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Minikameras verfolgen die Kleberaupe bis in den letzten Winkel

Industrielle Bildverarbeitung macht moderne Fügetechniken salonfähig
Minikameras verfolgen die Kleberaupe bis in den letzten Winkel

Das Anwendungspotenzial der Vision-Technologie scheint unerschöpflich. Mit Mut und Kreativität finden die Ingenieure immer wieder einen Weg, um technische Prozesse zu perfektionieren.

Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Böttger uwe.boettger@konradin.de

Trotz der globalen Flaute blickt Manfred Hock optimistisch in die Zukunft: „Von 2003 auf 2004 wird die industrielle Bildverarbeitung in Deutschland um 15 Prozent wachsen. “ Diesen Wert hat die alljährliche Marktbefragung des VDMA in Frankfurt/M. ergeben. Eine mutige Aussage, die das Mitglied der Geschäftsführung in der Fachabteilung Robotik und Automation ein wenig relativieren muss: „Die Prognose ist realistisch, wird aber trotzdem schwer zu halten sein. Dazu müssen sich einige Hoffnungsschimmer in den Abnehmerbranchen noch in Trends umwandeln.“
Hocks Hoffnungen hängen beispielsweise an Robot-Vision, der Synergie aus Roboter- und Bildverarbeitungs-Technik, bei der der VDMA deutliche Zuwächse feststellen konnte. Auch die optische Zeichenerkennung befindet sich laut Umfrage auf einem aufsteigenden Ast. Eines ist allerdings sicher: Die Vision-Branche wird auch im kommenden Jahr neue Anwendungsfelder erschließen. Mit Lösungen, an die heute noch keiner denkt, wird morgen richtig Geld verdient.
Vor allem die Automobilbranche und deren Zulieferer stehen vor immer neuen Herausforderungen, die wirtschaftlich gelöst werden müssen. Bei den Automobilisten sind Mischbauweisen aus Aluminium, Stahl und Kunststoff im Trend, die mit verschiedenen Fügemethoden wie Kleben, Laser, Nieten und dem traditionellen Schweißen einhergehen. Speziell beim Kleben und der Prüfung der Klebverbindung laufen die Entwicklungen auf Hochtouren.
Die SCA Schucker GmbH in Bretten hat in den letzten Jahren die Kleb-Szene maßgeblich mitbestimmt. Das Unternehmen mit seinen 230 Mitarbeitern ist weltweit präsent und bietet Dosiertechniken für die Automobilindiustrie an. Andreas Kiefer, Director International Business bei Schucker, weiß schon lange: „An Klebverbindungen werden heute die gleichen qualitativen Ansprüche gestellt wie an konventionelle Fügetechniken.“
Die Zeiten, als der Werker die Kleberaupe Pi mal Daumen mit der Pistole auf das Bauteil gedrückt hat, sind schon lange vorbei. Heute besorgen Roboter diese Arbeit. Bei der Applikation wird der Vorschub des Dosierkolbens genau gemessen und geregelt, wodurch sich das Volumen des Auftrags auf 2 % genau angeben lässt – auch unter widrigen Umständen. Kiefer: „Vor zehn Jahren lagen wir noch bei 20 Prozent.“
Die Menge hat Schucker demnach im Griff. Doch die genaue Dosis allein macht noch keine hochwertige Verbindung. Der Klebstoff muss präzise an der definierten Stelle aufgetragen sein. „Uns hat die Position und die Geometrie als zusätzliches Messkriterium gefehlt“, gibt Kiefer zu.
Bestimmte Anwendungen sind für die Bildverarbeitung wie geschaffen. Das Kontrollieren einer Kleberaupe gehört auf den ersten Blick sicher dazu: Die Geometrie des Auftrags ist vergleichsweise einfach. Zudem hebt sich der Klebstoff dank seiner phantasievollen Farbgebung deutlich vom Bauteil ab. So wundert es nicht, dass sich Schucker mit einem Bildverarbeitungs-Hersteller zusammentat. Gemeinsam mit der Isra Vision Systems AG aus Darmstadt wurde ein System erarbeitet, das nicht nur die gestellte Aufgabe erfüllt, sondern zugleich bisherige Entwicklungen in den Schatten stellt.
