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Mehr als alter Wein in neuen Schläuchen

Gebraucht-Kauf via Internet-Marktplatz
Mehr als alter Wein in neuen Schläuchen

Internet-Marktplätze für gebrauchte Maschinen sparen viel Zeit bei der Recherche und der Abwicklung des Kaufs. Völlig digital geht es dennoch nicht: Die gewissenhafte Vor-Ort-Prüfung der Angebote ist gerade in virtuellen Zeiten zwingend erforderlich.

Sven Hardt ist freier Journalist in Neuenhagen bei Berlin

Es beginnt wie immer. Dr.-Ing. Jörg Busch, Leiter Vertrieb und Qualitätswesen beim Beckinger Stahlbauunternehmen Schäfer GmbH, entdeckt eine Anzeige im Industrieanzeiger: gebrauchte Maschinen aus einer Werksauflösung. Eine 10 000-kN-Presse von Jung weckt sein Interesse. Eine solche Maschine fehlt in der Produktion. Was jetzt folgt, ist jedoch anders als sonst – zumindest teilweise. Denn das Inserat wurde vom Internet-Marktplatz www. surplex.com aufgegeben, nach eigenen Angaben Europas führender Gebrauchtmaschinenvermarkter.
Im Auftrag der Babcock Borsig AG, Oberhausen, verwertet die Berliner Surplex.com AG die stillgelegte Kraftwerkskesselfabrik Steinmüller in Gummersbach. „Ich habe mich auf der Website von Surplex als neuer Nutzer angemeldet“, beschreibt Busch die ersten Schritte auf dem Weg zum digitalen Schnäppchenkauf. „Mit Hilfe der Surplex-Nomenklatur habe ich online Maschinen spezifiziert, die wir benötigen. Zu jeder Maschine sind Informationen hinterlegt, die fürs Erste reichen.“ Fürs Erste schon, aber nicht zum Kauf. Der Ingenieur würde nie eine gebrauchte Maschine nur via Internet erwerben. Der persönliche Kontakt mit den Verkäufern und die Vor-Ort-Besichtigung sind für den Saarländer durch nichts zu ersetzen.
Die Macher der Surplex-Plattform kennen das Problem: Nur per Mausklick kauft so gut wie niemand eine gebrauchte Maschine. Deshalb warben die Berliner mit knapp 100 Mio. DM Risikokapital im Rücken erfahrene Maschinenprofis von Industrie- und Handelsunternehmen ab. Diese „Market-Makers“ gewinnen Verkäufer und beraten Käufer. Einer dieser Berater ist Siegfried Bernatzki. Der Betriebswirt war 16 Jahre lang Maschinenverkäufer, bevor er zum Kompetenzzentrum Metalworking bei Surplex stieß. Er unterhält ein Büro in der Steinmüller-Fabrik und macht, was er immer getan hat: Er verkauft Maschinen.
„Die Schäfer GmbH hat die Maschinen günstiger bekommen als beim Händler“, ist Bernatzki überzeugt. „Wir wollen die Maschinen schnell ab Standort verkaufen. Ein Händler muss Transport- und Lagerkosten einkalkulieren und seine Spanne erwirtschaften.“ Surplex erhebt Verkäuferprovisionen von 5 bis 9 % und versucht, über Masse in die Gewinnzone zu kommen. Aus diesem Konzept folgen günstige Preise für die Käufer. Aber auch die Verkäufer erzielen durch den Direktverkauf einen besseren Preis als früher, weil sie die Maschinen nicht mehr aus Mangel an Zeit und Lagerkapazität zum Schrottpreis abgeben müssen.
Für den Maschinenkäufer Busch beginnt der Teil, der wie immer ist. Er fährt mit seinen Mitarbeitern zum Standort, um die Maschinen auf Herz und Nieren zu prüfen: „Das ist unerlässlich. Sonst kann man völlig daneben liegen.“ In Gummersbach holt Surplex-Mann Bernatzki die Saarländer am Tor ab. Das Gelände ist abgeriegelt und überwacht. Die Interessenten müssen sich anmelden. In den heruntergekommenen Hallen geht Busch an die Arbeit: „Die technischen Daten habe ich vorher erhalten. Ich vergewissere mich, dass alle Angaben stimmen. Der ehemalige Betriebsleiter und andere Steinmüller-Mitarbeiter sind mit von der Partie. Es ist wichtig, mit Leuten zu sprechen, die früher an und mit den Maschinen gearbeitet haben.“
Busch kann seine Favoriten in Betrieb nehmen und alle Funktionen durchtesten – optimale Bedingungen. Während der Besichtigung entdecken die Stahlbauer sogar weitere Positionen, die sie erstehen wollen. Busch und Bernatzki verhandeln ganz klassisch über Preise, doch beim Kauf muss Busch wieder Neuland betreten. Er loggt sich auf der Website von Surplex ein und gibt seine Gebote ab. Die Maschinen werden an den Meistbietenden verkauft. Jeder Bieter unterhält auf der Surplex-Site eine Art virtuelles Büro, genannt „Mein Surplex“. Dieser Service ist kostenlos. Benutzername und Passwort sorgen dafür, dass kein anderer Zugang zu diesem Büro erhält. Hier erledigt der Bieter seine Geschäfte mit Surplex. Er sieht Informationen zu den Maschinen, die er sich ausgesucht hat, und gibt Gebote ab. Ein Programm informiert den Bieter über den aktuellen Stand: Ihr Gebot ist zu niedrig. Ihr Gebot wird angenommen. Der Auftrag ist bestätigt. Sie können die Maschine bezahlen und abholen.
