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Mit der Praxis für die Praxis

WZL: Impulsgeber und Schrittmacher der Produktionstechnik in Forschung und Lehre
Mit der Praxis für die Praxis

Das Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen blickt auf 100 Jahre Forschung und Lehre in der Produktionstechnik zurück. Drei Generationen der Institutsleitung haben es zu seiner einzigartigen Stellung als Ingenieursausbildungsstätte geführt.

Dr. Rolf Langbein ist freier Journalist in Waldenbuch

Erleben die Naturwissenschaften im 18. und 19. Jahrhundert eine Blütezeit, so steht die Technik im Zeitalter beginnender Industrialisierung wissenschaftlich im Abseits. „Zwischen Wissenschaft und Technik bestand im späten 19. Jahrhundert eine unüberbrückbare Kluft, die erst allmählich durch die Einrichtung ingenieurwissenschaftlicher Hochschulen geschlossen wurde“, beschrieb Werner von Siemens die damalige Situation.
Die Lehrstühle für Mechanische Technologie an den neu gegründeten Technischen Hochschulen waren noch weit von den empirisch-praktisch orientierten Bereichen der Produktionstechnik entfernt. Naturwissenschaftlich orientierte Disziplinen hatten Priorität. Den Betrieben fehlte es bei fortschreitender Industrialisierung an der industriellen Betriebsführung.
In Amerika hatte Frederic Winslow Taylor aufgrund seiner Erfahrungen als Werksleiter in verschiedenen Betrieben schon früh die Notwendigkeit einer Rationalisierung der technischen und organisatorischen Seite der Produktion erkannt. Als einer der ersten hatte er Forschungen auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Betriebsführung betrieben.
Mit den Berufungen von Georg Schlesinger in Berlin (1904) und Adolf Wallichs in Aachen (1906) auf die neuen Lehrstühle für das Fachgebiet Werkzeugmaschinen, Fabrikanlagen und Fabrikbetriebe wurde der Fabrikbetrieb auch in Deutschland zur wissenschaftlichen Disziplin erhoben und damit die Betriebswissenschaft begründet. Wallichs, ein gründlicher Kenner der Ideen Taylors, erwarb sich große Verdienste, indem er dessen Schriften übersetzte und sie in Deutschland bekannt machte.
Das Jahr 1906 mit der Berufung Wallichs gilt als das Geburtsjahr des heutigen Laboratoriums für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der RWTH Aachen, kurz Werkzeugmaschinenlabor (WZL) genannt. Wallichs begann schon bald in einem kleinen Laboratorium im Keller des Hauptgebäudes der Hochschule, mit experimentellen Mitteln nach Lösungen für vordringlich erscheinende Probleme zu suchen. Erwähnt seien hier die langjährigen Untersuchungen der Standzeiten von Schnell-stählen beim Drehen, die 1930 in das alle Standzeitergebnisse verbindende Gesetz der Schnittgeschwindigkeiten und die so genannten Aachener v60 -Tafeln für Stähle und Gusseisen mündeten.
Während seiner mehr als zehnjährigen Tätigkeit in verschiedenen Betrieben des Maschinenbaus hatte Wallichs gute Kontakte aufgebaut. Diese nutzte er jetzt als Institutsleiter zur Ausweitung und Intensivierung der Verbindung von Hochschule und Industrie. 1924 konnte er mit seiner Mannschaft den Neubau des Instituts in der Wüllnerstraße beziehen und die Forschungsaktivitäten ausweiten.
Nach 30 Jahren erfolgreichen Aufbaus des WZL legt Geheimrat Professor Wallichs 1936 die Geschicke in die Hände seines Nachfolgers Professor Herwart Opitz. Schon 1928 als Doktorand an das Institut gekommen, war er vor seiner Berufung zum Oberingenieur aufgestiegen. In einer schwierigen politischen Zeit wird Opitz 1937 Mitbegründer der Hochschulgruppe Betriebswissenschaft, die spätere Hochschulgruppe Fertigungstechnik (HGF). Die Inhaber der Lehrstühle für Werkzeugmaschinen an den technischen Hochschulen leiten mit dieser Gründung eine engere Zusammenarbeit ein, die in den Folgejahren zunehmend von Erfolg gekennzeichnet ist. Erst 1986 beschließt die HGF, sich den Namen Wissenschaftliche Gesellschaft Produktionstechnik (WGP) zu geben, denn der Begriff Fertigungstechnik deckt zu dieser Zeit die von den Instituten bearbeiteten Forschungsgebiete nicht mehr ab.
Während des zweiten Weltkrieges wurde es immer schwieriger, einen normalen Forschungsbetrieb aufrecht zu erhalten. Schon 1943 begannen erste Verlagerungen des WZL nach Belgien. Pfingsten 1944 wurde das Institut bei einem Bombenangriff vollständig zerstört.
