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Liliputtechnik wächst sich zum dreistelligen Milliardenmarkt aus

Mini-, Mikro- und Nanotechnik: Das Rad wird nicht neu erfunden, aber konsequent verkleinert
Liliputtechnik wächst sich zum dreistelligen Milliardenmarkt aus

Dass die Mikrotechnik ein Markt mit Zukunft ist, bestreitet kaum jemand. Zu offensichtlich durchdringt sie unseren Alltag. Dass sie ein höchst profitables Spielfeld für junge Firmen sein kann, ist weniger bekannt. VDMA-Mann Klaus Zimmer erklärt Chancen der Branche.

Von Chefreporter Wolfgang Filì – chefreporter@fili.net

Kennen Sie das Moore’sche Gesetz? Nein? Kein Problem: Auch Klaus Zimmer hatte sich lange nicht damit befasst und trotzdem gut gelebt. Seit Februar führt der gelernte Ökonom und Elektroingenieur nun aber die Geschäfte der neu gegründeten Fachgruppe Micro Technology im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V., Frankfurt/M., und seitdem weiß er die Wachstums- und Verkleinerungs-Regeln seiner Branche punktgenau darzustellen – die von Gordon Moore ist eine davon.
1965 hatte der US-Amerikaner festgestellt, dass die Kapazität eines Computerchips sich alle 18 Monate verdoppelt, dies einer Vervierfachung des Speichervermögens alle drei Jahre entspricht sowie einer Verzehnfachung der Geschwindigkeit jede dreieinhalb Jahre. Vor 37 Jahren, als Moore – damals Mitbegründer und heute Ehrenvorsitzender des High-Tech-Konzerns Intel – sich derart festlegte, nahmen Rechner und Kommunikations-Zentralen noch ganze Wohnzimmer ein, während heute beides bequem in eine Aktentasche passt. Die Miniaturisierung ist diskret und gleichzeitig radikal. Letzteres freilich, sagt Verbands-Mensch Zimmer, liege auf der Ebene des Alltags und werde meist nicht mehr wahrgenommen.
In der Tat macht sich kaum ein Autofahrer noch Gedanken um die quadratmillimeter- großen Chips in der Auslösetechnik seines Airbags, nur wenige Werker um die verschwindend kleinen Abstandsmesser in der Werkzeugmaschine oder Musik-Liebhaber um die Mikrosensoren im CD-Player. Sie funktionieren unauffällig. „Aber wer entwickelt und fertigt die für solches Feinstwerk nötigen Komponenten“, fragt Zimmer.
„Mikro“ ist alles unterhalb 1 mm Kantenlänge
Die Frage ist selbstredend rethorisch. Es sind unter anderen die 48 Firmen, die sich in der Micro Technology-Gruppe zusammengeschlossen haben. Erklärtes Ziel der Neugründung ist es, der noch jungen Branche ein Gesicht und wirtschaftspolitisches Gewicht zu geben. Was diese Unternehmen produzieren, ist wenige Milli-, Mikro- oder Nanometer klein, mitunter fast unsichtbar und lässt sich unter Schlagworte fassen wie Mikrooptik und -robotik, Mikrowerkzeuge und -montage, Mikropumpen und -dosiersysteme, Mikroakustik oder Mikrosensorik. Als „mikro“ gilt dabei alles, was bei Kantenlängen unter 1 mm tadellose mechanische Funktionen bietet. Dass solchen Liliput-Komponenten die Zukunft gehört, hatte bereits 1959 der amerikanische Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman erkannt, als er Ingenieure in aller Welt aufforderte, einen funktionstüchtigen Elektromotor zu bauen, der in einen Würfel unter 0,4 mm Seitenlänge passen sollte. Seinerzeit noch ein verwegenes Ansinnen, werden heute Motoren produziert, die nur mehr einen Bruchteil der von Feynman geforderten Größe haben. Dabei wurde das Rad nicht einmal neu erfunden, sondern vielmehr miniaturisiert.
„Doch genau hier steckt der feine Unterschied“, erläutert Klaus Zimmer. „Entsprechen die Naturgesetze auf der Makro-Ebene der Körpererfahrung des Menschen, muss er sich bei der Fertigung und Montage von Mikro-Teilen sehr viel mehr mit Haft- statt mit Schwerkraft auseinandersetzen.“ Wo ein 100 mm langes Teil aus dem offenen Spannstock sofort herausplumpst, bleibt sein 0,01 mm kleines Pendant einfach an der Backe kleben. Entsprechend Know-how-trächtig ist der Umgang mit den Feinst-Werkstücken. Aber er sichert der Branche ein Wachstum bis zu 20 % pro Jahr.
