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Metallschäume bringen Ruhe in die Werkzeugmaschine

Geschäumte Bauteile erhöhen die dynamische Steifigkeit
Metallschäume bringen Ruhe in die Werkzeugmaschine

Geschäumte Metalle bieten eine sehr gute Möglichkeit, Leichtbau-Konstruktionen statisch und dynamisch stabil zu gestalten. Das belegen zwei Beispiele für Werkzeugmaschinen-Schlitten, die das Metallschaumzentrum Chemnitz für die Industrie entworfen hat.

Prof. Reimund Neugebauer ist Leiter des Fraunhofer-Institutes für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz, Dr. Thomas Hipke ist Leiter des Metallschaumzentrums Chemnitz am IWU

Bewegte Baugruppen in Werkzeugmaschinen werden heute mit enormen Beschleunigungen verfahren. Leichtbaukonzepte sind daher im Maschinenbau ebenso gefragt wie im Automobilbau. Oft scheitern sie jedoch daran, dass ihre statische Steifigkeit zwar ausreicht, nicht aber die dynamische. Denn beim Beschleunigen, Bremsen und im Bearbeitungsprozess entstehen Schwingungen, die effektiv bekämpft werden müssen, wenn die geforderten hohen Bearbeitungsgenauigkeiten und Werkzeugstandzeiten erreicht werden sollen. Völlig neuartige Konzepte sind also notwendig.
Zur Lösung des Problems bieten sich geschäumte Metalle als Konstruktionselemente an. Sie haben eine geringe Dichte und zeichnen sich durch eine hohe Steifigkeit und hervorragende Dämpfungseigenschaften aus, die um den Faktor 2 bis 3 höher liegen als bei massiven Bauteilen. Durch ihren Einsatz lassen sich die kritischen Eigenfrequenzen von Fall zu Fall so weit nach oben verschieben, dass sie dem System nicht mehr gefährlich werden können. Bedeutsam ist dies gerade für Werkzeugmaschinen, in denen großflächige Platten vorkommen, die zu Schwingungen neigen (etwa in Gestell oder fahrbaren Tischen).
Um Fertigungskosten zu sparen, sollte der Konstrukteur den Werkstoff möglichst effektiv einsetzen und die Teile einfach gestalten. Zwei Ausführungen sind denkbar: Zum einen Rohrprofile, die direkt mit Metallschaum gefüllt werden. Zum anderen Sandwichplatten, die aus zwei Stahl-Deckschichten und einer Schaumkernlage bestehen. Sie lassen sich wie ein Halbzeug sägen und thermisch oder mechanisch zu einer Baugruppe fügen. Welche Vorteile sie im dynamischen Bereich bringen, hängt jedoch stark von der jeweiligen Konstruktion ab. Den besten Einblick in die Technologie verschaffen daher Praxisbeispiele:
Rohrprofil
Für die Sitec Industrieanlagen GmbH, Chemnitz, hat das Metallschaumzentrum den bewegten Querbalken einer Laserschneid-Anlage entwickelt, der größtenteils aus Aluminiumschaum besteht. Massive Stahlplatten dienen zur Aufnahme von Führungen und Motorteilen. Beim Beschleunigen der bewegten Massen um 10 m/s² in x- und y-Richtung wurde nun eine Querbalkendurchbiegung von 8,2 µm gemessen. Sie ist deutlich kleiner als der Vorgabewert von 10 µm. Die Biegespannungen liegen bei allen Varianten zwischen 3 und 4 N/mm² und sind unkritisch. Da die erste Biegeschwingung erst bei 375 Hz in x-Richtung auftritt, ist der Querbalken für hochdynamische Verfahrbewegungen sehr gut geeignet.
Experimentelle Untersuchungen ergaben außerdem eine hohe Schwingungsdämpfung des Balkens. Während die Dämpfungswerte bei üblichen Stahl-Schweißkonstruktionen zwischen 0,1 und 0,5 % betragen, liegen sie beim Aluminiumschaum-Balken zwischen 0,64 % und 4,2 % für die ersten zwölf Eigenfrequenzen. Die Dämpfung der ersten Biegeeigenfrequenz beträgt 1,2 %. Vergleichbar gute Ergebnisse sind mit einer konventionellen Hohlprofil-Konstruktion nicht zu erzielen.
Sandwiches
Das zweite Konstruktionselement sind die Sandwiches. Sie werden meist mit Stahl-Deckblechen ausgeführt, um eine gute Schweißbarkeit zu gewährleisten und einen günstigen thermischen Ausdehnungskoeffizienten zu erhalten.
