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Mit schweren Lasten durch die Lüfte schweben

Schwertransporte: Luftschiff bewegt sperrige Industriegüter
Mit schweren Lasten durch die Lüfte schweben

Der Cargolifter CL 160 soll in drei Jahren als fliegender Kran weltweit Schwertransporte übernehmen – von Punkt zu Punkt, nahezu unabhängig von bestehender Infrastruktur und bei Kosten- und Zeitvorteilen gegenüber herkömmlichen Transportmitteln.

Susanne Schwab ist Journalistin in Reutlingen

Transporte überdimensionaler Güter sind umständlich, zeitaufwendig und teuer. Ob per Bahn oder Lkw, mit dem Flugzeug oder Schiff: Das Befördern großer, schwerer oder sperriger Güter ist eines der größten Probleme der Industrie. Dieses im wahrsten Sinne des Wortes gewichtige Problem will die Cargolifter AG in Briesen-Brand bei Berlin mit ihrem Transport-Luftschiff Cargolifter CL 160 lösen. Bis es allerdings so weit ist, herrscht geschäftiges Treiben auf dem Werftgelände, einem ehemaligen russischen Militärflughafen.
Seitdem der brandenburgische Wirtschaftsminister, Dr. Wolfgang Fürniß, Ende September symbolisch die Produktion der Leichter-als-Luft-Transportmittel startete, sind die Cargolifter-Ingenieure gemeinsam mit Spezialisten-Teams der Zulieferer und Entwicklungspartner emsig dabei, das 260 m lange Transport-Luftschiff sowie den Transport-Ballon CL 75 Air Crane mit 61 m Durchmesser zur Produktionsreife zu entwickeln und zu fertigen. „Wir haben hier in Brand innerhalb von rund drei Jahren einen kompletten Produktionsstand-ort samt erforderlicher Infrastruktur für Leichter-als-Luft-Transportmittel sowie ein Team mit weltweit führendem Know-how geschaffen“, erklärt Dr. Carl von Gablenz, Vorstandsvorsitzender der Cargolifter AG. „Jetzt wird endlich der erste Prototyp des Luftschiffs gebaut.“
Das Luftschiff wird mit 260 m Länge und einem Durchmesser von 65 m ein Volumen von 550000 m³ haben. Gefüllt wird es mit dem nicht brennbaren Traggas Helium. „Mit seiner Größe und Leistungsfähigkeit kann der Cargolifter das Nadelöhr bestehender Transportketten erheblich weiten“, beschreibt von Gablenz die Funktion. „Mit ihm wollen wir ein neues Logistik-System etablieren.“ Vor allem für den Maschinen- und Anlagenbau soll der Cargolifter schwerwiegende Probleme lösen. Bislang verlangsamt und verteuert jede zu niedrige oder enge Unterführung, jede Haarnadelkurve, jede nur mit begrenztem Gewicht befahrbare Brücke, jedes Gefälle, jeder steile Anstieg und jede zugefrorene Wasserstraße den Transport schwerer und großer Lasten. Diese Hindernisse existieren nicht für das Luftschiff. Aufwendige und Zeit raubende Umschlagprozesse, wie vom Lkw auf Schiff oder Bahn, werden überflüssig. „Der Cargolifter verbessert die Transport-Effizienz und kann durch verkürzte Lieferzeiten die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige stärken“, ist sich Unternehmens-Chef von Gablenz sicher. Das Luftschiff ist dabei nicht als Ersatz für die herkömmlichen Transportmittel Lkw, Bahn, Schiff und Flugzeug gedacht, sondern soll diese sinnvoll ergänzen.
Das Prinzip ist einfach: Als fliegender Kran nimmt der Cargolifter Lasten vor Ort auf und setzt sie unmittelbar am Ziel wieder ab. Dank eines neu entwickelten Lastaufnahme- und -absetzverfahrens muss der CL 160 dabei nicht landen. Während der Lastaufnahme schwebt das Luftschiff, an vier Ankerpunkten befestigt, etwa 100 m über dem Boden.