Die Mikrotechnik ist eine Veredelungsbranche. Benötigt ein Kfz im Prinzip nur seinen Motor, ein Gaspedal, Räder, Fahrgastraum und ein Lenkrad, sind Automobile ohne Airbagsensor heute in der EU unverkäuflich. Dabei ist das Veredeln von Produkten keineswegs branchengebunden. Bei der so genannten smarten Kleidung ist es Stand der Forschung und reif für den Markt. So könnte ein intelligenter Hosenknopf einer ebenso schlauen Waschmaschine mitteilen, dass die Jeans mit dem Kochprogramm den falschen Waschgang erwischt hat und wieder herausgenommen gehört. Völlig unakademische Ansätze dieser Art gibt es auch bei Küchengeräten und im Maschinenbau. Prinzipiell gilt dabei: Je kleiner und perfekter die Mikrokomponenten dabei selbst werden, desto stärker werden sie eingesetzt – der Zusammenhang ist simpel, aber wahr.
Mikrotechnik ist eine Disziplin, die neben der allmählichen Verbesserung weite Entwicklungssprünge möglich macht. Genauso, wie neue Methoden der Wirkstoff-suche in der Pharmaindustrie oder die schnelle Datenübertragung mit Glasfasertechnik mit technischen Mitteln im Kleinstformat machbar wurden, ist auch das Labor in der Größe einer Handfläche keine Vision mehr, sondern wird bei der Steag Microparts GmbH in Dortmund erfolgreich hergestellt. Die daumennagelgroßen Kraftmaschinen der Wendels-heimer Mymotors&Actuators GmbH – flach wie ein Briefumschlag, aber gut für 60 000 min-1 und bis zu 34 mNm Drehmoment – haben die Arbeit von Minirobotern erst möglich gemacht. Zahnradpumpen im Format von Pusteblumensamen, wie sie die HNP Mikrosysteme GmbH in Parchim baut, garantieren die exakte Dosierung flüssiger Medien in der Analysetechnik, Medizin, Maschinen- und Anlagenbau und der Chemie. Die geförderten Mengen liegen im Bereich von Pico- und Nanolitern. Mit seinen 300 µm dünnen Kanälen sorgt der Mikroreformer der Mainzer IMM GmbH dafür, dass neben Wasserstoff jetzt auch Alkohol als Treibstoff für Brennstoffzellen genutzt werden kann. Mit einem Volumen von lediglich 8 cm³ liefert das Gerät genügend Treibstoff für eine mobil genutzte 30-W-Zelle. Die nächst kleinere Version sei bereits in Arbeit, teilte das Unternehmen auf der Hannover Industriemesse im April mit.
Vor dem Hintergrund ausufernder Einsatzfelder und wachsender Umsatzzahlen der Mikrotechnik-Branche sprechen Insider bereits von der „Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“. Genaue Zahlen sind freilich rar. Eine der wenigen Untersuchungen, die präzisere Angaben zum wirtschaftlichen Format des Feingewerks gibt, ist die von der Europäischen Gemeinschaft in Auftrag gegebene „Nexus-Marktanalyse Mikrosystemtechnologie“. Lag das weltweite Volumen danach 1996 noch bei 14 Mrd. US-$, lag der Umsatz im Jahr 2000 bereits bei 30 Mrd. US-$. „Bis 2005“, so prognostiziert Dr. Reiner Wechsung, Steag Microparts-Geschäftsführer und Mitverfasser der Studie, „wird er weltweit auf deutlich über 50 Milliarden Dollar wachsen“. Zwar entwickelten die einzelnen Teilgruppen der Branche sich nicht im Gleichschritt – so würden die Telekommunikation langsamer anziehen als vorausgesehen. Umgekehrt jedoch habe kaum jemand mit der Dynamik in der Automobilindustrie gerechnet.
Deutlich stärker schätzt Zimmer’s VDMA-Fachgruppe die Entwicklung ein. So erreiche der Umsatz 2002 voraussichtlich über 100 Mrd. US-$, wobei typische Mikrotechnikprodukte wie der Flachbildschirm allerdings eingerechnet sind.
