Als Jungredakteur Mitte der 80er-Jahre wählte ich mir die Finger wund, um relevante Informationen einzuholen. Bis zu 20 Telefongespräche waren an der Tagesordnung. Heute klingelt mein Telefon nur noch selten. Und wenn, dann lautet die meistgestellte Frage: „Ich habe Ihnen vor zwei Wochen eine E-Mail geschickt…“ Eine Mail! Eine von 45 000, die mich pro Jahr erreichen – im Schnitt 250 täglich, wenn man von 225 Arbeitstagen ausgeht. Die Spam-Mails sind bereits herausgefiltert. Das Durchkämmen des elektronischen Postfachs ist kaum mehr zu schaffen. Während mich am ersten Arbeitstag nach einem mehrwöchigen Urlaub die E-Mail-Flut fast erdrückt hat, starten Mitarbeiter von Daimler nach den Ferien mit einem sauberen Arbeitsplatz und ohne Stau im Postfach. Der Autobauer stellte es seinen Mitarbeitern frei, eingehende Mails im Urlaub löschen zu lassen. Das Beispiel zeigt, dass sich mit gutem Willen der Teufelskreis durchbrechen lässt. Auch verordnete E-Mail-Pausen nach Feierabend sind ein Weg, damit die moderne Kommunikationstechnik nicht die alleinige Macht übernimmt. Volkswagen, Audi, Continental, Bosch oder Evonik gehen löblich voran. Unternehmen, die derartige Vereinbarungen mit ihrer Belegschaft treffen, wissen, dass auch die Kreativität unter dem permanenten Getriebensein leidet. Zwar trägt die Technik selbst keine Schuld. Doch es entsteht eine Anforderungsspirale, der sich die Mitarbeiter nicht immer ganz unfreiwillig aussetzen, und die schlimmstenfalls in einer Erschöpfungsdepression münden kann. Offenbar schützen nur klare Maßstäbe und Regeln die Gesundheit gegen gefährlichen Dauerstress. •
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