Startseite » Allgemein »

Module machen Montage flexibler

Montagetechnik: Mit maßgeschneiderten Lösungen wettbewerbsfähig
Module machen Montage flexibler

Am produktivsten sind Unternehmen, die sich von der Automations-Euphorie des Hightech-Standorts Deutschland befreien und auf maßgeschneiderte, aber weitgehend werkstückunabhängige Montage setzen – mit und ohne Mensch. Die Systeme werden nicht als Sondermaschine konstruiert und gebaut, sondern aus Modulen konfiguriert.

Die Entwicklung der Montagetechnik erinnert an die Filme mit Indiana Jones und seiner Jagd nach einem verborgenen Schatz – ein Dauerbrenner mit immer neuen Anläufen: Einmal soll aufwendige Vollautomatisierung die Stückkosten senken, dann wieder stark manuell geprägte Montage, unterstützt durch Low-Cost-Automation. Derzeit blinken sogenannte Hybridsysteme heftig und fordern zur Umkehr auf. Andererseits haben Montagesysteme nach altbewährtem Konzept Konjunktur, und auch an Handarbeitsplätzen werden Montageprobleme zufriedenstellend gelöst – wie eh und je mit vielgelenkigen, hochflexiblen Mitarbeitern.

Aber vielleicht liegt es gar nicht an der Technik? Unternehmensberater entwickeln immer neue Organisationskonzepte, um Reserven in der Montage aufzuspüren. Gibt’s da nicht irgendwo eine bisher unentdeckte Goldader? In welchem Film bin ich eigentlich, fragt da ein Unternehmer, der sich umschaut, um sich sachlich zu orientieren – strategisch und praktisch. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts ISI in Karlsruhe hat festgestellt, dass ein Drittel der befragten deutschen Unternehmen die Montage automatisiert, um den Standort zu erhalten. Werden da nicht finanziell kaum quantifizierbare Opfer gebracht? Denn andererseits sehen 40 % der Firmen den mit automatisierten Anlagen verbundenen Investitionsbedarf als nicht sinnvoll an. Warum also überhaupt Automation der Montage? Gelockt wird mit flexibler Automation. Aber diese vorzuhalten, kostet auch Geld – wie eine Feuerwehr, die da ist, auch wenn es nicht brennt.
Inzwischen sind Realismus und Gelassenheit eingekehrt. Dies zeigt auch die Montage- und Handhabungsschau Motek, die vom 24. bis 27. September auf dem neuen Stuttgarter Messegelände stattfindet. Der Automatisierungsgrad in der Montage geht zurück, um eine Flexibilität zu erreichen, wie sie Automaten wie Roboter nicht bieten können.
Einer der wissen muss, was der Markt will, ist Bernd Schunk, Geschäftsleiter Vertrieb Linear Motion & Assembly Technologies der Bosch Rexroth AG, Schweinfurt. Mit der Erfahrung als Hersteller und Anwender argumentiert Schunk realitätsnah: „Allein die Wettbewerbsfähigkeit steht an oberster Stelle, wenn es um die richtige Montage- und Handhabungstechnik geht.“ In die Entscheidung für flexible Handarbeitsplätze oder eine verkettete, vollautomatische Fertigungslinie flössen sehr viele Faktoren ein – allen voran Taktzeit, Gewicht und Größe der Werkstücke, Losgröße, Variantenvielfalt und Produkt- Lebenszyklus. „Unsichere Produkt-Lebenszyklen, verbunden mit geringen Stückzahlen, sprechen eher für manuelle Produktionssysteme. Höher automatisierte Systeme empfehlen sich als wirtschaftlichste Lösung, wenn der Produkt-Lebenszyklus abgesichert und die Fertigung hoher Stückzahlen gewährleistet ist.“ Schunk rät, stufenweise zu automatisieren. Mit vorhandenen Elementen konfigurieren, statt immer wieder neu Anlagen zu konstruieren – dies ist auch das zentrale Thema der Motek.
Mehr denn je ist dabei Flexibilität gefragt – selbst, wenn sie vielleicht gar nicht benötigt werden sollte. Dies beunruhigt zwar jeden Investor, doch wer würde sich nicht glücklich schätzen, gut versichert zu sein, wenn der Blitz einschlägt? Die zu fertigenden Produkte verändern sich einfach zu schnell: Einerseits zeichnet sich ein Trend zur Miniaturisierung ab, da Elektronik mechanische Lösungen verdrängt. Andererseits fordern vor allem Automobilkonzerne die Entwicklung vom Komponenten- hin zum Systemlieferanten. Gleichzeitig steigt die Variantenvielfalt, und die individualisierten Baugruppen sind auch noch just-in-time zu liefern – ohne sinnvolle Automatisierung undenkbar. Selbst vollautomatische Anlagen müssen dabei noch so flexibel sein, dass sie eventuelle Konstruktionsänderungen verkraften.
Um solch divergierende Forderungen in den Griff zu bekommen, entwickelte Rexroth eine „Desktop Factory“ mit Einschüben im A4-Format (Halle 3, Stand 3120). Kerngedanke ist der durchgängige Einsatz einzelner Prozesse vom Musterbau bis zur Serienfertigung. „Jeder Einschubmodul steht für einen separaten Prozess in der Montage, der je nach Fertigungsbedarf austauschbar ist“, erläutert Bernd Schunk. Schrittweise lasse sich eine Fertigungslinie aufbauen, erweitern und gegen Ende des Produkt-Lebenszyklus wieder reduzieren.
