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Mit Spannung kommen auch kurze Beine auf Trab

Mikrosystemtechnik: Verschiedene Antriebslösungen sind am Start
Mit Spannung kommen auch kurze Beine auf Trab

Zwischen günstigen Piezoantrieben und miniaturisierten elektromechanischen Lösungen sollen Anwender bald wählen können: Die Antriebe bringen Bewegung in winzige Handhabungs- und Montagesysteme. Welcher die meisten Vorteile bringt, hängt von der Anwendung ab.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Die technische Evolution hat sich noch nicht entschieden, welche Art von Antrieben sie für den Mikrobereich auswählen wird: Es tummeln sich so grundlegend verschiedene Lösungen wie Piezoaktoren – mit oder ohne Beine – und miniaturisierte elektromechanische Antriebe. Die Piezoaktoren werden von manchen wegen der hohen Kosten totgesagt. Bei den elektromechanischen Varianten soll die fehlende Präzision das Haar in der Suppe sein.
Soweit die Polemik. Denn ob die jeweilige Kritik gerechtfertigt ist, hängt nach Auskunft von Experten von Details einer Anwendung ab. Einer der Pioniere im Bereich der Mikroantriebe, Dr. Björn Magnussen, sieht aber Felder, in denen die genannten Antriebssysteme tatsächlich im Wettbewerb stehen. „Unsere Piezomotoren haben das Potenzial, den Herstellern von Elektromotoren bald erhebliche Marktanteile wegzunehmen“, sagt der Chef des Dortmunder Antriebsherstellers Elliptec Resonant Actuator AG.
Sein Optimismus gründet vor allem auf der Tatsache, dass der Preis für die Mini- antriebe erheblich gesunken ist. Die anfangs rund 400 Euro pro Stück leisteten sich nur Spezialisten in der Chipfertigung oder Anwender, die in Mikroskopen extreme Präzision erreichen wollten. Seit aber Konstruktion, Bauteile und Herstellung der Aktoren vereinfacht wurden, fiel der Stückpreis auf 2 bis 4 Euro – langfristig soll er sogar auf 1 Euro sinken.
Auch die Lineartechniker bei SKF haben solche Antriebe für sich entdeckt. Die SKF Multitec AB im schwedischen Helsingborg, für den Vertrieb der Lineartechnik-Produkte in Skandinavien zuständig, arbeitet beispielsweise mit dem Unternehmen Piezo Motor zusammen. Dieses stellt in der Nähe von Uppsala sogenannte Piezo-Legs-Motoren her: Sie sind mit vier „Beinen“ aus Piezoelementen ausgestattet. Wenn Strom angelegt wird, bewegen sie sich abwechselnd und machen Schritte im Nanometer-Bereich, mit denen sich lineare Bewegungen erzeugen lassen.
Linear oder rotativ sind die Bewegungen, die Elliptec mit seinen Motoren erzeugt. Um deren Preis so weit wie möglich zu senken, verzichten die Nordrhein-Westfalen auf einen Teil der Präzision, die theoretisch möglich wäre. Dennoch sei eine Positioniergenauigkeit im Mikrometerbereich zu erreichen, bei Geschwindigkeiten bis zu 300 mm/s.
Bei einem Referenzkunden ist Magnussen damit im wahrsten Sinne des Wortes schon zum Zuge gekommen: Zu Modelleisenbahnen nämlich, denn die Göppinger Märklin Holding GmbH setzt die Piezo-Technik für Verstellfunktionen ein. Doch auch industrielle Einsatzbereiche hat der Elliptec-Chef im Blick. Auf der Internationalen Automobilausstellung IAA hat beispielsweise ein Aussteller ein Verstellsystem für Lüftungsklappen im Fahrzeuginnenraum präsentiert, das auf den Piezomotoren basiert. Dass der Titel des ersten Piezo-Elements im Auto streng genommen schon vergeben ist – er gebührt den Aktoren in modernen Common-Rail-Systemen – tut der Freude über die neue Referenz keinen Abbruch. Referenzen aus der Mikrosystemtechnik gibt es hingegen noch nicht, obwohl die Dortmunder Entwicklungsingenieure mit entsprechenden Anfragen schon zu tun haben – Prognosen darüber, wann erste Produkte auf den Markt kommen, wagt Elliptec nicht. Für solche Aussagen sei es noch zu früh, heißt es.
