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Manuelles Bedienen schlägt Automatisierung

Lagerlogistik wird Keimzelle der Rationalisierung
Manuelles Bedienen schlägt Automatisierung

Wenn das Suchen von Material zum chaotischen Betriebsmarathon mutiert, ist es Zeit, die Lagerlogistik neu zu strukturieren. Hochautomatisierte Lager sind dabei nicht immer zu bevorzugen, denn manuelle Lösungen können mit einer geringeren Störanfälligkeit punkten.

Klaus Dieter Hennecke ist Fachjournalist in Olpe

Mit dem Begriff „Chaotische Lagerung“ hatten die Verantwortlichen des Metallwarenwerkes J.C.F. Kaufmann GmbH & Co. KG, Wuppertal, ihre ganz speziellen Erfahrungen. „Als Zulieferer im Schienenfahrzeugbereich haben wir ein sehr großes Teilespektrum mit variantenreicher Produktion und eine ausgeprägte Fertigungstiefe“, berichtet Geschäftsführer Rolf Heepe. Die Lagerorganisation war historisch gewachsen, was häufiges Suchen erforderlich machte. Als zur Jahreswende 1999/2000 noch die Produkte eines Teilwettbewerbers mit dem Schwerpunkt Innenausbau hinzu kamen, entstand allerdings eine Situation, die ohne eine durchdachte Lagerlogistik geradewegs ins vollkommene Chaos geführt hätte.
Rolf Heepe: „Drehte sich die Fertigung bis dahin hauptsächlich um die Herstellung von Fenstern, mündeten nun zusätzliche Produkte in den Materialfluss ein. Für die zahlreichen neuen Komponenten und Teile benötigten wir dringend Lagerkapazität und ein logistisches Konzept.“ Nachdem das Dortmunder Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) den Ernst der Lage erst analysiert und dann einen Lösungsansatz skizziert hatte, entschieden sich die Wuppertaler für eine Lösung der Lützenkirchen Lagertechnik GmbH aus Leichlingen. Dort vertritt man die Ansicht, dass manuell bedienbare Lager – optimal zugeschnitten auf die Bedürfnisse des Kunden – besser als hochautomatisierte Lager sind. „Geht es um effektive Lagerhaltung, ist hochautomatisierte Lagertechnik oft nicht zielführend“, betont Rainer Niebch, Geschäftsführer bei Lützenkirchen.
Um die sprunghaft gewachsene Materialpalette bedarfsgerecht und übersichtlich für die Fertigung bereitzuhalten, wurden rund 800 Palettenplätze benötigt, die möglichst kompakt in den vorhandenen Lagerräumlichkeiten untergebracht werden sollten. Für diese Aufgabe konstruierten die Leichlinger ein manuell bedienbares Verschieberegal. „Die Raumausnutzung haben wir auf über 80 Prozent gesteigert, vor allem, weil nur noch ein zu befahrender Gang für den Gabelstapler erforderlich ist“, freut sich Rainer Niebch. So habe man es geschafft, auf der Hälfte der vorhandenen Hallenfläche die geforderten 800 Paletten einzubringen.
Dass auf der anderen Hälfte der restlichen Hallenfläche Langmaterial kompakt und übersichtlich für die Fertigung bereitliegt, ist Sache des Wabenregals der Leichlinger inklusive manuell gesteuertem Regalbediengerät (RBG). „Hierbei handelt es sich genau genommen um zwei gegenüberliegende Wabenregale mit Einschubkassetten von raumbedingt fünf und sechs Metern Länge“, fährt Niebch fort. Diese Kassetten werden am Übergabeplatz mit dem vom Gabelstapler bereitgestellten Langgut bestückt und vom verfahrbaren RBG links und rechts in die Waben eingebracht.
Auch der geradlinige Weg in die Fertigung ist Sache des RBG. Dabei wird die jeweilige Kassette mit dem geforderten Material per Kettenzug und Mitnehmerstift aus der Wabe gezogen und vom RBG am Übergabeplatz auf der gegenüberliegenden Seite dem Mitarbeiter an der Säge bereitgestellt. Insgesamt stehen 176 Langgutwaben mit einer Traglast von jeweils 1,5 t zur Verfügung. Die Lagerflexibilität reicht bis in jede Einschubkassette hinein, die mittels Steckunterteilungen bis zu drei unterschiedliche Materialsorten aufnimmt.
Für Rolf Heepe ist die Rechnung aufgegangen: „Der Materialdurchsatz läuft jetzt um 30 Prozent schneller, bei deutlich gesteigerter Prozess-Sicherheit.“ Zu den erfreulichen Rationalisierungseffekten rechnet man in Wuppertal auch eine drei Mal schnellere Inventur im Lagerbereich.
