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„Kombinieren statt polarisieren“

Prof. Höhn: Kleine änderung im Wirkungsgrad – grosser Effekt beim Energieverbrauch
„Kombinieren statt polarisieren“

Jedes Lager, jedes Zahnrad spielt eine Rolle, wenn der CO2-Ausstoß von Fahrzeugen sinken soll. Getriebe- und Antriebsexperte Prof. Bernd- Robert Höhn von der TU München nennt technische Ansatzpunkte und Strategien für Verbesserungen.

Herr Professor Höhn, welche Ansätze haben die größten Aussichten, den Energieverbrauch von Fahrzeugen zu senken?

Im Augenblick dreht sich die öffentlich Diskussion vor allem um Hybridantriebe, die im Stadtverkehr bis zu 15 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen und damit einen spürbaren Effekt auf das Portemonnaie des Kunden haben. Das größte Potenzial haben insgesamt gesehen aber Verbesserungen im Wirkungsgrad von Getrieben, Zahnrädern, Lagern und Dichtungen, denn die wirken sich bei allen Geschwindigkeiten und Fahrzuständen aus. Der Kunde selbst merkt das zwar kaum, weil wir hier nur von Veränderungen um ein bis drei Prozent sprechen. Für den CO2-Ausstoß und den Verbrauch der Energie ist dieser Ansatz aber viel wichtiger als Autos mit Hybridantrieb.
Ist das Thema Leichtbau vor diesem Hintergrund ein alter Hut?
Keineswegs, es muss viel intensiver angegangen werden als im vergangenen Jahrzehnt. Das Gewicht des Fahrzeugs beeinflusst den Verbrauch direkt und in jeder Fahrsituation. Daher dürfen die Fahrzeuge nicht weiterhin schwerer werden, wie es zuletzt der Fall war.
Welchen Anteil haben mechanische Komponenten am Energieverbrauch?
Um die Antwort im richtigen Zusammenhang zu sehen, muss man Motor- und Getriebebereich trennen. Aus physikalischen Gründen kann im Motor nie mehr als 42 Prozent der chemischen Energie aus dem Tank in mechanische Energie umgewandelt werden. Etwa 58 Prozent gehen über das Kühlwasser und die Abgase als Wärme verloren. Die größten Verluste haben wir also hier, ohne etwas dagegen tun zu können. Im Umfeld des Schaltgetriebes haben wir hingegen heute einen Wirkungsgrad von 95 Prozent, also nur fünf Prozent Verluste. Dennoch gibt es an all den Stellen, wo diese Verluste durch Reibung an beweglichen Teilen verursacht werden, noch etwas zu verbessern: Mit neuen Konzepten und Simulationsprogrammen kann man die Verluste noch halbieren. Auch wenn es nach wenig klingt: Eine Wirkungsgradsteigerung um zwei oder drei Prozent bei allen PKW wäre gesamtwirtschaftlich gesehen ein toller Erfolg.
Wie wäre das technisch zu erreichen?
Neue Konzepte mit weniger bewegten Teilen im Antriebsstrang erzeugen weniger Reibungsverluste. An den Elementen des Antriebsstranges selbst können diese Verluste durch andere Verzahnungsgeometrien, glattere Oberflächen und reibungsmindernde Schichten verringert werden.
Welche Veränderungen würde das in der Fertigung erforderlich machen?
In zusätzliche Fertigungseinrichtungen zum Glätten und Beschichten von Oberflächen müsste investiert werden. Die Technologien sind vorhanden und verfügbar.
Würden sich solche Veränderungen an den mechanischen Komponenten auf die Kosten eines Automobils auswirken?
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Die zusätzliche Fertigungsprozedur Gleitschleifen würde in Zahnrad in der Großserie der Automobilgetriebe um etwa 30 bis 40 Cent verteuern. Das Getriebe würde um vier bis fünf Euro teurer.
Sie haben die Bedeutung des Leichtbaus angesprochen. Welche Potenziale ste cken im Gewicht des Antriebsstranges?
Das ist schwer zu verallgemeinern. Sie können versuchen, eine Funktion mit weniger Teilen zu erfüllen, oder die Teile an sich leichter machen. Heute setzt man schon vorgeschmiedete Zahnräder ein, die an den weniger belasteten Stellen weniger Material aufweisen. Der Herstellprozess wird natürlich teurer – doch wird er sich bei großen Stückzahlen sicher rechnen, vor allem angesichts der steigenden Kosten für die Werkstoffe. Dass beim Gewicht noch etwas zu holen ist, hat ZF kürzlich gezeigt. Das neue 8-Gang-Automatik-Getriebe ist trotz zusätzlicher Zahnräder sogar leichter als die Vorgängerversion mit sechs Gängen. Aber hier muss man immer im Einzelfall nachsehen. Magnesium als Gehäusewerkstoff wäre auch ein Ansatzpunkt, um das Gewicht zu reduzieren.
