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Nach wie vor ein heißes Eisen

Konstruktive Mitarbeiterkritik sollte als Chance genutzt werden
Nach wie vor ein heißes Eisen

Immer noch nehmen sich viele Vorgesetzte die konstruktive Kritik ihrer Mitarbeiter nicht zu Herzen. Unternehmen vergeben damit Chancen. Denn das Feedback steigert das Engagement der Mitarbeiter, fördert das Miteinander und wird damit erfolgsentscheidend.

„Konstruktive Kritik fördert grundsätzlich eine offene Kommunikation im Unternehmen“, sagt Christel Bühren, Personalchefin der Lemken GmbH & Co KG in Alpen bei Krefeld. Noch weiter geht Dieter Schiller, in gleicher Position beim Wasseraufbereiter Grünbeck in Höchstädt an der Donau tätig: „Die Auseinandersetzung mit Kritik von Mitarbeitern führt auch zu einem engeren Miteinander.“

Trotz dieses eindeutig positiven Urteils zum Mitarbeiter-Feedback der beiden erfahrenen Personalfachleute sieht die Realität in deutschen Unternehmen vielfach anders aus: Oft wird konstruktive Mitarbeiterkritik missverstanden, bisweilen gefürchtet und deshalb gemieden. Personalberatungen machen da keine Ausnahme: Selbst berühmten und erfolgreichen Beratungshäuser scheint die Mitarbeiterkritik wie ein Stachel im Fleisch zu sitzen, was ihre Arbeit stören könnte. Von fünf Institutionen, bei denen wir aufgrund repräsentativer Empfehlungen nachfragten, wollte sich keine zu diesem Problemkreis äußern.
Damit verhielten sich die Personalberatungen genauso wie manche Unternehmen, die jene „Nähe zu den Mitarbeitern“, von denen Dieter Schiller spricht, bisher nicht entdeckt zu haben scheinen. Ähnliches gilt für jene fünf Unternehmen, die ein Gespräch hierüber im Rahmen einer Umfrage abgelehnt haben. Offenbar wollten sie keinen Staub aufwirbeln und ihn lieber unter den Teppich kehren, um Arbeit zu sparen. Dass damit auch die Minderbewertung dieses Aspekts und die Chancen, die er eröffnen kann, wenig Beachtung finden, bleibt eine unverkennbare und nicht ganz unbedenkliche Konsequenz. Sie zeigt aber auch, dass vielen, heute seit langem als nützlich erkannten Einrichtungen gerade durch diese Einstellung noch immer Schwierigkeiten begegnen, die im Interesse des Unternehmenserfolgs vermeidbar wären.
Wie sagt doch Christel Bühren bei Lemken: „Möglichkeiten, um kritische Beobachtungen und Äußerungen von Mitarbeitern zu nutzen, bieten ganz besonders Leistungsbeurteilungen, das Vorschlagswesen oder die sogenannten BEM-Gespräche. Mit diesen betrieblichen Eingliederungsmaßnahmen verlangt der Gesetzgeber, dass wenn ein Mitarbeiter länger als sechs Wochen erkrankt, mit seinem Einverständnis die Umstände erörtert werden müssen, unter denen er erkrankt und tätig ist.“
Bei Lemken führt sie dies seit mehr als drei Jahren konsequent durch und hat festgestellt, „dass dabei auch manche Vorgesetzten-Problematik, vor allem aber eben psychische Probleme eine Rolle spielen. Nicht zuletzt hat sich aber auch unser Erfolgsbeteiligungsmodell als fruchtbarer Boden für kritische und kreative Beobachtung des Betriebsgeschehens erwiesen.“ 84 % der Lemken- Mitarbeiter hätten daran teilgenommen. Wer dabei 1000 Euro einsetzen konnte in Form von Stundenentgelt oder Bargeldeinsatz, verbuchte im Schnitt jährlich einen persönlichen Gewinn von 880 Euro.
