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Mit viel Schwung in neue Forschungsfelder

Teil 1, F&E: Wissenschaftlich-Technisches Zentrum Roßlau
Mit viel Schwung in neue Forschungsfelder

Die Industrieforschung im Osten der Republik hat sich wieder aufgerappelt, wie das WTZ Roßlau beispielhaft zeigt. Mit einem innovativen Schwungrad-Energiespeicher für Fahrzeuge wollen die Ost-Forscher ein neues Geschäftsfeld erschließen.

Stefan Schroeter ist Journalist in Leipzig

Das Schwungrad im Musterbau des Wissenschaftlich-Technischen Zentrums für Motoren- und Maschinenforschung Roßlau gGmbH (WTZ) erinnert an einen Brummkreisel. Mit seiner Geschwindigkeit von 25 000 min-1 läßt der glockenförmige Körper aus Faserverbund-Material das Kinderspielzeug freilich weit hinter sich. Das Vakuum-Schwungrad ist ein Hochleistungs-Energiespeicher, der in Straßen- und Schienenfahrzeugen für effektive Beschleunigung sorgen soll. Das Prinzip ist bekannt: Bremst das Fahrzeug ab, wird die Bremsenergie genutzt, um das Schwungrad über einen speziellen Motorgenerator in Bewegung zu versetzen. Wird das Fahrzeug wieder beschleunigt, wandelt der Motorgenerator die Bewegungsenergie wieder in Elektroenergie für den dieselelektrischen Antrieb um.
Dieses Prinzip spart nicht nur Energie, wie Fachleute betonen. „Wenn unser System eingesetzt wird, muss man den Dieselmotor nur noch halb so groß bauen“, erklärt Entwicklungsingenieur Dr. Frank Täubner. „Die nötige Beschleunigungsleistung kann viel kleiner ausgelegt werden.“ Das WTZ hat nach seinen Angaben Pionierarbeit auf dem lange diskutierten Gebiet der Schwungrad-Speicher geleistet: Nachdem viele Institute in den vergangenen Jahren an einzelnen Komponenten forschten, haben die Roßlauer erstmals ein vollständiges System entwickelt. Dabei haben sie selbst Produktionsmethoden geschaffen, wie das Wickelverfahren des Faserverbund-Materials für das Schwungrad, das trotz enormer Fliehkräfte nahezu schwingungsfrei laufen muss. Alle Probleme sind noch nicht gelöst. Als Knackpunkt für die angestrebte Lebensdauer von 20 Jahren bezeichnet Täubner noch die Leichtlauf-Kugellager, die das WTZ von einem Spezialhersteller bezieht. Er räumt ein: „Hier ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen.“
Bisher hat das WTZ zwei Prototypen mit maximalen Leistungen von 150 kW und 350 kW entwickelt, die 2 kWh und 6 kWh Energie speichern können. Der Wirkungsgrad liegt bei 80 %. Während der kleinere Speicher für Straßenbahnen, Busse und Lastkraftwagen bestimmt ist, soll der größere in Eisenbahn-Lokomotiven eingesetzt werden. Gegenwärtig arbeiten die Roßlauer Ingenieure im Auftrag eines international tätigen Konzerns an zwei weiteren Prototypen, die in diesem Herbst noch in Eisenbahn-Lokomotiven auf ihre Praxistauglichkeit getestet werden sollen. WTZ-Geschäftsführer Joachim Häntsche hält das Schwungrad auch in einem Personen-Kraftfahrzeug für geeignet und lässt durchblicken: „Wir sind im Gespräch mit allen großen Autokonzernen.“
Mit dem Schwungrad-Thema hat sich das Industrieforschungs-Unternehmen ein neues Standbein aufgebaut. Denn die eigentliche Domäne der Roßlauer Ingenieure ist die Motorenforschung. 1950 als Konstruktionsbüro für Dieselmotoren gegründet, wuchs das WTZ bis zur deutsch-deutschen Wäh-rungsunion 1990 als Forschungsbereich des damaligen Schwermaschinen-Kombinats SKL Magdeburg bis auf 360 Mitarbeiter. Die Roßlauer entwickelten in dieser Zeit Dieselmotoren für die Industrie, für Schiffe und Diesellokomotiven.
WTZ-Chef Häntsche verweist heute noch gern darauf, dass die Roßlauer 1975 zuerst den elektronisch gesteuerten Diesel-Einspritzmotor entwickelt hatten. „Damit waren wir ein Jahr schneller als die Konkurrenten im Westen.“ Mit dem Niedergang der ostdeutschen Industrie schmolz allerdings auch das WTZ nach der Währungsunion bis auf 65 Mitarbeiter zusammen. Immerhin gelang es in dieser schwierigen Zeit, einen Trägerverein zu gründen, der das Forschungsunternehmen 1994 privatisieren konnte. Damals lebte das WTZ vor allem von der Projektförderung der Bundesregierung; in den letzten Jahren stieg aber allmählich wieder der Anteil der Industrieaufträge.
Neue Forschungsfelder sorgen für mehr Kontinuität