Be- und entladen wird es über eine speziell entwickelte Hebevorrichtung: Ein Laderahmen nimmt die Ladung auf. Er kann über Winden in die 50 m lange und jeweils 8 m hohe und breite Ladebucht gehoben werden. Bei der Abgabe der Ladung wird entweder neue Last aufgenommen oder eine entsprechende Menge Wasser als Gegengewicht in eigens dafür vorgesehene Tanks gepumpt.
Das Gesamtgewicht und damit die Flugeigenschaften des Luftschiffs bleiben konstant. Der spezielle Ladevorgang reduziert die nötige Infrastruktur am Boden auf ein Minimum: Der Cargolifter braucht weder Brücken noch Straßen oder Landebahnen.
„Die Kombination herkömmlicher Transportmittel mit dem Cargolifter kann völlig neue Logistikketten ergeben“, unterstreicht Dirk Steffes, Geschäftsführer der für die Kundenbeziehungen verantwortlichen Cargolifter Network GmbH, den Verwendungszweck des Luftschiffs. Nach der Devise „Jedem, was er am besten kann!“ ließen sich die jeweiligen Stärken der Transportmittel unter Kosten-Nutzen-Aspekten optimal einsetzen. Laut verschiedener Transportanalysen biete sich, sagt Steffens, eine Kombination mit Seeschiffen an.
Mit dem Start der Produktion ist in Brand die Umsetzungsphase angelaufen. „Den Produktionsbeginn darf man sich nicht so vorstellen, dass bereits in einigen Wochen ein fertiges Luftschiff in der Werfthalle steht“, erläutert von Gablenz. „Die Fertigung vieler Einzelteile des CL 160 übernehmen zunächst externe Partnerunternehmen, während die Ingenieure in Brand Produktionsmittel und Montageeinrichtungen vorbereiten sowie zur Produktion nötige Tests durchführen.“
Bis zum Beginn der Serienfertigung des Transport-Luftschiffes CL 160 im Geschäftsjahr 2004/ 2005 wird der Cargolifter sechs Produktionsphasen durchlaufen: Produktionsplanung, Materialbeschaffung, Fertigung von Einzelkomponenten, wie Bugkappe, Kiel, Gondel, Laderahmen, Hülle und Leitwerke, Gruppen- und anschließend Strukturmontage der Einzelteile samt Ausrüstung mit Systemen, Endmontage sowie Boden- und Flugtests. Der erste Prototyp des CL 160 soll Ende 2003 fertig gestellt sein und 2004 erste Testflüge aufnehmen.
Das neue Transportmittel soll, sobald es einsatzbereit ist, in vielen Bereichen schnellere und in der Regel preiswertere Transporte als bisher ermöglichen. „Mit seiner Flexibilität überwindet der Cargolifter die Grenzen herkömmlicher Logistik und kann die Kosten des Gesamtprozesses und der Kapitalbindung drastisch senken“, ist sich Dirk Steffes sicher. Mit einer durchschnittlichen Fluggeschwindigkeit von 90 km/h erhöht die fliegende Zigarre die Durchschnittsgeschwindigkeit eines konventionellen Schwerlasttransports von derzeit 8 km/h um das Zehnfache. Der Vorteil liegt auf der Hand: „Ob ein Kraftwerk oder eine Firma die Produktion nach drei Tagen oder erst nach zwei Monaten aufnehmen kann, hat Konsequenzen: Jeder Tag bedeutet bares Geld“, rechnet von Gablenz vor. Doch nicht nur das: Viele Verfahren und Produkte würden durch den Cargolifter erst möglich. Ungewöhnlich große Maschinen oder Bauteile müssen derzeit von Anfang an so konstruiert werden, dass sie zerlegbar und für den Straßentransport geeignet sind. Dem kann der CL 160 Abhilfe schaffen: „Mit unserem Luftschiff haben Ingenieure den Freiraum für eine optimale Fertigung und Montage – von überdimensionalen Turbinen bis zu fertigen Gebäuden oder Teilen ganzer Fabrikanlagen“, erläutert Steffes.
