Startseite » Allgemein »

Magnesium kehrt aus der Versenkung zurück

Ein Metallwerkstoff mit exzellentem Leichtbaupotenzial
Magnesium kehrt aus der Versenkung zurück

Magnesium erwacht aus dem Dornröschenschlaf und rückt als Werkstoff mit extrem geringer Dichte wieder zurück ins Blickfeld der Konstrukteure. Eine der starken Seiten des Leichtmetalls: Es lässt sich hervorragend gießen.

Dr.-Ing. Catrin Kammer ist freie Fachjournalistin in Goslar für den Bereich Leichtmetalle und Autorin verschiedener Fach- und Lehrbücher. Hierzu gehören das Aluminium-Taschenbuch und das Magnesium-Taschenbuch

Magnesium (Mg) ist wie Aluminium ein recht junges Metall. Der Engländer Sir Humphry Davy stellte beide Metalle 1808 erstmalig in Reinform her. Durch thermische Reduktion gewonnene Magnesium-Proben waren eine der Attraktionen der Londoner Weltausstellung im Jahr 1862. Bereits vier Jahre vor Beginn der industriellen Aluminiumproduktion startete 1886 die erste Magnesium-Schmelzfluss-Elektrolyse in Hemelingen bei Bremen.
Volkswagen forcierte den Einsatz des sogenannten „Elektronmetalls” mit großer Anstrengung und plante bereits 1934 die Verwendung von Mg-Gussteilen für luftgekühlte Motoren. Ein weiterer wichtiger Abnehmer war der Flugzeugbau.
Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist der weltweite Produktionsanstieg im zweiten Weltkrieg – verursacht durch den erhöhten Bedarf der Rüstungsindustrie. In dem kurzen Zeitraum von 1940 bis 1944 stieg die weltweite Magnesiumproduktion von 39 000 t auf 209 000 t an! Nach Kriegsende fiel sie dann ganz rapide auf nur 10 900t im Jahr 1946 ab. Im Vergleich dazu betrug sie im Jahr 1999 nach Angaben der Internationalen Magnesium Association 272 000 t. Hauptursachen für den Rückgang nach dem Krieg waren der Wegfall der deutschen Produktionsstätten und das Herunterfahren der amerikanischen Produktion. Hinzu kam der rasante Aufschwung des Aluminiums, das bessere Festigkeitswerte, eine erhöhte Korrosionsbeständigkeit und eine überzeugendere Warmfestigkeit zu geringeren Kosten anbieten konnte. Magnesium behauptete sich zwar noch im VW Käfer (bis in die 60er Jahre), in Felgen von Hochleistungsfahrzeugen oder in Gehäusen von tragbaren Elektrowerkzeugen. Insgesamt hatte es jedoch die Rolle des leichten Konstruktionswerkstoffs an Aluminium verloren.
Seit etwa 15 Jahren erlebt Magnesium eine umfassende Renaissance. Dabei handelt es sich nicht um eine Modeerscheinung. Der Einsatz des leichten Werkstoffes mit einer Dichte von nur 1,74 g/cm³ ist auf Grund der sich verschärfenden Umweltgesetzgebung ein Erfordernis. Dies betrifft insbesondere den Verkehrssektor, der Stahl durch leichtere Materialien substituieren möchte, um den Kraftstoffverbrauch zu verringern und gesetzliche Auflagen zu erfüllen. Obgleich sich Alu-Werkstoffe mit ihrer Dichte von 2,7 g/cm³ hier bereits etablieren konnten, erhofft sich die Industrie weitere Gewichtseinsparungen vom noch leichteren Magnesium. Dafür sprechen sowohl frühere Erfahrungen als auch aktuelle Erstanwendungen und Prototypen. Für das Automobil kommen verschiedenste Mg-Teile in Betracht, zum Beispiel Sitz- und Türrahmen, Armaturenbrett, Ventildeckel, Ansaugkrümmer, Ölwanne, Räder, Lenkrad, Lenksäule, Schlossgehäuse, Getriebe und Kurbelgehäuse sowie Schiebe-dachelemente. Einzelne Serienfahrzeuge enthalten bereits derartige Bauteile, so dass der durchschnittliche Mg-Anteil je Fahrzeug 1996 bei rund 2 kg lag. Das Gesamtpotenzial pro Fahrzeug wird jedoch mit 50 bis 80 kg angegeben. Prognosen sagen daher einen steilen Anstieg auf etwa 10 kg pro Pkw im Jahr 2005 voraus.
Daneben trägt die elektronische Industrie zum Aufschwung des leichten Metalls bei. Oft wünschen Käufer von Laptops, Kameras oder Mobiltelefonen ein edles Aussehen und lehnen Kunststoffe als „billig” ab. Potenzielle Anwendungsfelder liegen auch im Hand- und Heimwerkerbereich, wo die Gewichtsersparnis und das Reduzieren bewegter Massen ebenfalls im Vordergrund steht.
Universeller Gusswerkstoff
Magnesium wird auf Grund seiner eingeschränkten Kaltumformbarkeit haupt- sächlich als Gusswerkstoff eingesetzt und zeichnet sich durch gute Gießbarkeit, schnelle Gussfolge und eine hohe Lebensdauer der Formen aus. Verschiedene Gusslegierungen sind eingeführt, unter denen die Gruppen AZ (Mg-Al-Zn) und AM (Mg-Al-Mn) wegen ihrer günstigen Kombination von mechanischen und physikalischen Eigenschaften die größte Bedeutung erlangt haben. Legierungsentwicklungen mit Zusätzen von Silizium (Typ AS, Mg-Al-Si) oder mit Selten Erdmetallen (SE, Kennzeichnung „E”) zielen auf eine verbesserte Warmfestigkeit ab. Durch unterschiedliche Legierungsgehalte, Wärmebehandlungsmöglichkeiten und diverse Gießverfahren ergibt sich eine große Breite von Eigenschaftskombinationen (siehe Diagramm). Den niedrigen E-Modul des Magnesiums können Querschnittsformen mit größerem Trägheitsmoment ausgleichen. Entsprechende Ausrundungen bei Werkstückübergängen berücksichtigen die erhöhte Kerbempfindlichkeit.
