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Mit den richtigen Instrumenten bleibt das Familienunternehmen auf Kurs

Unternehmensführung: Corporate Governance für den Mittelstand
Mit den richtigen Instrumenten bleibt das Familienunternehmen auf Kurs

Der Mittelstand benötigt professionellere Managementstrukturen, fordern Experten. Ein Kodex kann Lenkungs- und Führungsregeln festschreiben, um Managementfehler zu verhindern. So sichern die Inhaber den Fortbestand ihres Lebenswerks als Familienunternehmen.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

Ein beispielhafter Fall: Der Unternehmer hat die Firma groß gemacht. Er trieb die Expansion voran, die Internationalisierung. Doch als den mittlerweile 70-jährigen Patron eine Krankheit aus dem Tagesgeschäft reißt, läuft nichts mehr wie früher: Nachfolger hat er keine aufgebaut, zerstrittene Familienstämme blockieren sich in der Gesellschafterversammlung. Nach dem Tod des Chefs schließlich sitzt ein überforderter Neffe an der Spitze. Die Firma verpasst einen Technologiesprung. Erst werden die Kunden nervös, dann die Banken.
Schuld ist in solchen Fällen nicht nur die fehlende Nachfolgeregelung. Vielmehr hätten sich die Eigentümer schon beizeiten Gedanken machen müssen, wie sie den Fortbestand der Firma sichern, raten Experten. Eine Möglichkeit: ein Governance-Kodex, also Leitlinien, die festschreiben, wie der Betrieb dauerhaft zu führen ist.
„Ein Kodex, der den verantwortungsvollen Umgang der Eigentümer mit ihrem Unternehmen regelt, ist sicher ein Fortschritt“, meint dazu Prof. Dr. Peter May, Gründer der Intes-Akademie für Familienunternehmen in Bonn. May kennt die Nöte der Entrepreneure aus seiner Beratungspraxis und ist sicher: „Bessere Governance-Strukturen verbessern die Überlebensfähigket von Familienunternehmen.“
Ein Neffe, der Anteile erbt, kann einem Familienunternehmen ebenso schaden wie ein oberflächlicher Vorstand oder Aufsichtsrat. Geht es bei dem Governance-Kodex für börsennotierte Firmen darum, die Aktionäre vor den Chefetagen zu schützen, hat ein Kodex für Familienunternehmen das Ziel, Strukturen festzuschreiben, die den Bestand der Firma sichern.
Viele Familienunternehmen stehen auf einem wackligen Fundament. Rund 40 % haben laut einer Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn keine Nachfolgeregelung getroffen. Und das, obwohl laut IfM mehr als ein Drittel der Nachfolgen nötig werden, weil der Chef – häufig schon in jungen Jahren – erkrankt oder stirbt. Für solche Fälle muss vorgesorgt sein.
Die Intes-Akademie hat vor kurzem gemeinsam mit einer großen Sonntagszeitung eine Initative ins Leben gerufen, um einen Governance-Kodex für Familienunternehmen zu entwickeln. Eine Kommission namhafter Familienunternehmer hat eine Empfehlung ausgearbeitet, die nun vorliegt. Sie gibt Eigentümern auf freiwilliger Basis den Rahmen für eine Unternehmensverfassung vor.
Einer der Macher ist Dr. Jürgen Heraeus, seines Zeichens Aufsichtsratschef der Heraeus Holding GmbH in Hanau. „Die Eigentümer müssen ein eindeutiges Bekenntnis zum Familienunternehmen und der damit verbundenen unternehmerischen Verantwortung abgeben“, fordert der Vollblutunternehmer. Um ein Familienunternehmen dauerhaft zu erhalten, seien nicht nur unternehmerische Leistungen notwendig, sondern auch ein Zusammenhalt zwischen den Eigentümern.
Den hat Jürgen Heraeus bei dem Hanauer Technologiekonzern mit einem weltweit gültigen Konzernleitbild festgeschrieben, in dem die Grundwerte des Unternehmens festgehalten sind. Es gilt dabei, die Interessen von rund 150 Gesellschaftern in einer Firmengruppe mit über 9000 Mitarbeitern unter einen Hut zu bekommen.
Mitarbeiter, Manager und Gesellschafter müssen sich zu diesem Leitbild bekennen. „Alle Beteiligten bilden bei Heraeus traditionell eine Wertegemeinschaft“, betont der Aufsichtsratschef. Aufsichtsrat und Geschäftsführung stimmen sich regelmäßig über die wichtigen strategischen Fragen ab. Einmal jährlich stecken die Gesellschafter bei einem Treffen den Kurs des Unternehmens ab.