Sandwiches haben den Vorteil, dass sie ein wesentlich größeres Flächenträgheitsmoment besitzen als massive Strukturen. Wie sich dies auswirkt, zeigt sich am Vergleich von Masse-äquivalenten Teilen. Eine Sandwichplatte mit 29 mm dickem Aluminium-Schaumkern und 3 mm dicken Stahl-Deckblechen bringt zum Beispiel das gleiche Gewicht auf die Waage wie eine 8,2 mm dicke Stahlplatte. Bei statischer Biegebelastung schneidet das Sandwich wesentlich besser ab, wie das Rechenbeispiel zeigt: Zu Grunde gelegt werden Abmessungen von 1500 mm x 1000 mm und eine beidseitige Auflage der Platte. Unter einer mittigen Last von 5000 N biegt sich die Sandwichplatte nur 1,28 mm durch, die Stahlplatte dagegen 42,2 mm. Natürlich ist diese Biegebelastung nur eine von vielen Beanspruchungen, die in der Praxis auftreten. Dennoch verbessert die hohe Biegesteifigkeit das Steifigkeitsverhalten des gesamten Strukturbauteils.
Zweites Rechenbeispiel: Ein Sandwich-Balken der Länge 3000 mm wird mit einem Masse-äquivalenten Balken aus Stahlplatten verglichen. Der Mittenabstand der vier Wände beträgt jeweils 1000 mm, die Balken liegen beidseitig auf. Werden sie einer mittigen Linienlast von 20000 N ausgesetzt, beträgt die mittige Durchbiegung beim Stahlbalken 54 µm und beim Sandwichbalken nur 44 µm. Zudem verformt sich beim Sandwichbalken die Wand im Bereich der Krafteinleitung deutlich weniger.
Diese Erkenntnisse über die statische Steifigkeit flossen in ein Leichtbau-Projekt mit der Mikromat Werkzeugmaschinen GmbH in Dresden ein. Dabei wurde der Querschlitten einer HSC-Fräsmaschine ausschließlich aus Metallschaum-Sandwichplatten zusammengesetzt, zum Teil versehen mit Stahleinlegeteilen. Die Ergebnisse zeigen deutliche Verbesserungen gegenüber der herkömmlichen Gusskonstruktion. So ist die Masse um 46 % reduziert. Dafür verschlechtert sich die Verformung um 12 % auf 3 µm, was vom Anwender aber bewusst in Kauf genommen wurde. Denn Massereduktion und Verformung bedingen sich gegenseitig, und der Konstrukteur muss in diesem Wechselspiel die Prioritäten setzen. Hier zum Beispiel könnte die Verformungsveränderung durch Verstärken der Wände auch auf 0 % korrigiert werden, wobei immer noch eine Massereduktion von über 30 % verbliebe.
In jedem Fall aber erhöht sich die erste Eigenfrequenz um 35 %. Für den Maschinenbau bedeutet dies eine gravierende Verbesserung. Durch Variieren der Schaumdichte lässt sich sogar die Lage der Eigenfrequenzen vordefinieren.
Zusätzlich wurde die modale Dämpfung der verschiedenen Eigenfrequenzen gemessen. Im Vergleich zur Originalkonstruktion nehmen die Dämpfungen um das 4- bis 8-fache zu! Dies ist ein sehr gutes Ergebnis für Werkzeugmaschinen. Mit ihren guten physikalischen und mechanischen Eigenschaften könnten ausgeschäumte Bauteile künftig zu Standardelementen in der Maschinenkonstruktion werden. Rohrprofile und Sandwichplatten erfüllen dafür alle technisch notwendigen Bedingungen. Das Metallschaumzentrum Chemnitz kümmert sich um ihre weitere Erforschung und engagiert sich bis hin zum Bau von Prototypen. Einziges Hemmnis für den Leichtbau-Werkstoff sind die mit 15 bis 25 Euro/l noch zu hohen Kosten für die (prototypisch hergestellten) Bauteile. Studien belegen jedoch, dass Preise zwischen 5 und 6 Euro/l für Großserien erzielt werden können, wie sie im Automobilbau üblich sind.
Metallschaumzentrum Chemnitz
Lösungen für extremen Leichtbau erarbeitet das Anfang 2001 gegründete Metallschaumzentrum Chemnitz. Zur Verfügung stehen ein Mischer, eine Strangpresse, zwei Kammeröfen und demnächst auch ein Durchlaufofen. Da sich geschäumte Halbzeuge einfach bearbeiten und schweißen lassen, können auch große Baugruppen gestaltet werden. Aktuelles Beispiel: Zur Zeit befindet sich ein Querbalken für eine Fräsmaschine in der Umsetzung, der bei Abmessungen von 5900 mm x 1400 mm x 900 mm aus mehreren Sandwichplatten zusammengesetzt wird.
Informationen: Tel. 0371/5397-456
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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