Bei dem Konzept wird die vorhandene Schachbrettstruktur der Wohnblöcke in 3×3 Blöcke zusammengefasst, die gemeinsam einen „Superblock“ bilden. In diesem wird die Verkehrsführung so gelenkt, dass im Superblock selbst kein Durchfahren mit motorisiertem Individualverkehr (MIV) mehr möglich ist und der Verkehr stattdessen an den umliegenden Straßen entlang geleitet wird. Der so gewonnene Straßenraum wird durch vergrößerte Fahrradwege, Baumbepflanzung und die Errichtung von Stadtmobiliar, neu genutzt.
Vor diesem Hintergrund haben sich auch in Deutschland autofreie und autoreduzierte Konzepte etabliert. Dass diese nicht nur für Anwohner Vorteile bieten, sondern ebenfalls die Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen und diverse andere Akteure ansprechen, wird in diesem Beitrag genauer beleuchtet.
Mobilitätskonzepte „made in Germany“
Beispiele für die Umsetzung von Mobilitätskonzepten in Deutschland finden sich u.a. in Köln („Stellwerk 60“), Freiburg („Vauban“), Berlin („Möckernkiez“) und München („Domagkpark“). Alle Initiativen haben gemein, dass sie wenig bis keinen MIV im Quartier zulassen und umfangreiche Car-Sharing- und/oder Mobilitätsstationen zur Verfügung stellen. Mit einem Stellplatzschlüssel von 0,0 – 0,2 pro Wohneinheit gelten die Konzepte in Köln und Berlin als „autofrei“; lediglich „autoreduziert“ sind die Quartiere mit einem Stellplatzschlüssel von 0,3–0,7 („Vauban“ und „Domagkpark“).*
Organisiert sind die „Mobilitätsquartiere“ meist als eingetragener Verein (e.V.) oder eingetragene Genossenschaft (e.G.). Im Gegensatz zum spanischen Vorbild handelt es sich ausschließlich um Neubau- und nicht um Bestandsobjekte.
Entscheidende Faktoren für das Wohnen im Mobilitätsquartier
Doch welche Faktoren spielen die entscheidende Rolle, damit Bürgerinnen und Bürger sich für das Wohnen in einem Mobilitätsquartier entscheiden und freiwillig auf das geliebte Auto verzichten? Unbestritten ist, dass sich der Stellenwert des Autos in den letzten Jahren gewandelt hat: Ökologische Aspekte, gesündere Stadträume und das Erreichen von Klimazielen haben einen immer höheren Stellenwert. Dabei hat der Sektor Verkehr laut Umweltbundesamt im Jahr 2023 noch immer rund 22% der Treibhausgasemissionen in Deutschland ausgemacht. All dies sind Gründe, um sich für das Wohnen in einem „Mobilitätsquartier“ zu entscheiden.
Für Prof. Dr.-Ing. Volker Blees** bilden im Wesentlichen drei Faktoren die Grundpfeiler für das nachhaltige Verhalten einer Person: (1) Individuelle Faktoren der Person: Hierzu zählen persönliche Werthaltungen und Präferenzen; (2) Verkehrsmittel-Verfügbarkeit am Wohnort: Zugänglichkeit der einzelnen Verkehrsmittel und (3) Lage und Erreichbarkeit von Aktivitätsstandorten, wonach z.B. Einkaufs- und Bildungseinrichtungen in der Nähe sein sollten.
Vor diesem Hintergrund dürften sich nicht nur Kommunen und Bauherren beziehungsweise Projektentwickler angesprochen fühlen. Synergien können vielmehr auch durch Zusammenarbeit eines Quartiersmanagements insbesondere mit den Bewohnern, den Verkehrsunternehmen und v.a. den Anbietern von Mobilitätsdienstleistungen entstehen.
So kann der im Quartier bestehende Bedarf an Mobilitätsangeboten (z.B. Sharing Angebote für PKW und Fahrräder) in sog. „Mobility Hubs“ zusammengefasst werden, welche durch ein Quartiersmanagement verwaltet und von den Anbietern von Mobilitätsdienstleistern zur Verfügung gestellt werden. Hierbei wäre für Bewohner sicherlich eine „all in one“-Lösung ideal, bei welcher ihnen, z.B. über eine quartierseigene App, das Mobilitätsangebot angezeigt und gleichzeitig die Zahlung abgewickelt wird. Auch wohnintegrierte Dienstleistungen wie Mietertickets für den ÖPNV sind denkbar. Die Finanzierung der im Quartier sonst anfallenden Kosten, z.B. für die Instandhaltung und Instandsetzung von Anlagen, Betriebskosten könnte z.B. über Mitgliedsbeiträge aus einem „Mobilitätsverein“, dem sich die Bewohner des Mobilitätsquartiers anschließen, erfolgen, oder über die Erhebung von allgemeinen Nutzungsentgelten.
Doch wenngleich Mobilitätsquartiere sich zahlreicher Beliebtheit erfreuen, wird Kritik vor allem von lokalen Gewerbetreibenden laut, welche durch das „Autoverbot“ im Quartier Umsatzeinbuße befürchten. So hat Gabriel Jené, Inhaber eines Textilunternehmens, aus genau diesem Grund Klage erhoben – und gewonnen, mit der Folge, dass dem Superblock in Barcelona nun der Rückbau droht. Doch auch in Deutschland finden die Mobilitätskonzepte nicht nur Anklang. Die Industrie- und Handelskammer zu Köln hat mit einem Positionspapier auf bestehende Missstände hingewiesen und fordert mehr Dialog und eine größere Einbindung der Betriebe bei der Umsetzung von Mobilitätskonzepten.
Damit das Ziel einer nachhaltigen Mobilitätswende in Wohnquartieren Realität wird und die bestehenden Mobilitätsquartiere hierzulande nicht mehr die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel darstellen, bedarf es kreativer Lösungen, die alle Akteure miteinbeziehen: Es können Synergien durch das Zusammenwirken von Kommunen, Verkehrsunternehmen, aber auch privaten Dienstleistern und Mobilitätsvereinen geschaffen werden, die letztlich die notwendigen Anreize schaffen, um das „Wohnen im Mobilitätsquartier“ für Bewohner attraktiv zu machen. Dabei darf aber selbstverständlich der Dialog mit den Gewerbetreibenden vor Ort nicht fehlen. Dann steht einem langfristigen „Mobilitätsquartier made in Germany“ nichts mehr im Wege.
* Quelle: Sarah Berg u.a., Wohnquartiere in Deutschland. Mobilitätskonzepte im Vergleich; Sammelband „Autofreie Stadtquartiere“ an der Humboldt-Universität zu Berlin.
** Quelle: Prof. Dr.-Ing. Volker Blees u.a., Quartiersbezogene Mobilitätskonzepte: Status und Thesen zur weiteren Entwicklung, Straßenverkehrstechnik 12.2023, S. 851–856.