Der deutsche Werkzeugmaschinenbau war durch den zweiten Weltkrieg gegenüber den USA zurückgefallen. Als 1946 nach der Wiedereröffnung der RWTH in den Instituten die Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten einsetzten, überlegte man, wie der Rückstand wettzumachen sei. So entstand 1947 die Idee, an in Aachen ein Werkzeugmaschinenkolloquium einzu-richten mit dem Ziel, Forschungsergebnisse möglichst schnell der Industrie zugänglich zu machen. Das erste Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium (AWK) im Juni 1948 zum Stand des Werkzeugmaschinenbaus in den Vereinigten Staaten fand das Interesse von rund 250 Teilnehmern. In enger Zusammenarbeit mit der Industrie und weiteren HGF-Instituten entwickelte sich das AWK zur führenden Veranstaltung in der Produktionstechnik. Mit 2018 Teilnehmern erreichte das 14. AWK 1971 den bisher absoluten Höhepunkt.
Das Institut zeigt sich auch als Keimzelle für neue Themen und Lehrstühle. So kommt es 1951 zur Gründung des Instituts für Schweißtechnik unter Professor Krekeler und 1953 zur Gründung des Lehrstuhls für Arbeitswissenschaften unter Professor Mathieu. 1968 entsteht unter der Leitung von Professor König die Abteilung für Zerspantechnik und abtragende Bearbeitungsverfahren. Und im gleichen Jahr wird das Institut für pneumatische und hydraulische Antriebe unter Professor Backé gegründet. Als Professor Opitz 1973 nach 37 Jahren die Leitung des Instituts an seine Nachfolger übergibt, hat das WZL in der Produktionstechnik Weltgeltung erlangt. Themen und Aufgaben haben eine Dimension erreicht, die eine Aufteilung in drei Lehrstühle notwendig macht: Produktionssystematik (Professor Eversheim), Technologie der Fertigungsverfahren (Professor König) und Werkzeugmaschinen (Professor Weck). Außerdem wird eine Abeilung für Messtechnik (Professor Pfeifer) am Institut eingerichtet, die 1988 zum ersten deutschen Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätssicherung ausgebaut wird.
Nach Bezug des Neubaus in Seffent 1976/77 und der Gründung des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie 1980 entwickelt sich das WZL nicht zuletzt durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Forschung und Lehre und eine intensive internationale Zusammenarbeit zu der herausragenden Institution für Produktionstechnik schlechthin. Als Zeichen der Anerkennung auch im Ausland verleiht 1982 die Society of Manufacturing Engineers (SME) in den USA dem WZL den SME Education Award für die vorbildliche Ausbildung von Ingenieuren für angewandte Fertigungstechnologie, Forschung und Entwicklung. Ein Auszug aus der Laudatio: „In den letzten 30 Jahren haben die hervorragende Lehrtätigkeit des Labors und seine enge Zusammenarbeit mit der Industrie dazu beigetragen, erstklassige Absolventen in den fertigungstechnischen Ingenieurwissenschaften hervorzubringen. Das Labor nimmt eine einzigartige Stellung als Ingenieurausbildungsstätte von hohem Range in der Welt ein und verdient es, als Vorbild auf der ganzen Welt zu gelten.“
Mit der Globalisierung geraten auch Hochschulen zunehmend in einen globalen Wettbewerb. Daher haben sich die RWTH Aachen und das WZL entschieden, mit internationalen Partnern gemeinsam Bildungsziele zu erarbeiten, Lehrpläne aufeinander abzustimmen, Bildungsprogramme gemeinsam zu entwerfen und die Bildungsangebote miteinander zu verzahnen. Im Rahmen der Aktivitäten zum Masterstudiengang Production Engineering arbeitet das WZL mit verschiedenen anerkannten Universitäten und Einrichtungen aus Industrie und Forschung zusammen. Als Beispiel sei hier das deutsch-chinesische Hochschulprojekt „Gemeinsam studieren – gemeinsam forschen“ zwischen der RWTH Aachen und der Tsinghua-Universität in Bejing genannt. Seit Beginn des Austauschprogramms im Wintersemester 01/02 ist bereits die vierte Gruppe von 30 Studenten der Tsinghua-Universität in Aachen empfangen worden. Ein Großteil der Lehrveranstaltungen wird in diesem Programm von den vier Lehrstühlen des WZL angeboten.
Jetzt führt die vierte Generation in der Institutsleitung das WZL mit neuen Initiativen in das zweite Jahrhundert.
Kontinuität kennzeichnet den Ausbau des WZL
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