Der Kodex für Familienunternehmen, den die Kommission erarbeitet hat, behandelt mehrere zentrale Punkte:
  • Die Selbstbeschneidung der Macht der Gesellschafter: Jede Unternehmerfamilie solle bereit sein, den Interessen des Unternehmens Vorrang vor den Einzelinteressen der Gesellschafter einzuräumen.
  • Starker Tobak für den Patriarchen alter Schule ist die Transparenz: Eigentümern und Finanziers soll es erlaubt sein, die Finanzlage jederzeit beurteilen zu können.
  • Bei der Qualifikation des Managements sollen Führungskräfte aus der Familie den gleichen Anforderungskriterien entsprechen wie externe Manager.
  • Das Ausscheiden des Geschäftsführers soll an eine Altersgrenze gebunden sein.
  • Familienmitglieder, die gesetzlich nicht dazu verpflichtet sind, sollen über Experten-Gremien Kontrolle ausüben, beispielsweise durch einen Beirat oder einen Aufsichtsrat. Wer dort Kontrollpflichten grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt, soll sogar haften.
  • Wichtig war der Kommission, die Selbstbedienung zu verhindern. So darf sich kein Gesellschafter aus seinem Eigentum ein Recht ableiten, in dem Unternehmen mitzuarbeiten.
Der Kodex wendet sich an mittlere und größere Familienfirmen mit mehreren Gesellschaftern. Kleinere Betriebe können ebenfalls profitieren, wenn sie einige Grundregeln zur Führung beachten. Die Leitlinien sollen sowohl nach innen wirken wie nach außen zu Kunden und Lieferanten – und auch zu den Banken, die im Zuge von Basel II genau wissen wollen, wie der Betrieb auf Kurs gehalten wird.
„Wir erhalten überwiegend positives Feedback“, berichtet Professor May von Intes, „natürlich gibt es auch kritische Anmerkungen.“ Das Regelwerk wurde laut May seit der Veröffentlichung schon mehrere tausend Mal von der Website heruntergeladen. „Aufgrund dieser Resonanz sind wir von der Notwendigkeit des Kodex überzeugt“, sagt er. Man müsse ihn allerdings regelmäßig aktualisieren.
Wer Mittelständler zu dem Thema befragt, hört unterschiedliche Meinungen. Eine Altersgrenze für den Geschäftsführer sei beispielsweise praxisfern, sagt ein Unternehmer aus dem Schwäbischen, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Häufig verfüge gerade der Senior über großes Know-how und könne nicht so einfach abgelöst werden.
Außerdem: Viele erfolgreiche Familienunternehmen haben sich schon lange durch Unternehmensleitlinien und Führungsregeln ein gutes Fundament geschaffen – auch ohne umfangreichen Kodex.
Beispiel Pilz aus Ostfildern: Das Eigentum an dem Sicherheitstechnik-Spezialisten liegt bei der Familie. Die Grundsätze der Unternehmensführung hat Gründer Peter Pilz in den 70er-Jahren definiert. „Nach diesen Grundsätzen wird das Unternehmen auch noch heute geführt und im Unternehmen gearbeitet“, erläutert die Geschäftsführende Gesellschafterin und Witwe des Gründers, Renate Pilz.
Positioniert als „Botschafter der Sicherheit“ verfügt Pilz über ein Managementsystem, das Abläufe, Schnittstellen und Verantwortlichkeiten regelt. Nachfolger stehen bereit: Tochter Susanne und Sohn Thomas sind in verantwortlichen Positionen im Unternehmen. „Die nachfolgende Generation sollte sich aus freien Stücken entscheiden“, nennt die Firmenchefin einen Grundsatz, „menschliche und fachliche Kompetenz sind natürlich wichtige Voraussetzungen.“
Dass ein Governance-Kodex keine Garantie für Good Governance ist, zeigt die Praxis der börsennotierten Gesellschaften. Nach Meinung von Experten hält sich kaum die Hälfte der börsennotierten AGs an den verbindlichen „Cromme-Kodex“.
Für Aufsichtsratschef Jürgen Heraeus kommt es deshlab vor allem auf die innere Einstellung des Managements an. Heraeus: „Die Unternehmenskultur ist eine entscheidende Voraussetzung für den Fortbestand eines Unternehmens über mehrere Generationen hinweg.“ Ein gutes Beispiel ist sein eigenes Unternehmen – das besteht bereits in der fünften Generation.
Die Interessen der Gesellschaft stehen an der Spitze