„1999 haben wir erstmals wieder mehr Umsatz aus Industrieaufträgen als aus der Projektförderung gemacht“, sagte Häntsche und ist sich sicher: „Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen.“
In den letzten Jahren hat das WTZ für seine Kooperationspartner Hauptentwürfe für neue Motoren erarbeitet, Schadstoffemissionen an Motoren optimiert und speziell für Großdiesel-Gasmaschinen in Blockheizkraftwerken ein spezielles Zündstrahlverfahren entwickelt. Seit zwei Jahren vermarktet Roßlau auch selbst entwickelte Produkte, darunter ein Volumenstrom-Messgerät für Einspritzdüsen und eine Kraftstoff-Wasser-Emulgieranlage. Geschäftsführer Häntsche sieht das Forschungsunternehmen als Partner für mittelständische Unternehmen, das freilich die nötigen Finanzmittel vor allem durch Aufträge von Großunternehmen erwirtschaften muss. Allerdings gibt es in der Motorenforschung viele Wettbewerber, die sich die Industrieaufträge der großen Hersteller gegenseitig abjagen. Hinzu kommt, dass die Umsätze in der Motoren-Produktion bestenfalls stagnieren, im Schiffbau und bei Motor-Heizkraftwerken sind sie rückläufig. Deshalb versucht das WTZ, neue Geschäftsfelder zu erschließen.
Eine wichtige Rolle soll dabei der neu entwickelte Schwungrad-Energiespeicher spielen. Die Arbeiten haben 1995 als Projekt begonnen, das voll vom Bund gefördert wurde. Seit zwei Jahren trägt das WTZ ein Viertel der Forschungskosten selbst. So hat das Forschungsunternehmen inzwischen von den 6 Mio. DM Gesamtkosten selbst 600 000 DM eigene Mittel in das Projekt gesteckt. Langsam beginnt sich diese Investition aber auch wieder auszuzahlen, weil einige an dieser Technik interessierte Kunden mittlerweile Entwicklungsaufträge nach Roßlau vergeben. Dennoch wünscht sich Häntsche ein wenig von der finanziellen Kontinuität, die andere etablierte Industrie-Forschungseinrichtungen haben. So verweist er auf die Fraunhofer-Institute, deren Etats zu einem Drittel von Bund und Ländern getragen werden. Das WTZ kann bisher nicht auf eine solche Grundförderung für Investitionen in neue Technik und Vorlauf-Forschungen rechnen. „Uns fehlt die Kalkulationssicherheit“, so Häntsche. Rückendeckung erhielt er in dieser Frage vom Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Dr. Alfred Tacke, der das WTZ kürzlich besuchte. „Die ostdeutschen Institute sollten eine Grundfinanzierung von 10 bis 20 Prozent erhalten, um auf Dauer konkurrrenzfähig zu sein“, fordert Tacke. Diese Grundfinanzierung muss seiner Meinung nach von den Bundesländern geleistet werden, während der Bund wie bisher die Förderung für konkrete Forschungsprojekte übernehmen soll.
Industrieforschung: Weiterhin Fördermittel zugesagt – aber auf niedrigem Niveau
Die Fördermittel des Bundes für die ostdeutsche Industrieforschung sollen auf niedrigerem Niveau fortgesetzt werden. Wie der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Dr. Alfred Tacke bei einem Besuch im WTZ Roßlau ankündigte, stehen dafür in diesem Jahr 255 Mio. DM zur Verfügung, ebenso wie im Vorjahr 1999. Ab 2001 soll diese Summe auf 240 Mio. DM abgesenkt werden. Gleichzeitig ist geplant, die Förderquote von derzeit 75 auf 60 % abzusenken. „Wir wollen die Industrieforschung in den neuen Bundesländern ausbauen und verstetigen“, sagte Tacke.
Die niedrigeren Sätze sind für ihn dabei nicht unbedingt ein Hindernis; er sieht darin sogar einen gewissen Anreiz. Die Institute sind seiner Meinung nach zu einer stärkeren Kooperation mit Industriepartnern angehalten, wenn sie von vornherein einen größeren Beitrag zu einem Projekt einsammeln müssen. „Die Unternehmen sind ihrerseits vom ersten Schritt an dabei und haben damit auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz.“ Die bisherige Entwicklung der ostdeutschen Industrieforschung bezeichnete Tacke als „sehr positiv“. Die 34 Forschungsinstitute würden von den mittelständischen Unternehmen als Partner akzeptiert, 71 % der Fördermittel kämen ihnen über gemeinsame Projekte zugute. Die in Ostdeutschland übliche Praxis, dass Fördermittel direkt für konkrete Forschungsprojekte beantragt werden, will Tacke künftig auch auf die westdeutsche Industrieforschung übertragen. Davon verspricht er sich eine bessere Anwendungs-Orientierung und ein kürzeres Antragsverfahren.
Stefan Schroeter
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
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