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Nach Pleite das Schicksal in die Hand genommen

Union Chemnitz: Wenn den Mitarbeitern die Firma gehört
Nach Pleite das Schicksal in die Hand genommen

Vor vier Jahren haben 100 Mitarbeiter von Union Chemnitz ihre Arbeitsplätze durch eine neu gegründete Firma gerettet. Sie ist mittlerweile bundesweit eine der größten Mitarbeitergesellschaften. Inzwischen hat der Werkzeugmaschinen-Hersteller wieder eine solide Auftragsbasis.

Stefan Schroeter ist Journalist in Leipzig

Das Gebäude der Union Werkzeugmaschinen GmbH, Chemnitz, könnte fast als Gemäldegalerie durchgehen. Im Treppenhaus, in den Fluren und Büros hängen farbenfrohe Bilder mit originellen Motiven. „Wir haben eine Partnerschaft mit der künstlerischen Arbeitsgruppe des Leibniz-Gymnasiums“, erzählt der Geschäftsführende Gesellschafter Wolfgang Becker. Der Deal: „Wir steuern Leinwand und Farbe bei und bekommen dafür die Bilder.“ In der Produktionshalle wagen sich die Nachwuchs-Künstlerinnen derzeit an ihr größtes Projekt: Dort malen sie die Wand zur Lackiererei im Stil eines mittelalterlichen Freskos aus.
Die Umgebung soll einen guten Teil zum angenehmen Umgangsklima im Unternehmen beitragen. „Wir haben ein sehr freundliches Verhältnis zueinander“, so Becker. „Das bekommen wir auch immer wieder von Lieferanten und Kunden bestätigt.“ Den Grund dafür sieht Becker zum einen darin, dass sich die meisten Unioner schon seit Jahrzehnten kennen und ein eingespieltes Team sind. Zum anderen gehören 100 von 155 Mitarbeitern Anteile an dem Traditionsunternehmen.
Union ist eines der größten deutschen Mitarbeiterbeteiligungs-Unternehmen. 1996 war dieses Gesellschafts-Modell nach einer missglückten Privatisierung der einzige Ausweg, um die 1852 von David Gustav Diehl gegründete Firma vor dem endgültigen Aus zu retten. Zu diesem glücklichen Ende führte eine wechselvolle Geschichte: 1991 hatte die Treuhand die Union an die Schiess AG, Düsseldorf, und die Klöckner AG, Duisburg, verkauft. Danach wurde die Firma im Verbund des späteren Pleite-Konzerns Vulkan AG, Bremen, herumgereicht. Mit dessen Konkurs schien auch das Schicksal der Chemnitzer besiegelt. Im Mai 1996 gingen sie in Gesamtvollstreckung, die ostdeutsche Konkurs-Variante. „Damit war die Geschichte von 146 Jahren Union eigentlich beendet“, bemerkt Geschäftsführer Wolfgang Becker, „wir haben nicht mehr geglaubt, dass noch ein Investor von außen kommt.“
Damit wollte sich die Belegschaft allerdings nicht abfinden. Die meisten der nach den betrieblichen Schrumpfkuren noch verbliebenen 180 Mitarbeiter waren schon in einem Alter, in dem sie sich keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt ausrechneten. Deshalb setzten sich die leitenden Angestellten mit dem Betriebsrat und der IG Metall zusammen und arbeiteten ein Konzept für eine Mitarbeiter-Gesellschaft aus.
Der Konkursverwalter und die noch beteiligte Privatisierungsbehörde BvS zeigten sich dem Gedanken gegenüber aufgeschlossen, und auch der Freistaat stieg letztlich mit einer stillen Beteiligung von 2 Mio. DM ein. Den wichtigsten Beitrag aber leisteten die 100 Mitarbeiter, die jeweils für 10 000 DM Gesellschaftsanteile des neu gegründeten Unternehmens kauften. „Viele mussten dazu einen Kredit aufnehmen“, berichtet Einkäuferin und Betriebsratsmitglied Kathrein Eichelkamp. Als Geschäftsführer holten sich die Werkzeugmaschinenbauer wieder ihren langjährigen Betriebsdirektor Wolfgang Becker, der eigentlich schon in den Vorruhestand gewechselt war und nur noch als Berater für Union gearbeitet hatte.
Im Oktober 1996 konnte die neue Union zunächst mit 13 Mitarbeitern starten – mit dem Ziel, letztendlich auch die übrigen Gesellschafter ins Boot zu holen, sobald die Geschäfte zu laufen beginnen. Weil die Produktpalette überaltert und die Kunden verunsichert waren, lag der Schwerpunkt zunächst auf der Entwicklung neuer Erzeugnisse und dem Vertrieb. Eine kritische Zeit, in der für Miete und Gehälter 650 000 DM anfielen, aber nur 40 000 DM Umsatz verbucht werden konnten. Im Januar 1997 orderte schließlich ein mutiger Kunde die erste Maschine, Becker konnte seine Mannschaft aufstocken und hatte schon ein halbes Jahr später alle Gesellschafter wieder eingestellt. Damals zahlte es sich aus, dass die Chemnitzer Werkzeugmaschinen-Spezialisten schon seit Jahrzehnten ihre Maschinen an die westdeutsche Industrie geliefert hatten und dort an alte, gewachsene Kunden-Beziehungen anknüpfen konnten.
