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Mit langsamem Verfahren schneller zum Ziel

Auch für kleine und mittlere Serien gut geeignet
Mit langsamem Verfahren schneller zum Ziel

Die Funkenerosion wird meist mit der Einzelfertigung im Werkzeug- und Formenbau assoziiert. Wie verschiedene Beispiele zeigen, können die Vorteile des Verfahrens jedoch auch bei der Produktion von Klein- und Mittelserien neue Möglichkeiten erschließen und etablierte Verfahren ersetzen.

Wolfgang-D. Schenk ist Fachjournalist in Reutlingen

Der Werkzeug- und Formenbau ist ohne Erodieren nicht mehr denkbar. Immer häufiger jedoch erkennen Anwender aus anderen Branchen das Potenzial dieses Verfahrens, das heute auch ohne Spezialisten wirtschaftlich eingesetzt werden kann. Das erforderliche Know-how liefert beispielsweise die Agie AG, Losone/Schweiz, in der Steuerung gleich mit.
Die Prozesssicherheit ist neben der Arbeitsgenauigkeit ein herausragendes Merkmal der Erodiertechnik. Ergänzt durch verschiedene Automatisierungseinrichtungen, können mit dem Verfahren alle elektrisch leitenden Werkstoffe auch im mannlosen Nacht- oder Wochenendbetrieb bearbeitet werden. Die maschinelle und steuerungstechnische Ausstattung erlaubt auch die Produktion komplexer 3D-Formen oder das gleichzeitige Bearbeiten mehrerer unterschiedlicher Werkstücke in einer Aufspannung oder gleicher Teile im Paket.
Die genannten Vorteile führen dazu, dass immer mehr Unternehmen Schneid- oder Senkerodiermaschinen erfolgreich in der Klein- und Mittelserienfertigung einsetzen. Ein Beispiel ist die Kroeplin GmbH in Courtelary im Schweizer Jura. Der mittelständische Betrieb wollte die Produktion einbaufertiger Tastarme für mechanische und elektronische Längenmessgeräte rationalisieren. Bei 5000 bis 6000 Stück pro Modell und Jahr erwies sich das Gießen als zu teuer und unflexibel. Fräsen, Laser- oder Wasserstrahlschneiden schieden ebenfalls aus, da die wiederholbare Genauigkeit den Ansprüchen nicht genügte.
Nach eingehenden Versuchen entschieden sich die Schweizer für das Schneiderodieren. Das Ausgangsmaterial, zwischen 3 und 5 mm dicke Platten aus Vergütungsstahl, werden in Stapeln zu 12 oder 18 Stück zusammengefasst und hauptsächlich bei Nacht oder an Wochenenden geschnitten. Für einen Zwölffach-Stapel mit 60 mm Höhe sind hierfür etwa vier Stunden zu veranschlagen. Die relativ geringe Schnittleistung wird jedoch dank der hohen Prozesssicherheit im autonomen Betrieb mehr als kompensiert. Außerdem erspart die Konturtoleranz von ±0,05 mm teure Nacharbeit.
Die Tastarme müssen nur noch feingestrahlt werden, dann sind sie einbaufertig. Gegenüber der früheren Bearbeitung mit den Arbeitsgängen „Bleche aussägen oder Laserschneiden“, „spannungsarm glühen“ und „Nachschleifen der Funktionsteile“ wird jetzt mit dem eigentlich langsamen Erodieren um 67 % schneller gefertigt.
Für die Frank Haug GmbH in Straubenhardt, einen Hersteller von Sicherheitsteilen für den Personenschutz in Kraftfahrzeugen, ist wiederholbare Qualität eine unabdingbare Voraussetzung bei der Produktion. Um diese bei einer höheren Maschinenlaufzeit zu erreichen, setzte das Unternehmen auf eine durchgängige Fertigung.