Vor-Ort-Besichtigung ist durch nichts zu ersetzen
Doch Internet hin oder her: Der Stahlbauer verzichtet nicht darauf, die Maschinen vor Ort zu bewerten: „Ich habe bisher zwar keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber in der virtuellen Welt kann ich kaum überprüfen, ob Preise durch fingierte Angebote hochgepokert werden.“ Ungefähr die Hälfte der Maschinen gewinnt Busch sofort. Bei anderen zieht er sich zurück. Den Wert einer Maschine kann er nur schätzen, niemals berechnen: „Ich weiß, was diese Maschine neu kostet. Ich kenne das Baujahr. Den Zustand habe ich untersucht und die Funktionen getestet. Die Historie ist mir bekannt. Ich kann ungefähr abschätzen, wie interessant die Maschine für Konkurrenten ist. Daraus konstruiere ich gefühlsmäßig ein Angebot.“
Ist eine der genannten Informationen nicht verfügbar, geht der Käufer bereits ein höheres Risiko ein, das durch einen günstigeren Preis kompensiert sein sollte. Der Schäfer-Bevollmächtigte setzt sich Limits und lässt Spielräume für Nachbesserungen, geht aber „nie in eine Größenordnung, die in die Nähe einer Neumaschine kommt“. Bezahlen müssen die Saarländer ganz klassisch im Voraus gegen Rechnung und per Banküberweisung. Obwohl die wesentlichen Schritte wie in vor-virtuellen Zeiten ablaufen, hält Busch den Online-Kauf für eine Bereicherung: „Maschinen suchen und finden. Kommunikation. Kauf fixieren. Das läuft über einen Online-Marktplatz viel schneller. Wir sparen Zeit und Abwicklungskosten.“
Die Schäfer GmbH beschäftigt etwa 130 Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2000 einen Umsatz von rund 28 Mio. DM. Die Saarländer arbeiten für die Schwer- und Chemie-Industrie. Bei hohen Stückzahlen setzen sie neueste CNC-Maschinen ein. In weniger ausgelasteten Produktionsbereichen sind gebrauchte Maschinen Voraussetzung für Wirtschaftlichkeit. „Bei Standardanlagen sparen wir im Vergleich zu einer Neuanschaffung bis zu 80 Prozent der Investitionskosten“, erklärt Busch. „Wenn Sie irgendwo ein Loch von Hand bohren müssen, läuft ein 20 Jahre altes Bohrwerk genau so gut wie ein Neues.“
In Gummersbach erstehen die Saarländer eine 34 Jahre alte Radialbohrmaschine von TOS für Stahl bis 65 mm Dicke zum Preis von 10 000 DM. Bei robusten Maschinen für vereinzelt anfallende Standardanwendungen ist nicht das Alter, sondern der Zustand ausschlaggebend. Der Qualitätsmanager ist zufrieden: „Diese Bohrmaschine hat bisher gute Dienste geleistet und war täglich im Einsatz. Das war ein guter Kauf.“ Eine Flach-, Profil- und Stabstahlschere mit Lochstanze von Peddinghaus, Baujahr 1993, sichern sich die Stahlbauer für 8001 DM. Für die hydraulische 10 000-kN-Presse von Jung, Baujahr 1971, erhält das Familienunternehmen bei 36 001 DM den Zuschlag. „Diese Presse ist die stärkste in der Umgebung“, berichtet Busch. „Sie bringt uns einen lokalen Wettbewerbsvorteil.“
Der Beschaffer Busch ist sich noch nicht sicher, ob die Internet-Marktplätze wirklich mehr Transparenz bringen: „Es gibt mehr Angebote und Käufer, und die Kommunikation läuft schneller. Ob das Gebrauchtgeschäft dadurch seriöser wird, muss sich erst noch zeigen. Es besteht auch die gegenteilige Gefahr, weil Informationen nicht fundiert genug sind.“ Die schöne neue Welt des Internet mit schnell und beliebig austauschbaren Informationen verleitet nicht gerade zur Sorgfalt beim Umgang mit Fakten. Kaum ein Anbieter auf der Surplex-Plattform, dessen Maschinen nicht in einem „guten“ oder sogar „sehr guten“ Zustand sind. Auf der anderen Seite bieten besonders humorige Käufer für eine wertvolle Werkzeugmaschine 100 Euro. Wer sich daran nicht stört und Angebote gewissenhaft bewertet, wird die Online-Marktplätze dennoch mit Gewinn nutzen.
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