Mg-Druckgussteile finden sich heute in einer Vielzahl von Produkten, insbesondere im Automobilbau, der Flugzeugindustrie, der Elektro- und Elektronikindustrie, der Hydraulik- und Pneumatikindustrie, dem Profi- und Heimwerkergerätebau, der Telekommunikation, der Computer- industrie und der Spielwaren- und Sportartikelindustrie. Während der Fahrzeugbau hohe Dehnungs- und Festigkeitswerte fordert, richtet sich bei Mobiltelefon- oder Laptopgehäusen das Augenmerk auf die elektronische Abschirmwirkung und die Fähigkeit von Magnesium, Wärme wesentlich schneller abzuführen, als Kunststoffe es können.
Warmumformung
Trotz seiner hexagonalen Gitterstruktur lässt sich Magnesium oberhalb 225 °C auch walzen, schmieden oder strangpressen. Bislang jedoch beschränkt sich der Einsatz umformtechnisch hergestellter Mg-Bauteile auf Einzelanwendungen – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dennoch ist ein großes Potenzial gegeben, da die Umformung besondere Vorzüge bietet. Beispiele dafür sind die Druckdichtheit von lunker- und porenfreien Gefügen sowie die ausgezeichneten mechanischen Eigenschaften nach Wärmebehandlungen. Zudem erlaubt das Strangpressen, komplexe Querschnittsformen kostengünstig darzustellen. Die Teile lassen sich gut spanen und oft auch schweißen. Ein Einsatz von Magnesiumprofilen ist in den unterschiedlichsten Bereichen denkbar, zum Beispiel bei Strukturprofilen in Luft- und Raumfahrtgerät, Aggregategehäusen im Automobil- und Flugzeugbau oder im militärischen Bereich. Als schnell laufende Komponenten mit wechselnder Bewegungsrichtung in Textil-, Druck- und Verpackungsmaschinen oder in Computerhardware könnten sich Mg-Teile ebenso bewähren wie als Rahmenprofile für Koffer und Transportbehälter.
Material lässt sich auch walzen, schmieden und strangpressen
Reaktivität im Griff
Aufgrund der Stellung im Periodensystem weist Magnesium eine höhere Reaktivität auf als andere Konstruktionsmetalle. Aus dem Chemieunterricht ist bekannt, dass das Metall mit greller Flamme brennt und deswegen früher das ideale Blitzlicht für die Photographie lieferte. Um ein solches Brennen sicher zu verhindern, müssen Magnesiumschmelzen unter geeigneten Schutzgasen verarbeitet werden. Beim Spanen sind Vorkehrungen zu treffen, damit sich die Späne nicht entzünden. Es existieren einheitliche Vorschriften, deren Beachtung eine Gefährdung ausschließt. Werden kompakte Metallteile in Konstruktionen verwendet, besteht keine Gefahr.
Die Reaktivität des Metalls beeinflusst auch das Korrosionsverhalten. Eine gute Beständigkeit zeigen sogenannte HP-Legierungen (High Purity) mit besonders geringen Gehalten von Ni, Cu und Fe. Mit speziellen Oberflächenbehandlungen hält Magnesium auch korrosiven Belastungen Stand.
Neue Entwicklungen
Die Magnesium-Forschung läuft zur Zeit auf nahezu allen Gebieten parallel an. Die Entwicklung neuer Legierungen zielt vor allem auf eine reduzierte Dichte, eine größere Hochtemperatur-Beständigkeit und einen verbesserten E-Modul. Erprobt werden exotische Entwicklungen mit Gadolinium, Samarium, Dysprosium und Scandium. Lithiumzusätze sollen die Dichte weiter reduzieren und das Umformverhalten verbessern. Bekannte Legierungen werden hinsichtlich ihrer Eigenschaften optimiert. Weitere Entwicklungsrichtungen sind die Herstellung von Schäumen sowie von keramikfaser- und partikelverstärkten Verbundwerkstoffen.
Neuere Gießverfahren erlauben das Verarbeiten im halbflüssigen Zustand. Elektronikgehäuse aus Magnesium lassen sich spritzgießen, ähnlich wie in der Kunststoffverarbeitung. Hinzu kommen Untersuchungen zur Gewinnung und zum Recycling des Metalls.
Noch sind die Anwendungsmöglichkeiten des Materials bei weitem nicht entfaltet. Die aufgezeigten Potenziale werden dazu führen, dass Magnesium mehr und mehr zu einem wichtigen Konstruktionswerkstoff wird. Hierfür spricht auch, dass sich das Metall aus dem Meerwasser gewinnen lässt und praktisch unbegrenzt zur Verfügung steht.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de