Noch einen Schritt weiter zum produktneutralen Montagesystem geht es mit „Teamos Next Generation“ in Halle 7, Stand 7520. „Die Modularität wird nun noch mehr verfeinert“, sagt Hubert Reinisch, Entwicklungsleiter bei der Teamtechnik Maschinen und Anlagen GmbH, Freiberg/Neckar. „Die ‚starre’ Stationsbauweise wird aufgelöst, um Platz zu sparen und noch individueller auf Produktionsanforderungen eingehen zu können.“ In der Next Generation gibt es statt festgelegter Stationen „Prozessbänke“, auf denen sich bis zu 16 einzelne Bearbeitungsmodule im 100-mm-Raster aufreihen lassen. In der Datenbank sind über 700 Prozesse gespeichert, zum Beispiel für Laser, Einpressen, Pick-and-Place oder Roboter. Sondermaschinen lassen sich ebenfalls integrieren. Also auch hier: Konfigurieren statt konstruieren.
Durch die kleinere Rasterung ist die „Mini-Prozessbank“ in Form einer Workstation möglich. Auf dieser lassen sich einzelne Fertigungsschritte testen und Vorserien bereits auf Original-Ausrüstung produzieren. Die validierten Prozessmodule und alle Komponenten sind weiter verwendbar, sei es in den bestellten Anlagen für Kleinserien und große Taktzeiten mit effizientem Werkereinsatz oder in hochautomatisierten Systemen für kurze Taktzeiten und Stückzahlen ab 1 Mio. Stück/a im Zweischichtbetrieb.
Um flexibler und unabhängiger zu sein, hat sich die Esslinger Festo AG & Co. KG längst aus den Armen der Druckluft gelöst und setzt auf modulare Systeme mit rein pneumatischen oder rein elektrischen Handhabungsachsen sowie hybride Mischformen. Peter Löbelenz, Leiter Angebot/Projektierung Handhabungstechnik, erläutert: „Wer im Maschinen- und Anlagenbau die globale K.O.-Runde überstehen will, muss seine Taktik umstellen. Automatisierungstechnik bedeutet heute nicht nur, immer schnellere Taktzeiten zu ermöglichen. Flexible Mannschaftsteile sind gefragt.“ Entscheidend hierfür seien die jeweiligen Montageaufgaben der Kunden. Löbelenz setzt auf einbaufertige Handlingsysteme, die den Beschaffungsprozess erleichtern. Er weiß aber auch um die bionische Zukunft, die heute noch nicht geordert werden kann.
Mit „Airic’s arm“ engagiert sich Festo auf der Motek für neue Ansätze der Automatisierung: Wie kann mit technischen Mitteln ein Handhabungsapparat gestaltet werden, der dem Menschen möglichst nahekommt? Die „Muskeln“ sind als Fluidic Muscle von Festo bekannt: Ein Schlauch aus Elastomer mit eingewobenen Aramidfasern, der mit Druckluft beaufschlagt wird und durch Aufblähen seine Länge ändert. In Halle 3, Stand 3303, kann der Arm bei der Arbeit mit einer 3-kg-Hantel beobachtet werden.
Dass die Montagetechnik jedoch auf absehbare Zeit nicht von Robotern dominiert wird, ist Jochen Pfleiderer sicher. Der Verkaufsleiter von OKU Automatik in Winterbach weiß: „Nach wie vor gibt es viele Anwendungen aus unterschiedlichsten Branchen, die nur durch eine klassische Hochleistungsmontage wirtschaftlich und kontrolliert gefertigt werden können.“ OKU setzt dabei seit 50 Jahren in Rundtakt-, Längstransfer- oder Zellenmontage auf Module mit Kurvensteuerung. Nach Auslauf eines bisherigen Produkts können bis zu 80 % der Anlagenteile wieder verwendet werden.
OKU zeigt seine jüngste Entwicklung MicroCell in Halle 1, Stand 1160: Hier werden ein bis zwei Einzelteile mit bis zu 120 Takten/min bearbeitet oder montiert. Besonderer Vorzug des Systems: Es kann aufgrund seiner geringen Baugröße leicht in bestehende Fertigungseinrichtungen integriert werden. Auch OKU setzt also verstärkt auf konfigurieren statt konstruieren.
Der Weg zur optimalen Montage ist lang und keineswegs hindernisfrei, doch Johannes Wößner kennt sich aus: „Zuerst aufräumen und vereinfachen, dann erst automatisieren“, sagt der Experte für Montage- und Handhabungstechnik des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Dies gelte für den Produktaufbau, die Montageprozesse, aber auch für die Logistik. Klare Strukturen mit kurzen Wegen, aufgebaut aus modularen Prozesseinheiten, seien die Basis einer effizienten Montage. „Selbstregelnde Materialkreisläufe gewährleisten einen geringen Bestand an ‚zwischengelagerten’ Halbfertigprodukten.“ Und dann verweist Wößner noch auf ein Uraltproblem: „Dass in der Montage noch so viele Schätze ungehoben bleiben, liegt auch an der Konstruktion.“
Siegfried Kämpfer Journalist in Solingen
Fertigungslinie lässt sich schrittweise aufbauen