Sie planen ein Großprojekt mit Partnern an mehreren Hochschulen, in dem der Verlust im gesamten Antriebsstrang um 30 Prozent gesenkt werden soll. Wie wichtig ist die Arbeit am Gesamtsystem?
Betrachtungen des Gesamtsystems versprechen große Erfolge. Wir werden uns in diesem Projekt zum Beispiel auch den zahlreichen Kleinantrieben widmen, die in modernen Fahrzeugen eingebaut sind und jeweils mit Getrieben ausgestattet sind. Der Wirkungsgrad dieser Kleinantriebe ist heute sehr schlecht, daher schätzen wir das Verbesserungspotenzial so hoch ein.
Ist es sinnvoll, Verbesserungen wie reibungsarme Radlager sofort in der Praxis zu nutzen, oder sollten Automobilhersteller auf einen großen Wurf beim Antriebsstrang warten?
Neue Komponenten müssen natürlich sicher ausgelegt sein und den gleichen Belastungen standhalten wie ihre Vorgänger. Sobald dies aber geklärt ist, muss ein Automobilhersteller selbstverständlich auch kleine Verbesserungen sofort in die Serie übernehmen.
Wo immer es möglich ist, versuchen Entwickler, mechanische Elemente durch Elektronik zu ersetzen, nicht zuletzt um das Gewicht zu reduzieren. Welche Rolle werden die mechanischen Komponenten in der Zukunft noch bei der Weiterentwicklung der Automobile spielen?
Mechanische Komponenten werden auch in zukünftigen Fahrzeugen enthalten sein. Überall dort, wo Massen bewegt werden, große Kräfte und Momente erzeugt werden müssen, werden auch Getriebe, also Momentenwandler, benötigt. Elektrische Stellantriebe bauen dann klein und leicht, wenn sie mit hohen Drehzahlen betrieben werden können. Es kommt also auf die richtige Kombination aus Elektromotor und Getriebe an. Die Elektronik ersetzt immer mehr die mechanischen, hydraulischen und pneumatischen Steuerungs- und Regeleinheiten. Der Informationsfluss in einem Automobil wird heute durch elektronische Komponenten wie die Can-Bus-Techniken gewährleistet. Hier benötigt man keine Mechanik mehr.
Bei Hybridantrieben sehen Experten die japanischen Hersteller an der Spitze. Sind die hiesigen Anbieter und ihre Zulieferer bei den Entwicklungen auf der mechanischen Seite gut aufgestellt?
Toyota und Honda haben als erste den Kunden einen Hybridantrieb angeboten. Hier sind die Entscheidungen zum Serieneinsatz in den 90er Jahren gefallen. Dies hat in den deutschen Konzernen gefehlt. Die guten Ideen der Hybridforscher in den deutschen Konzernen und an den Universitäten sind nie in einer Serienentwicklung umgesetzt worden. Erst in den vergangenen Jahren hat in den Führungsetagen ein Sinneswandel eingesetzt. Vielleicht hat der Druck des Marktes dazu beigetragen, denn Toyota hat durch den Prius-Hybrid sein Image als umweltbewusster Konzern aufgebaut. Tatsache ist, dass in den nächsten zwei Jahren – endlich – auch einige deutsche Konzerne Fahrzeuge mit Hybridantrieb anbieten werden. Hybridantriebe können bei Stop-and-Go-Verkehr oder im innerstädtischen Bereich bei geringen Leistungsanforderungen 15 bis 20 Prozent Kraftstoffeinsparungen erreichen. Das gilt für Otto- und Dieselmotoren. Hier sollte man nicht polarisieren und den normalen Dieselantrieb gegen den Hybridantrieb stellen. Zur Reduzierung des CO2-Ausstosses muss man die verbrauchsgünstigsten Verbrennungsmotoren, also Diesel, mit dem optimalen Antriebsstrang, dem Hybrid, kombinieren. Hier kann man nur sagen: Kombinieren statt polarisieren.
Welche Entwicklungen werden Ihrer Ansicht nach in Zukunft eine Rolle spielen?
Erstens: Um den Hybridantrieben zum Durchbruch zu verhelfen, müssen die elektrischen Energiespeicher – Batterien, Supercaps, also Kondensatoren – deutlich verbessert und verbilligt werden. Die Wirkungsgrade der Elektromotoren inklusive der nötigen Leistungselektroniken müssen gesteigert werden. Zweitens: Die Brennstofftechnologie ist erst in weiter Zukunft als Energiequelle in Fahrzeugen zu erwarten. Hier bin ich überzeugt, dass die von BMW favorisierte Lösung, anstelle der heutigen Batterie die Brennstoffzelle zur Versorgung des Bordnetzes einzusetzen, die bessere Lösung ist, als sie als Fahrantrieb einzusetzen. Drittens: Der Leichtbau in Fahrzeugen wird es ermöglichen, den Down-Sizing-Trend bei den Verbrennungsmotoren zu verstärken und insgesamt zu leichteren Antriebssträngen führen, obwohl das Beschleunigungsvermögen der Fahrzeuge, also die Sportlichkeit oder Driveability, sich weiter verbessert.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
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