstoffe, „die sich wie ein Reißverschluss öffnen und schließen“ lassen werden, wie Geschäftsführer Dr. Peter Christophliemk in Florenz erklärte. Der erste, bereits realisierte Schritt dazu ist das „Kleben auf Kommando“: Die Darmstädter haben Schmelzklebstoffe entwickelt, die sich mit Mikrowellenstrahlen auf präzise voreingestellte Temperaturen aufheizen lassen – und zwar direkt in der Klebefuge. In Tests härten sie um den Faktor 8 bis 10 schneller aus als konventionelle Hotmelts. Die Festigkeitswerte bleiben dabei unverändert. Der Trick: Die Klebstoffe sind mit superparagmagnetischen Nano-Ferriten angereichert. Diese Nanopartikel können die Energie elektromagnetischer Strahlung absorbieren und dosiert in Wärme umsetzen. Ein „Entkleben auf Kommando“ funktioniert dann nach demselben Muster. Nur die Zieltemperaturen sind höher, um die Bindungen aufzulösen. Christophliemk bietet der Industrie Entwicklungspartnerschaften an.
Klebstoffindustrie ist dabei, Chancen zu verspielen
Daimler-Chrysler bescheinigt den Klebstoffherstellern, dass ihre Produkte Zukunft haben. Dürfen sie sich nun glücklich schätzen? Das könnten sie, wenn sie alle Hebel in Bewegung setzen würden, um die offenen Probleme der Anwender zu lösen. Dann stünden neue Märkte offen. Doch der Verband Feica versteht sich vor allem als Lobbyist und startet keine technischen Projekte. Von selbst werden Klebstoffe aber nicht zum Verkaufsschlager in der Technik. Hier gilt es, noch bahnbrechende Entwicklungsarbeit zu leisten. Die Feica könnte sich ein Beispiel am VDMA nehmen, der mit seiner vorwettbewerblichen Gemeinschaftsforschung die Rolle eines Vorreiters übernimmt. Oder an der Ulsab-Initiative der Stahlhersteller, die sogar eigene Konstruktionsvorschläge machen, um ihr Produkt zu verkaufen. Wenn nichts passiert, laufen die Automobilbauer den Feica-Mitgliedern noch beim Know-how den Rang ab. Dann aber (k)lebe wohl, Feica.
Olaf Stauß – olaf.stauss@konradin.de
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