Der Laie fragt sich zurecht: Was soll an der Kontrolle einer simplen Raupe so schwierig sein? Die Probleme liegen wie immer im Detail. Bisher kontrollieren Stationäre Vision-Systeme den Auftrag aus einer Entfernung von 2 bis 3 m mit 8 bis 12 Kameras. Bei dieser Vorgehensweise wird nach dem Prozess in einem separaten Arbeitsgang geprüft. Das kostet nicht nur extra Zeit. Derartige Anlagen sind technisch aufwendig und entsprechend teuer.
Eine wesentlich elegantere Lösung ist die Online-Prüfung des Auftrags, bei der Fehler bereits während des Klebens sichtbar werden. Der Anwender kann somit schneller reagieren und gegensteuern. Bei dieser Lösung hat die Dosier-Komponente eine Mini-Kamera im Schlepptau, die den gerade aufgebrachten Kleber laufend kontrolliert. Die Sache hat einen Haken. Geht es mit der Düse in eine Ecke hinein, verliert die Kamera vorübergehend die Spur und hat sie erst wieder im Blick, wenn die Dosiereinheit den Winkel verlassen hat. Ausgerechnet Ecken, die bei der Applikation sowieso Problemzonen sind, werden bei der Kontrolle ausgespart. „Für uns indiskutabel“, versichert Kiefer.
In enger Zusammenarbeit mit Schucker bekam Isra das Problem in den Griff. Bei der endgültigen Lösung, die derzeit bei namhaften Automobil-Herstellern zum Einsatz kommt, sind drei Mini-Kameras um die Düse angeordnet, die dem Auswerteprogramm einen 360°-Rundumblick zu jedem Zeitpunkt des Kleb-Auftrags liefern. In den Ecken ist eine Umorientierung des Sensors nicht nötig, da alle drei Kameras miteinander verbunden sind und über die Vision-Software miteinander kommunizieren. Verliert eine Kamera die Raupe aus dem Objektiv, übernimmt augenblicklich eine andere Kamera die Kontrolle. Auf diese Weise werden Position, Geometrie und Vollständigkeit des Klebauftrags lückenlos ausgewertet.
Auch die Beleuchtungstechnik konnten die Darmstädter im Sensorkopf unterbringen. Eine Reihe von mehreren hundert Leuchtdioden sorgt dafür, dass sich die Kleberaupe stets in einem guten Kontrast zum Bauteil befindet. Eine große Herausforderung war es, die Kameras zu miniaturisieren und den Sensor dadurch so kompakt zu gestalten, dass er ein Teil der Auftrags-Komponente von Schucker wurde. Derzeit ist ein so genannter kleiner Sensorkopf im Einsatz, der bei einer Verfahrgeschwindigkeit des Roboters von 500 mm/s eine Messgenauigkeit von 0,5 mm bietet. „Damit erschlagen wir rund 90 Prozent der Anwendungen“, schätzt Schucker-Manager Kiefer. Für Ausnahmefälle und vor allem für zukünftige Anwendungen ist bereits vorgesorgt. Die Schucker-Dosiereinheit lässt sich schon heute mit einem „großen“ Sensorkopf bestücken, der bei einer immer noch ausreichenden Auflösung von 1 mm die Möglichkeit bietet, den Roboter mit der doppelten Geschwindigkeit zu bewegen.
Die Isra-Entwicklung bietet einen nicht unerheblichen Zusatznutzen: Da der Abstand der Mini-Kameras zum Messobjekt sehr gering ist, spielt der so genannte Fremdlichteinfluss so gut wie keine Rolle. Gerade in modernen Produktionshallen ist das ein Thema, da hier durch Fenster und Oberlichter zu einer bestimmten Tageszeit die Sonne direkt hereinscheinen kann. Bei konventionellen Anlagen, bei denen der Abstand zwischen Beleuchtung und Kameras und dem Prüfobjekt bis zu 3 m betragen kann, führt das in der Regel zu Problemen, denn das Sonnenlicht ist stärker als jede Beleuchtungstechnik.