Glossar

Corporate Governance
Verhaltensmaßstäbe für gute Unternehmensführung und -kontrolle.
Corporate-Governance-Kodex
Der deutsche Corporate Governance-Kodex wurde 2002 von der Regierungskommission verabschiedet. Die Regeln sollen für Investoren das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Gesellschaften stärken. (Dieser so genannte Cromme-Kodex ist nicht zu verwechseln mit dem freiwilligen Kodex für Familienunternehmen.)
Regierungskommission
Ständige Kommission, 2001 eingesetzt, vom Justizministerium, verabschiedet und aktualisiert den Cromme-Kodex.

Der Governance-Kodex für Familienunternehmen
Die Diskussion über Corporate Governance hat nach den Kapitalgesellschaften auch die Familienfirmen erreicht. Eine Expertenkommission hat auf Initiative der Intes-Akademie einen Kodex erstellt. Hier Auszüge:
  • 1. Bekenntnis zum verantwortungsvollen Unternehmertum Wer ein Unternehmen dauerhaft als Familienunternehmen erhalten will, muss nicht nur unternehmerische Leistung erbringen. Er muss zudem einen ausreichenden Zusammenhalt innerhalb der Eigentümerfamilie sicherstellen (…)
  • 2. Transparenz der Unternehmensstrukturen Transparenz ist eine der Grundforderungen von Good Governance. Auch im Familienunternehmen müssen die Unternehmensstrukturen deshalb so beschaffen sein, dass sie (…) es erlauben, die Finanz- und Ertragslage des Unternehmens und seiner wesentlichen Aktivitäten jederzeit zu beurteilen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
  • 3. Sicherung einer qualifizierten Führung und FührungsnachfolgeGeregelt werden müssen Anzahl der Geschäftsführer, Aufgabenverteilung, Auswahl der Geschäftsführer sowie Führungsnachfolge
  • 4. Sicherung einer qualifizierten Kontrolle der Unternehmensführung- Zusammensetzung des Kontrollgremiums- Aufgaben des Kontrollgremiums- Rechte und Pflichten der Mitglieder
  • 5. Mitwirkungsrechte der Gesellschafter – Rechtsstellung der Eigentümer- Individuelle Mitwirkungsrechte der Gesellschafter, Entscheidungsfindung – Mitarbeit im Unternehmen
  • 6. Rechnungslegung und GewinnverwendungSpätestens, wenn nicht mehr alle Gesellschafter in der Geschäftsführung tätig sind, sollte der Jahresabschluss durch einen Wirtschaftsprüfer geprüft werden. Die Gewinnverwendung sollte so geregelt sein, dass eine jährlich wiederkehrende Diskussion über die Höhe der Ausschüttung vermieden wird.
  • 7. Maßnahmen zum Erhalt des Unternehmens im FamilienbesitzDie Satzung des Familienunternehmens sollte festlegen, wer Gesellschafter werden, sein oder bleiben kann. Die Testamente der Eigentümer sollen inhaltlich aufeinander abgestimmt sein. Die Satzung sollte Abfindungsansprüche ausscheidungswilliger Gesellschafter regeln.
  • 8. Family Governance als Ergänzung zur Corporate GovernanceUm den Zusammenhalt und das Bekenntnis der Eigentümer zum Familienunternehmen zu erhalten, bedarf es einer professionellen Führung der Eigentümerfamilie. Eine Familienstrategie soll den verbindlich Umgang miteinander und die Ziele regeln.
(Den kompletten Kodex gibt es unter www.intes-online.de)
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