Grünbeck-Personalchef Dieter Schiller macht wiederum darauf aufmerksam, dass in seinem Hause zu den genannten Einrichtungen auch eine vierteljährlich stattfindende sogenannte „Kantinenrunde“ zählt, in der die Geschäftsleitung die Mitarbeiter ausführlich über aktuelle Kennzahlen des Unternehmens informiert und dem Mitarbeiter die Möglichkeit bietet, Kritik direkt und persönlich an die Geschäftsleitung zu richten. Außerdem gibt es einen „Kummerkasten“, in dem alles untergebracht werden kann, wo der Schuh drückt. Und eine alle zwei Jahre regelmäßig durchgeführte Mitarbeiterbefragung erkundigt sich in anonymisierter Form nach Arbeitszufriedenheit, Entwicklungsmöglichkeiten, Führungsverhalten und Informationszufriedenheit.
Dabei haben die Grünbeck-Personaler die Erfahrung gemacht, dass es dem einen oder anderen Mitarbeiter natürlich nicht immer leicht fällt, „kritische Bemerkungen im eigenen Umfeld nicht gleich persönlich zu nehmen“. Und als Besonderheit des Hauses nennt Schiller die Einführung einer „Grünbeck Wertewelt“. Zu deren Zentralwerten gehören ein „respektvoller wertschätzender Umgang miteinander, der sowohl Anerkennung als auch konstruktive Kritik beinhaltet, sowie eine offene Kommunikation“.
In diese Richtung weist auch das Sachbeispiel von Christel Bühren: „Bei der Anschaffung von neuen Produktionsmaschinen werden bei Lemken die Stamm-Mitarbeiter aus den entsprechenden Abteilungen, die die neuen Maschinen bedienen werden, immer in den Auswahlprozess mit eingebunden. Da sind besonders kritische Mitarbeiter natürlich sehr wertvoll, denn wer weiß besser als sie, welche Voraussetzungen etwa ein neuer Schweißroboter erfüllen muss, damit die Bedienungsmannschaft ihre Arbeitsaufgaben optimal erledigen kann.“
In beiden Unternehmen wird auch hinterfragt, ob man Kritik offiziell oder anonym erwarten und bewerten kann. Bei Lemken werden dafür „die jeweiligen Umstände „als entscheidend“ angesehen. „Es kommt darauf an, ob die Kritik auf Arbeitsprozesse und Arbeitsinhalte zielt oder ob sie auf Menschen gerichtet ist“, sagt Christel Bühren und Dieter Schiller fügt einen für Einsatz und Ablauf einer Mitarbeiterbeobachtung sehr wichtigen Aspekt hinzu: „Ich würde es ganz besonders begrüßen, wenn die Mitarbeiter den Mut fassen könnten, offen und sofort Feedback zu geben, wenn ein Vorgang oder eine Feststellung aktuell ist.“ Und dafür sei es vor allem wichtig, „dass sie keinen Anlass für Angst vor negativen Folgen haben müssen“.
Diese Praxisbeispiele verdeutlichen obendrein nicht allein die Bedeutung einer entsprechenden Behandlung von Mitarbeiterkritik, sondern ebenso das Engagement einer Personalführung. Das war und ist eine besonders entscheidende Grundlage für den Unternehmenserfolg. In beiden hier skizzierten Praxis-Fällen wird ein solches Engagement von der Geschäftsentwicklung der Unternehmen eindeutig bestätigt.
Als umso wichtiger erweist sich eine entsprechende Bewertung echter, auch kritischer Teilnahme von Mitarbeitern am Unternehmensgeschehen auf breiter Front, wodurch in der Gesamtheit sogar volkswirtschaftliche Konsequenzen gewonnen werden können. Diejenigen, die dafür professionell konstruktive Hilfe offerieren und sich nicht selten einen guten Namen gemacht haben, nämlich fachkundige Berater, bedürfen dafür selbstverständlich ebenfalls der Zivilcourage. Deshalb kann der Wert praktischer Erfahrungen in diesem Bereich nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Dieter Schiller von Grünbeck: „Wir sehen konstruktive Mitarbeiterkritik als Entwicklungs-Chance und als Teil unserer Unternehmenskultur.“ Und Christel Bühren von Lemken ergänzt: „Eine offene Kommunikation aufrechtzuhalten und damit sachliche Kritik immer zuzulassen, ist eine wichtige Führungsaufgabe, aber auch Aufgabe eines jeden Mitarbeiters.“
Rosemarie Fiedler-Winter Journalistin in Hamburg
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