Basis der Verkettung und Bindeglied zwischen den verschiedenen spanabhebenden Maschinen, Erodiersystemen und einem Voreinstellplatz ist ein Palettensystem. Auf diesem wandern die zu bearbeitenden Werkstücke von einer Maschine zur nächsten. Einmal eingestellt und gemessen, lassen sich die Referenzpunkte von Teil und Werkzeug ohne großen Aufwand zur Deckung bringen – eine entscheidende Prämisse für die wirtschaftliche Automatisierung.
Für eine solche Arbeitsweise sind die Erodiermaschinen von Agie gut vorbereitet. Sowohl deren Automatisierungskomponenten als auch die Steuerung tragen dazu bei, dass das System jederzeit an die betrieblichen Gegebenheiten anzupassen ist. Dieses anwenderorientierte Konzept vereinfachte die Integration in den Fertigungsablauf und trug wesentlich dazu bei, die Produktivität der Sicherheitsteile deutlich zu steigern.
Besonders günstig entwickelte sich die Durchlaufzeit für Werkzeuge zum Herstellen von Rundschalter-Elementen: Die aus hochlegiertem Werkzeugstahl bestehenden Teile werden mit einer Konturtoleranz von ±0,03 mm in vier Ausführungen von je 100 Stück gefertigt. Dank der durchgängigen Fertigung und einer in Abhängigkeit von den verfahrensspezifischen Möglichkeiten der Erodiertechnik optimierten Konstruktion konnte die Durchlaufzeit um 72 % gesenkt werden.
Ihre Lieferbereitschaft erhöhen musste die in Birmingham/Großbritannien ansässige Lucas Aerospace, ein weltweit führender Lieferant von Komponenten für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Dazu wurde unter anderem der Fertigungsdurchlauf grundlegend verändert. Die etwa 90 verschiedenen Komponenten in Losgrößen von 150 bis 200 Stück pro Modell und Jahr werden jetzt in Fertigungszellen komplettbearbeitet.
Für die Produktionsaufgabe „Steuerventil“ besteht eine solche Zelle aus CNC-Dreh- und Fräsautomaten, Bohrmaschinen sowie Entgrat- und Feinschleifstationen. Die geometrisch anspruchsvolle Dosieröffnung für die Treibstoffzufuhr wird außerhalb der Fertigungszellen von Agie-Schneiderodiermaschinen erzeugt. Da sich auf einer Erodiermaschine mehrere Ventile gleichzeitig bearbeiten lassen, erreicht diese dieselben Taktzeiten wie die Fertigungszellen. Durch das neue Konzept ließen sich bei einigen Teilen die Lieferzeiten von acht auf eine Woche senken.
Völlig neue Wertschöpfungspotenziale ergeben sich beim Optimieren von Fertigungszeit und -kosten, wenn die Möglichkeiten der einzusetzenden Verfahren schon bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Dies gilt besonders dann, wenn die Fertigteile extremen Belastungen ausgesetzt sind, wie etwa Kupplungen in Formel-1-Rennwagen.
„Immer kleiner bei immer höheren Ansprüchen“, lautete die Aufgabe, die die Rennsportabteilung der Mannesmann Sachs AG, Schweinfurt, bei der Entwicklung einer Kupplungsnabe in die Praxis umsetzten musste. Da die fertigungstechnischen Möglichkeiten der Erodiertechnik bekannt waren, nutzte das Unternehmen bei der Neuentwicklung die Vorteile dieses Verfahrens und kreierte eine Nabe, die sich im Gegensatz zum Vorgängermodell aus einem Stück fertigen ließ.
Bei rund 300 Kupplungen im Jahr spielt die Herstellzeit eine sekundäre Rolle. Viel entscheidender war, dass das Kupplungsteil aus einer Titanlegierung mit der komplizierten Geometrie und den Genauigkeitsanforderungen im µm-Bereich – Konturtoleranz Tkm = 5 µm, Oberflächengüte Rz = 4 µm – überhaupt hergestellt werden konnte. Eine spanende Formgebung war nicht möglich, erst durch das Erodieren ließen sich die konstruktiven Ideen realisieren.
Industrieanzeiger
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