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Konstruktionskosten auf viele Schultern verteilt

Antriebssysteme erleichtern Automatisierung und Konstruktion
Konstruktionskosten auf viele Schultern verteilt

Statt ein Positionier- oder Handlingsystem selbst zu entwerfen, könnte ein Konstrukteur seine Arbeit mit fertigen Lösungen beschleunigen. Anbieter solcher Systeme gibt es bereits – sogar für den Werkzeugmaschinenbau, obwohl dort Standardlösungen weniger gefragt sind.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Kleberaupen auftragen, Teile fügen und weiterreichen – auch bei kleineren Aufgaben könnte sich ein Automat rechnen. „Die Automatisierung kommt aber oft nicht zu Stande, weil Mitarbeiter in der Betriebsmittelkonstruktion zu wenig Erfahrungen im Auslegen von Antrieben haben und ein Sondermaschinenbauer zu teuer wäre“, sagt Tilmann Wolter, Geschäftsführer der Systec GmbH in Münster.
Für solche Fälle bietet der Elektroingenieur und Steuerungsexperte mit seinen 12 Mitarbeitern eine Alternative an: Drei Jahre lang hat sein Team mit bulgarischen Ingenieuren der Technischen Universität Sofia Vorarbeit geleistet und Positioniersysteme konstruiert. Rund 36 000 Varianten umfasst heute ihre Palette getesteter Lösungen, die Bewegungen an einer Achse, in der Ebene oder im Raum ausführen. „Dafür, dass jedes unserer Drive-Sets funktioniert, übernehmen wir die volle Verantwortung“, betont Wolter.
Das sei eine echte Hilfe für Konstrukteure, die üblicherweise Maschinen in der Stückzahl eins entwickeln und sich nicht tagtäglich mit den Tücken von Antriebssystemen herumschlagen müssen – und daher im Ernstfall bis zu zehn Wochen bräuchten, um ein funktionierendes System zu erstellen. Wer hingegen auf vorkonstruierte Sets zurückgreift, könne die funktionsbereite Automatisierung schon binnen drei Wochen erreicht haben.
Neben den Betriebsmittelkonstrukteuren sieht Systec-Geschäftsführer Wolter die Sondermaschinenbauer als Anwender seiner Positioniersysteme. Die Kernkompetenz der Experten für Sonderfälle liege in ausgefeilten Technologien. „Wer sich auf Lasertechnik oder Düsensysteme zum Auftragen von Klebstoffen spezialisiert, kennt sich nicht zwangsläufig mit den Möglichkeiten heutiger Antriebssysteme aus“, so der Geschäftsführer. Daher sei hier mit den vormontierten Positioniersystemen viel Zeit zu sparen.
Einen Nachteil muss der Konstrukteur dabei jedoch in Kauf nehmen. „Wenn jemand auf den Motor eines bestimmten Herstellers fixiert ist, wird er unter Umständen nicht unser Kunde werden.“ Zwar baut auch Wolter seine Drive-Sets aus den Komponenten verschiedener Hersteller auf. Weil aber jedes Set für eine bestimmte Aufgabe konstruiert wurde, haben die Münsteraner die Motoren, Führungen und andere Bauteile gezielt dafür ausgewählt. Verständnis hat der Geschäftsführer, wenn sich ein Unternehmen auf einen Lieferanten festlegen will, um das Ersatzteillager klein zu halten. Trotzdem bleibt er hart: „Es rechnet sich nicht, unsere Systeme im Nachhinein zu verändern.“
Geplante Veränderungen gibt es dennoch an der Drive-Set-Palette, die jüngst Zuwachs bekam. Aus einem Projekt, das mit einem Forscher aus dem Fachbereich Chemie der Universität Münster lief, leitet sich eine neue Variante ab: Anstelle zweier Linearachsen wird für Bewegungen in der Ebene ein Planarmotor eingesetzt, der präzise positioniert und Werkstücke dank der Magnetkräfte trotz einwirkender Kräfte am Platz hält. „So ein Positioniersystem lässt sich auch für schnelle Bestückungsaufgaben nutzen. Oder für eine Montageanwendung, bei der der Planarmotor über Kopf eingesetzt wird und einen Greifer in Position bringt.“