Neun Monate nach dem Neubeginn präsentierte Union auf der WZM-Messe Emo in Hannover die erste Neuentwicklung: ein Bearbeitungszentrum in Fahrständerbauweise. „Das war damals ein Knaller, weil viele uns schon totgesagt hatten“, erinnert sich der Geschäftsführer. Seitdem hat Union zu jeder großen Branchen-Ausstellung in Europa und den USA eine neue Maschine vorgestellt, im vorigen Sommer war die Erneuerung des Produkt-Spektrums abgeschlossen. Jetzt verfügt das Unternehmen über ein Baukasten-System für Bohrwerke und Bearbeitungszentren in zwei Baugrößen, mit dem Maschinen für die Großwerkstück-Bearbeitung maßgeschneidert erstellt werden können.
Namhafte Kunden stehen jetzt im Auftragsbuch
„Wir verwenden ausschließlich hochmoderne Bauteile und Baugruppen“, erläutert Becker. Die Genauigkeit und Produktivität der Maschinen, aber auch der Preis, liege deshalb höher als bei der Konkurrenz. Die inzwischen auf 20 Mitarbeiter angewachsene Entwicklungsabteilung bleibt weiter am Ball: Auf der Messe Metav zeigte Union dieser Tage das nach eigenen Angaben erste Tragbalken-Bearbeitungszentrum in sogenannter RAM-Ausführung.
Die neue Union Chemnitz hat bis heute 100 Bearbeitungszentren verkauft. Zu den namhaften Kunden zählen Siemens, VW, Krupp und Mannesmann. Der Ölriese Shell setzt die Maschinen in den Reparaturwerkstätten seiner Bohrinseln vor der nigerianischen Küste ein. Mit dem Exportanteil von 20 % ist Becker allerdings noch nicht zufrieden: Deshalb bearbeitet jetzt ein neu eingestellter amerikanischer Vertriebs-Mitarbeiter den US-Markt. Mittlerweile ist das Unternehmen in ein neues Werk umgezogen und hat seinen Jahresumsatz auf knapp 36 Mio. DM geschraubt. „Wir machen dabei einen branchenüblichen Gewinn“, ergänzt der Geschäftsführer stolz.
Davon sehen die Gesellschafter allerdings noch nichts: Bevor Gewinne ausgeschüttet werden, soll das Eigenkapital erst auf 35 % aufgestockt werden, um künftig die Unabhängigkeit zu sichern. Der wirtschaftliche Erfolg zahlt sich zumindest für die gewerblichen Mitarbeiter trotzdem aus: Entlohnt wird nach Tarif mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Angestellte einschließlich der Geschäftsführung müssen dort noch Abstriche machen.
Trotz Mitarbeiter-Beteiligung wird das Tagesgeschäft bei Union wie in anderen Unternehmen auch von zwei Geschäftsführern und zwei Prokuristen gesteuert. „Wir haben einen Gesellschaftsvertrag, in dem die Zuständigkeiten klar geregelt sind“, erklärt Becker, „schließlich können nicht hundert Leute jedes Problem entscheiden.“ Allerdings gibt es einen achtköpfigen Beirat, in dem drei Gesellschafter-Vertreter sitzen. Hinzu kommen ein Vertreter der IG-Metall, der Direktor der Hausbank, Oberbürgermeister Peter Seifert und der ehemalige Einkaufsdirektor von Mercedes-Benz, Karl Schunter. Becker ist überzeugt, dass die Beteiligung der Mitarbeiter auch ihre Motivation für die tägliche Arbeit beflügelt. So brachten sie zahlreiche Hinweise ein, als die Studie für die notwendige Erweiterung des Werkes vorgestellt wurde. Auch Betriebsrätin Kathrein Eichelkamp berichtet, dass ihre Kollegen sehr aufmerksam auf die Kosten achten: Schließlich gehe es um ihr eigenes Geld. „Und manchmal hängt man halt eine Stunde extra dran, wenn es vorwärts gehen muss.“
Steckbrief: Bohrwerke und Bearbeitungszentren aus Chemnitz
Die Union Werkzeugmaschinen GmbH, Chemnitz, (heute rund 36 Mio. DM Jahresumsatz) wurde am 23. September 1996 nach den Gesamtvollstreckungsverfahren der ehemaligen Unternehmen Union Sächsische Werkzeugmaschinen GmbH, Chemnitz, und Union Werkzeugmaschinen GmbH, Gera, von 100 Mitarbeitern neu gegründet.
Der Schwerpunkt liegt nun auf der Erzeugnisentwicklung, der Fertigung und Lieferung hochproduktiver Waagerecht-Bohr- und Fräsmaschinen sowie Bearbeitungszentren für die Bearbeitung großvolumiger Werkstücke der metallverarbeitenden Industrie. Außerdem werden Service- und Retrofittings-/Modernisierungsarbeiten für gebrauchte Maschinen erbracht. Die Bohrwerke und Bearbeitungszentren werden in den Grundversionen Tischbett, Kreuzbett und Fahrständer ausgeliefert. S. Schroeter
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