Für die Arbeitssicherheit ist auch gesorgt. So wird das Regalbediengerät durch einen Sicherungsschlüssel gesperrt und entriegelt. Darüber hinaus ist die gesamte Anlage durch einen 2 m hohen Gitterzaun mit gesperrten Türen abgetrennt, so dass während des Arbeitsprozesses kein unbefugter Zutritt möglich ist. Sollte dennoch eine Tür geöffnet werden, stoppt die Anlage sofort. Ein Fußpedal nebst Zweihandsteuerung stellt sicher, dass auch auf dem Podest des RBG kein gefährlicher Unsinn getrieben werden kann.
Auch für den vollen Durch- und Überblick beim Ein- und Auslagern ist gesorgt. So kann der Bediener beim Einlagern die genaue Fachpositionierung mittels der Steuerung des RBG anfahren und sieht via Kamera auf zwei links und rechts installierten Bildschirmen die entsprechende, eindeutig angebrachte Fachbezeichnung. Die Angaben des Einlagerbelegs werden dann im Lagerverwaltungsrechner gespeichert. Ebenso quittiert und dokumentiert verläuft auch das Auslagern Richtung Säge. „Einlagern, Auslagern und Umlagern müssen komplett dokumentiert werden. Das ist für eine Lagerbestandsführung ungemein wichtig, da sonst sehr schnell kontraproduktive Suchzeiten anfallen“, berichtet Rolf Heepe.
Geschult wurden die Mitarbeiter mittels Learning by doing. Rainer Niebch: „Unsere Systeme sind so übersichtlich und einfach zu bedienen, dass kein besonderer Schulungsaufwand anfällt.“ Zudem tendiere die Störanfälligkeit im Gegensatz zu hochautomatisierten, kostspieligen Lagersystemen in Richtung Null – ein weiteres gewichtiges Argument, wenn es um die reibungslose Versorgung der Produktion und damit letztlich um das sichere Einhalten von Lieferterminen gehe.
Der gesamte Umbau in Wuppertal wurde während laufender Fertigung vorangetrieben. „Eine individuelle und für den Kunden optimal zugeschnittene Lagerlogistik zu entwickeln ist die eine Sache. Es kommt aber auch darauf an, sie so zu implementieren, dass auf keinen Fall Reibungsverluste oder Stockungen in der Fertigung auftreten“, so Niebch. Dass während der Umbauarbeiten noch zusätzlicher Lagerraum erschlossen wurde, ist ein kleiner aber feiner Zusatznutzen der radikalen Rationalisierung. Denn im ersten Schritt wurde das bisher in der Halle untergebrachte Lagerbüro ausgegliedert und von Lützenkirchen als Fertigbüro neben der Halle neu aufgebaut. Nach dem anschließenden Aufbau des Paletten-Verschieberegals inklusive Materialeinlagerung war der Weg frei und Platz gewonnen für die Integration des Langgut-Wabenregals.
Welche Bedeutung eine optimierte Lagerhaltung für den Unternehmenserfolg hat, beleuchtet Rolf Heepe noch aus einer anderen Perspektive: „Als Produzent von Klein- und Mittelserien der Größenordnung zwischen 5 und 1000 Teilen sind wir in unserer Branche einem doppelten Druck ausgesetzt.“ Auf der einen Seite sieht er die eigenen großen Lieferanten, die mit entsprechender Marktmacht ausgestattet, möglichst hohe Stückzahlen liefern wollen. Auf der anderen Seite stehen für ihn einige Großkunden, deren Lieferansprüche mittlerweile denen der Automobilindustrie entsprächen. „Gefordert wird von uns Just-in-time-Logistik in kleinsten Mengen, abgepackt für einen Waggon und verarbeitungsgerecht konfektioniert bis an die Einbaustelle geliefert“, so Heepe. Diese Entwicklung könne durchaus extreme Blüten treiben: Bei 13 neuen ICE-Zügen müssten etwa über einen Zeitraum von drei Jahren 13 Glastrennwände einzeln ausgeliefert, aber beim Glashersteller als Komplettpaket bestellt werden. Entsprechend sei ein Wert in Millionenhöhe schnell erreicht, der im Kaufmann-Lager auf den Umschlag wartet. „Wir haben mit den neuen Lagereinrichtungen hier den Durchbruch geschafft und können flexibel nach beiden Seiten reagieren“, freut sich Rolf Heepe.
Für ihn ist die Arbeit keineswegs beendet. Denn die neue Lagerlogistik sei zur Keimzelle einer Betriebsrationalisierung des gesamten Unternehmens geworden. „Im Lager haben wir angefangen, jetzt kommt die Produktion an die Reihe.“
Dass manuell bedienbare Lagerlogistik, individuell entwickelt nach Kundenbedarf, zum Motor für mehr Unternehmenserfolg wird, ist für Lützenkirchen-Geschäftsführer Rainer Niebch klar. Er geht aber noch weiter: „Gerade in Zeiten schwacher Konjunktur kann effektive Lagerlogistik zum entscheidenden Nothelfer werden. Denn Lösungen ähnlich denen in Wuppertal lassen sich auf viele Branchen und Firmen übertragen.“
Steckunterteilungen nutzen den vorhandenen Platz optimal
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