Dass sich ein genauer Blick auf die einzelnen Märkte lohnt, zeigt eine Untersuchung des Münchner Consulters Dr. Henning Wicht, der die Bedeutung der Feinstwerktechnik für den Maschinenbau recherchiert hat. Dort fallen die Umsätze der Mikrotechnik-Komponenten im Vergleich zum Gesamtvolumen der Branche bislang nämlich dürftig aus. Die Stückzahlen seien noch klein, die Produkte kaum standardisiert und kundenspezifische Lösungen der Normalfall. Nach Einschätzung von Wicht, der ebenfalls an der Nexus-Studie mitgearbeitet hat, wird der Einsatz der Mikrotechnik im Maschinenbau sich in naher Zukunft jedoch stark erhöhen.
Ausrüster der klassischen Metallverarbeitung sehen dies ähnlich und richten sich ein. Der Murnauer Werkzeugmaschinenbauer Kern GmbH etwa hat sich vom Start weg auf die Bearbeitung von Mikrostrukturen verlegt. Vor 20 Jahren hatte IBM das Unternehmen gebeten, in Testmembranen 50 µm durchmessende Löcher für Mikrochips herzustellen und im Nachgang gleich eine Kleinserie der Kern’schen Feinstbohrmaschinen gekauft. Siemens, das Gros der renommierten Uhrenhersteller und Betriebe der Mikrotechnikbranche folgten. Heute sehen die Murnauer sich als führend in diesem Marktsegment.
Werkzeughersteller wie die Emuge-Werk GmbH+Co. KG, Lauf, spüren ebenfalls den Aufwind der Mikrobranche. Das Unternehmen stellt unter anderem Gewindebohrer von 0,3 mm Durchmesser und 0,07 mm Steigung her und erfreut sich zunehmender Nachfrage. Über 600 Feinstwerktechnik-Betriebe allein in Deutschland kaufen ein. Auch der Lauffener Spannzeug-Hersteller Schunk GmbH hat den Trend erkannt und bietet Greifer für das Handling der Kleinstteile an. Schunk gehört zu den Initiatoren der Micro-Technology-Fachgruppe.
Brücken zwischen der Mikrotechnik und dem klassischen Maschinenbau schlägt das junge Aachener Unternehmen Klocke Nanotechnik. Seine Montage-Insel verbindet die spielfreie Bewegung bei Millionstel Millimetern Auflösung mit der Last durch kilogrammschwere Objekte und vielen Zentimetern Hub. Die besondere Note des weltweit kleinsten Positioniermoduls: Während die Wiederholgenauigkeit von Makro-Montagesystemen bei mehreren Mikrometern endet, liegt sie bei Klocke unter 50 nm. Erreicht wird diese Präzision über Nanomanipulatoren, Rastensonden-Mikroskope, Kleber-Dispenser nebst Videokameras zur Objekt- und Lageerkennung sowie Qualitätskontrolle. Das von Zimmer erwähnte Problem der Adhäsion lässt sich so in den Griff bekommen.
Die Ausstattung der Mikro-Fertiger ist teuer. Schon darin zeigt sich der Unterschied zu den PC- und Apple-Boomern der 60er Jahre. Die Neugründungen der Mikrotechnik sind keine Garagenbetriebe, rechnen sich selbst nicht zur „New Economy“ und benötigen gleich zu Beginn größere Geldmittel. Die Szene ist im Vergleich zur Informationstechnik klein.
Seit 1990 unterstützt sie die deutsche Regierung über das Förderprogramm „Mikrosystemtechnik“ mit jährlich rund 50 Mio. Euro. Ziel ist die gemeinschaftliche Forschung und Entwicklung von mikrotechnischen Produkten wie Sensoren und Aktoren, Projektträger der VDI/VDE-IT in Teltow. Mit dem ergänzenden Förderschwerpunkt „Mikrotechnische Produktion“ werden seit 2000 19 Projekte bei 120 Unternehmen über den Projektträger Forschungszentrum Karlsruhe gefördert.
Auch die Europäische Gemeinschaft unterstützt im Schwerpunkt „Microsystems, Subsystems and Peripherals“ die gemeinschaftliche Forschung und Entwicklung in Europa sowie deren Verbreitung. Das derzeitige Rahmenprogramm mit rund 100 Mio. Euro Förderung läuft über vier Jahre, das geplante sechste Programm soll 120 Mio. Euro für die folgenden vier Jahre bereitstellen – „erfreulich, aber gemessen am Zukunftswert der Mikrotechnik zu wenig“, kommentiert VDMA-Mann Klaus Zimmer den Brüsseler Zuschuss. Dass die Fördersummen sich nicht nach dem Moor’schen Gesetzt entwickeln, liegt in der Natur der Sache.
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