Eben die mikrosystemtechnischen Anwendungen haben auch eine Reihe von Unternehmen im Blick, die im Forschungsprojekt Baulin die unteren Grenzen elektromechanischer Antriebe ausloten wollten. Drei Jahre lang haben sie geforscht und im Oktober ihr Ergebnis vorgestellt: Demonstratoren von Linearaktuatoren, die mit Motor, Spindel, Sensor und Steuerung ausgestattet sind. Ihre Durchmesser betragen 2 mm, 6 mm und 8 mm.
„Bei dieser Größenwahl haben wir uns an vorhandenen Elektromotoren orientiert“, sagt Dr. Frank Gindele, Mitarbeiter am Institut für Mikrotechnik Mainz (IMM) und Sprecher des vom Bundesforschungministerium geförderten Baulin-Projekts. Ausgehend von den Motoren fiel Entwicklungsarbeit an, um die Schnittstellen zwischen den Komponenten der Linearantriebe aufeinander abzustimmen und sie auf möglichst geringem Bauraum unterzubringen. Von der Idee eines komplett modularen Aufbaus für Antriebe dieser Größenordnung haben sich die Mitstreiter der Esslinger Festo AG & Co., der Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG in Schönaich und der Lust Hybrid-Technik GmbH in Hermsdorf denn auch verabschieden müssen. Statt dessen haben sie sich für Baugruppen entschieden, die sie der Größe des Antriebs angepasst haben.
Das zeigt das Beispiel der Mechanik. Die Gleitspindel für den Antrieb mit 2 mm Durchmesser ist gerade 1,2 mm dick. „Solche Komponenten lassen sich noch mit Verfahren der Feinwerktechnik fertigen“, erläutert Gindele. Für die Motoren muss der Hersteller Faulhaber hingegen teilweise auf lithografische Verfahren zurückgreifen. In der Baugröße mit 6 mm Durchmesser war Platz für eine Rollspindel mit 6 Rollen, bei 8 mm Durchmesser fiel die Entscheidung zu Gunsten eines winzigen Kugelgewindetriebs aus, der höhere Genauigkeit zulassen dürfte.
Fragen nach Werten für Verfahrgeschwindigkeit und Präzision dieser Antriebe lassen sich noch nicht beantworten. „Das Projekt sollte die Basis für zukünftige Produkte schaffen“, sagt der Mainzer Experte Gindele. „Wo Verbesserungsbedarf besteht, müssen Tests noch zeigen.“
Diese folgen, denn sie werden entscheidend für das Entstehen eines Serienproduktes sein, wie Projektpartner Festo mitteilt. Anwendungsmöglichkeiten sieht der Esslinger Antriebsspezialist beispielsweise in der Montage- und Handhabungstechnik, wo positioniert und justiert, ausgerichtet und geprüft werden muss. Präzision und angepasste Verfahrbewegungen seien in der Halbleiterindustrie gefragt oder auch bei innovativen Klebe- und Montagetechniken in der Mikroelektronik. „Die Einsatzpotenziale für die miniaturisierten Stellantriebe sind gegeben“, heißt es aus Esslingen.
Die mögliche Konkurrenz durch Piezoantriebe sieht man gelassen: Schließlich gebe es verschiedene Anwendungen, die entweder die eine oder die andere Variante zur besseren Lösung machen würden. Was zu dem Schluss führt, dass die Polemik in der Diskussion die technische Evolution der Antriebe vielleicht kalt lässt: Selbst über lange Zeiträume merzt sie nicht alle parallelen Entwicklungen aus. In ihren Nischen bleiben alle im Rennen.
Von wegen teuer: Preise für Piezomotoren sind auf 1 % gesunken
Kleinster Aktor aus dem Baulin-Projekt ist nur 2 mm dick
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