Marktstudien bestätigen das Konzept des Transport-Luftschiffs. Prognostiziert wird ein potenzielles Transportvolumen von weltweit rund 3 Mio. t pro Jahr, was einem Bedarf von etwa 200 Luftschiffen entspricht. Eine Größenordnung, die die geplante Produktionskapazität des Unternehmens von jährlich bis zu vier Luftschiffen vom Geschäftsjahr 2004/2005 an weit übertrifft.
Transport-Ballon ist bereit für den ersten Einsatz
Die Luftschiff-Experten verlassen sich indes nicht nur auf Prognosen. Entwickelt wird die neue Logistik-Dienstleistung in enger Abstimmung mit den künftigen Nutzern des Systems. Parallel zum Produktionsbeginn des Luftschiffes CL 160 hat das Unternehmen bereits Kooperationsverträge mit verschiedenen Industrieunternehmen geschlossen, die sich als potenzielle Nutzer für das Transportmittel interessieren. So haben beispielsweise der österreichische Industrieanlagenbauer Voest-Alpine und die Bauträgergesellschaft Süba Cooperation eine unverbindliche Absichtserklärung zur künftigen Zusammenarbeit unterzeichnet. Die Unternehmen werden in der ersten Phase des Lead-User-Programmes gemeinsam mit den Cargolifter-Spezialisten das Geschäftspotenzial für den Einsatz des CL 160 analysieren. Als zweite Produktlinie des Logistik-Unternehmens soll der Transport-Ballon CL 75 Air Crane mit 61 m Durchmesser bereits vor Fertigstellung des CL 160 Lasten von bis zu 75 t Gewicht transportieren. Auch hier nimmt die Nachfrage konkrete Züge an: Als potenzieller Nutzer des Transport-Ballons hat sich die taiwanesische Aviastar Asia Corporation, ein Luftfahrt- und Logistikunternehmen, angekündigt. „Im Rahmen dieser Zusammenarbeit werden wir unter anderem die Einsatzmöglichkeiten beim Bau eines Wasserkraftwerks im Nordosten Taiwans prüfen“, so Steffes. Bei Eignung für das Projekt wird der Air Crane den Transport von 140000 t in Form von Baumaschinen und -material unterstützen. „Wenn die Prüfungen positiv verlaufen, könnte der Air Crane bereits im Geschäftsjahr 2002/2003 in Taiwan eingesetzt werden – ein schöner Start für unser erstes fertiges Produkt“.
Cargolifter ergänzt bestehende Transportketten Cargolifter-Werft: Halle der Superlative
Der Cargolifter Konzern beschäftigt derzeit über 469 Mitarbeiter, rund 255 davon in der Luftschiff-Entwicklung der Cargolifter Development GmbH am brandenburgischen Werftstandort. Brand ist derzeit der Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens: Ende 2000 wurde hier die Produktionshalle für den CL 160 fertig gestellt – mit 107 m Höhe, 210 m Breite und 360 m Länge die größte freitragende Halle der Welt. Die Werfthalle überspannt die Fläche von mehr als acht Fußballfeldern. Die Mehrzahl der deutschen Hochhäuser hätte im Inneren Platz. Der Pariser Eiffelturm passte problemlos liegende in die Halle, und selbst die amerikanische Freiheitsstatue würde – ohne Sockel – nicht an das Werftdach stoßen. Die Halle besteht im Gerüst aus fünf tragenden Stahlbögen, die mit einer recyclefähigen, halbtransparenten Membrankonstruktion überspannt sind. Insgesamt wurden über 14 000 t Stahl und rund 240 t einer speziellen Kunststoff-Folie verarbeitet. Der Europäische Stahlbauverband zeichnete die Werfthalle im September mit dem Europäischen Stahlbaupreis 2001 aus.
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