Im nächsten Schritt sind rotative Achsen als Ergänzung der Drive-Sets geplant. Ein Rundtakttisch für Montagevorgänge kommt dafür infrage. „Danach“, sagt Wolter, „werden wir auch Handachsen in das Programm aufnehmen, die Dreh- und Schwenkbewegungen ausführen können.“
An der Zeitersparnis in der Konstruktionsabteilung setzt auch die Esslinger Festo AG & Co. an. Die Antriebshersteller verkaufen weiterhin Automatisierungskomponenten wie Ventile und Zylinder. Darüber hinaus bieten sie jedoch an, Handhabungssysteme komplett zu liefern, und übernehmen die Konstruktion, das Montieren, das Verschlauchen und Verkabeln – und integrieren, wenn der Anwender es wünscht, sogar die Intelligenz für die Automatisierung. Alles eine Kostenfrage, wie auch Armin Braun, zuständig für Technik-Marketing, betont: „In Zukunft werden in Deutschland die Lohnkosten viel zu hoch sein, als dass der Mitarbeiter eines Anwenderunternehmens Zeit dafür hätte, ein Handling zu konstruieren und dann noch die Stückliste dafür zu erstellen.“
Um den zusätzlichen Service günstig anbieten zu können, setzt auch Festo auf Standardisierung. Wie die Komponenten aus dem Baukasten am besten zueinander passen, erkennt eine Software, die den beratenden Ingenieur unterstützt, indem sie Systeme mit bis zu drei Achsen zusammenstellt.
Trotz der Standardisierung eignen sich die Handling-Systeme aus dem Baukasten für sehr verschiedene Anwendungen. Denn die Handhabung lasse sich auf die immer gleichen Bewegungen zurückführen, sagt Braun. „Wir haben zum Beispiel das gleiche System an zwei Sondermaschinenbauer geliefert: Der eine setzte Diamanten in Schmuckringe ein, der andere topfte Setzlinge von Salatpflanzen in Schaumstoffträger um.“
Der Einsatz von kompletten Antriebssystemen ist jedoch nicht auf das Positionieren und die Handhabung beschränkt, wie ein Beispiel aus der Werkzeugmaschinenbranche zeigt: Eine Schwenkbewegung der Hauptspindel muss das Entwicklerteam beim Werkzeugmaschinenbauer nicht mehr selbst auslegen. Die Bad Buchauer Franz Kessler GmbH hat auf der Messe Emo in Mailand 2003 eine Spindeleinheit vorgestellt, bei der die Schwenkmöglichkeit integriert ist. Von Baukästen oder vorkonstruierten Systemen ist hier jedoch nicht die Rede. „Wir sind immer Engineering-Partner eines Werkzeugmaschinenbauers, der uns seine Vorgaben für Beschleunigung und Präzision nennt“, betont Geschäftsführer Eckhard Herwanger. Das Know-how der Kessler-Mitarbeiter sei es, diese Anforderungen geschickt zu erfüllen und gegebenenfalls infrage zu stellen, um zu einer optimalen Lösung zu kommen. So sei jedes Produkt aus Bad Buchau eine individuelle Lösung. „Trotzdem haben auch wir unser internes Baukastensystem, mit dem wir den Aufwand für die Konstruktion reduzieren“, erläutert er. „Nur so lohnt es sich für den Maschinenhersteller, uns das Engineering zu übertragen – sonst wären wir zu teuer und zu langsam.“
Ein Systemangebot allein reduziere die Kosten ohnehin nicht, wie Festo-Mitarbeiter Braun betont: „Es hat sich oft gezeigt, dass Anwender eine sehr hohe Präzision fordern.“ Mit den Eckdaten liege aber der Preis für die Anlage zu etwa 70 Prozent fest – und Präzision sei kostspielig, auch wenn die Komponenten als System eingekauft werden. „Daher rate ich allen Anwendern, sich für die Auswahl mehr Zeit zu nehmen. Nur dann kommt am Ende die günstigste Lösung heraus.“
Salatpflanze und Diamant sind fürs Handling kein großer Unterscheid
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