Da jedes Jahr neue Anwendungsgebiete von der Bildverarbeitung erschlossen werden, ist es nur logisch, dass sich das Applikationsfeld stetig verbreitert. Während bei bei SCA Schucker in Bretten extrem miniaturisierte Kameras der Kleberaupe auf der Spur sind, lesen Vision-Systeme im Versandhaus Klingel in Pforzheim Barcodes, Maschinenschrift und handschriftliche Notizen auf Waren aller Art – vom verpackten Hemd bis zum Elektrogerät. Das ganze funktioniert bei einer Transportgeschwindigkeit zwischen 14 und 108 m/min. Nicht weniger als 10 000 Artikel werden pro Stunde auf diese Weise sicher auf den Weg gebracht.
Doch wie kommen Fördertechniker auf die Idee, Bildverarbeitung als Ident-Technik in einem Bereich einzusetzen, wo Barcode-Scanner oder Lichtschranken seit Jahr und Tag gute Dienste tun und Vision-Systeme im Vergleich nicht ganz billig sind? Siegfried Böhm, zuständig für die Transportlogistik bei Klingel: „ Vision-Systeme sind notwendig, wenn Barcodes mit Scannern nicht mehr sicher genug gelesen werden können.“ Im Gegensatz zu Scannern, die linienartig erfassen, nehmen Kameras die Information flächenhaft auf, wodurch sich auch verschmutzte oder beschädigte Codes noch einlesen lassen.
Klingel ist ein Pionier der Bildverarbeitungstechnik. Bereits 1995 lieferte die Vitronic GmbH aus Wiesbaden die erste Anlage nach Pforzheim. Seither wurde die Technik weiter ausgebaut und verfeinert. Heute meistert Klingel den Versand und die Retourenverwaltung mit einem Vision-System von Vitronic.
Im Kommissionierbereich wird die zu versendende Ware – vom biegeschlaffen, welligen T-Shirt bis zum Regenschirm – mit einem Barcode-Etikett kodiert und auf einen mit 108 m/min laufenden Crossbelt-Sorter geschossen. Dieser führt die Ware zur zugehörigen Ausschleusstation, wo sie automatisch in den Versandkarton gelegt wird. Entscheidend ist, die ankommende Ware eindeutig zu identifizieren, um die richtige Ausschleusstation ansteuern zu können. „Scanner liefern bei den teilweise stark gewellten Oberflächen und der beliebigen Ausrichtung der Ware nur unzureichende Leseraten“, begründet Siegfried Böhm den Einsatz des Vision-Systems.
Um die Position des Labels im Raum zu ermitteln, durchläuft die Ware zu Beginn der Identstation eine so genannte Höhenmess-Station. Das Messergebnis wird direkt in die spezielle Autofokus-Zeilenkamera transferiert. Hier wird innerhalb weniger Millisekunden der Fokus eingestellt, um eine optimale Schärfe für die Bildaufnahme sicherzustellen – unabhängig von der Dicke der Pakete. Das erzeugte Grauwertbild der Oberfläche wird danach in Echtzeit im Rechner analysiert. Spätestens nach 50 cm Wegstrecke liegt das Leseergebnis vor und die Ware kann am richtigen Gate ausgeschleust und in die Umverpackung eingelegt werden. Mit dieser Technologie konnte bei Klingel ein Durchsatz von 10 000 Artikeln/h erreicht werden. Die so genannte Nichtleserate liegt nach eigenen Angaben im Promille-Bereich.
Beleuchtungstechnik ist bereits im Sensorkopf integriert
Bei gewellten Barcodes versagen herkömmliche Scanner
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