Montage-Flexibilität muss wirtschaftlich sein

533383

NACHGEFRAGT

Montageautomatisierung soll Kosten senken, Qualität verbessern, Produktivität erhöhen. Wie erklärt sich aber, dass der Automatisierungsgrad in der Montage rückläufig ist?
Für viele Unternehmen ist ein zunehmender Einsatz von Mitarbeitern wichtig, um im dynamischen Markt flexibel auf Kundenforderungen reagieren zu können. Solche anpassungsfähigen Montagelösungen werden zum Beispiel erforderlich durch steigende Variantenzahlen, kleinere Losgrößen, immer komplexere Produkte oder sinkende Innovationszyklen. Da bei automatisierter Montage sowohl die Systemkomplexität als auch die Investitionskosten mit zunehmender Flexibilität überproportional ansteigen, ist manuelle Montage in vielen Fällen eine wettbewerbsfähige Alternative zur Automation.
Modulare Technik macht maschinelle Montage flexibel, falls Variantenvielfalt gefordert ist. Lohnt sich das bei großen Serien?
Bei der Modultechnik muss zwischen dem Nutzen bei Anschaffung und den Vorteilen während des Betriebs solcher Anlagen unterschieden werden: Standardisierte Komponenten verkürzen Planungs- und Inbetriebnahmezeiten; zudem erlauben moderne Modulsysteme den Austausch von Prozessen binnen kürzester Zeit, so dass die Umrüstung auf ein neues Produkt nur geringen Aufwand erfordert. Somit sind weniger die absoluten Produktionszahlen als vielmehr die Häufigkeit von Varianten- und Produktwechseln ausschlaggebend für die Wirtschaftlichkeit modularer Systeme.
In welchen Bereichen bleibt manuelle Montage erhalten?
Man muss hier zwischen wirtschaftlichen und technischen Randbedingungen unterscheiden. Wirtschaftlich ist manuelle Montage auch in Zukunft, wenn sehr hohe Flexibilität benötigt beziehungsweise ein sehr großes Variantenspektrum hergestellt wird. Aus technischer Sicht sind dagegen vor allem die Produktkomplexität sowie die durchzuführenden Teil-Aufgaben wesentlich für den Automatisierungsgrad.

Marktchancen
Produktentwickler sind mit steigender kundenindividueller Variantenvielfalt konfrontiert, und oft trifft die erwartete Stückzahlentwicklung nicht wie erwartet ein. Aus diesen Gründen muss es Ziel eines erfolgreichen Unternehmens sein, die Montage so zu gestalten, dass ein über die Produktlaufzeit adaptiver Automatisierungsgrad installiert werden kann. Zudem sollten erforderliche Erweiterungsinvestitionen erst dann zeitnah getätigt werden, wenn sie tatsächlich gefordert sind.
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
Ausgabe
7.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de