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Nanopartikel stoßen in alle Produktbereiche vor

Werkstoffe: Mit Sprengtechniken zu nanofeinen Diamantpulvern
Nanopartikel stoßen in alle Produktbereiche vor

Die Nanotechnologie prägte die diesjährige Messe Materialica und fand sich in unterschiedlichsten Anwendungen wieder. Zugleich gab es eine Fülle von Innovationen aus allen Werkstoffbereichen. Trotz gesunkener Ausstellerzahl kamen 10 % mehr Besucher nach München als im letzten Jahr.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß – olaf.stauss@konradin.de

Mit dem Sol-Gel-Prozess stellen wir Atom für Atom die Werkstoffe her, die wir in der Anwendung benötigen“, erläutert Cengiz Yalcin von der Nanogate Technologies GmbH, Saarbrücken. Die Nanotechnologie führe nicht die bekannten Materialien in kleinere Dimensionen hinein. Vielmehr baue sie aus winzigen Bausteinen neue Strukturen im Nano-Maß auf. Dieses Erklärungsmodell für die Nanotechnologie war bei den Experten auf der Münchner Messe Materialica sehr beliebt und hat sich offensichtlich durchgesetzt. Seine Gültigkeit wird schon dadurch belegt, dass inzwischen Nano-Anwendungen in unterschiedlichsten Werkstoffbereichen zu finden sind. Zu den bekannten schmutzabweisenden Schichten – etwa auf Sanitärkeramiken oder Duschkabinen – sind jetzt ganz andere Applikationen hinzu gekommen. Die Panacol-Elosol GmbH, Oberursel, beispielsweise stellte leitfähige Klebstoffe mit Nanopartikeln vor. Sie machen es möglich, den Silberanteil in Leitklebstoffen um fast ein Drittel auf 50 % zu senken.
Die nanoskaligen, schwammähnlichen Silberpartikel ersetzen die bisher üblichen Flakes. Vorteile für die Klebeeigenschaften sind ein niedrigerer Schubmodul und höhere Festigkeit. Nach Angaben von Panacol-Elosol verbessert das nanoskalige Siliziumdioxid als Füllmaterial auch die chemischen und physikalischen Eigenschaften, ohne die Brechungszahl zu verändern: Der Klebstoff bleibt glasklar. Ein Einsatzgebiet ist die Glasfaser-Chip-Kopplung in der Telekommunikation mit einem Klebespalt von 5 µm und einer 100%igen Transmission im geforderten Wellenlängenbereich. Panacol-Elosol präsentierte noch eine weitere Neuheit auf Basis der Nanotechnologie: Bakterizide Klebstoffe für die Medizintechnik. Ähnlich wie in anderen nanotechnologischen Schichten wandern beim Aushärten die Nanopartikel – hier Silber-Ionen – an die Oberfläche und wirken dort keimtötend.
Medizintechnik, Maschinenbau, Elektrotechnik – der Klebstoffhersteller Panacol-Elosol bedient sehr unterschiedliche Branchen. In München war Vertriebsleiter Gert Tetzner in der günstigen Lage, potenzielle Kunden für das gesamte Produktspektrum ansprechen zu können. Dieses branchenübergreifende Konzept zeichnet die Materialica aus. Axel Ober, Geschäftsführer der Toby Schaum GmbH in Merdingen, meinte: „Hier habe ich eine Querschnittsmesse, auf der ich alle für mich interessanten Anwender treffe.“ Sein Unternehmen fertigt sämtliche denkbaren Teile, die sich aus PUR-Schaum herstellen lassen. An der Wand hingen Beispiele dafür: Kopfstützen, flammgeschützte Teile, Stoßbalken für Reinigungsgeräte, ein Hartschaum-Gehäuse mit Wanddicken-Sprüngen…
Die Aussteller äußerten sich generell sehr positiv über die Veranstaltung. „Wir benötigen Türöffner in neue Anwenderbranchen, und diese hochqualifizierten Kontakte finden wir auf der Materialica“, bemerkte etwa Rüdiger Hans, Projekt-manager bei der Balzers Verschleißschutz GmbH, Bingen. Auch Projektmanager Jürgen Kuster von der Getzner Werkstoffe GmbH aus Bürs/Bludenz (Österreich) sieht es so. „Hier kommen die Entwickler her, die wirklich nach Lösungen suchen.“ Genau dies schätzen auch die Vertreter der Wissenschaft wie Karsten Hube vom Competenz Centrum Ultrapräzise Oberflächenbearbeitung e.V. in Braunschweig (UPOB): „Die Materialica ist eine reine Industrieveranstaltung ohne Publikumsverkehr wie auf der Hannover Messe. Die Leute kommen mit ihren Teilen zu uns und stellen konkrete, anwendungsorientierte Fragen. Für uns ist sie daher eine wichtige Industriemesse.“
Verwunderlich bleibt allerdings, dass die Ausstellerzahl im Vergleich zum Vorjahr um fast 18 % auf 302 gesunken ist. Wo liegen die Gründe dafür? Die Messeleitung versuchte, dem Rückgang mit einer noch stärkeren Betonung der Industrienähe entgegenzusteuern, und spricht deswegen von einem „neuen Anfang“. Letztlich ist sie aber selbst ratlos. Messechef Dr. Joachim Enßlin mutmaßt, dass vielen Entwicklern das hohe Innovationspotenzial von Werkstofftechnologien noch nicht ausreichend bewusst sei. Darum erlange die Messe noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit. Andererseits ist die Besucherzahl um 10 % auf 6500 gestiegen. Diese augenblicklich zwiespältige Situation der Materialica spiegelt sich treffend am Bereich „Adhesion World“ wider, der neu eingerichtet worden ist. Mindestens 13 Klebstofffirmen wurden als Aussteller erwartet. Doch bis auf eine Handvoll haben letztlich alle wieder abgesagt. Die aber da waren, sind hoch zufrieden. Beispielsweise Gert Tetzner von Panacol-Elosol: „Die Materialica war für uns eine der besten Messen in diesem Jahr.“
Panacol-Elosol und Nanogate waren nicht die Einzigen, die Nanotechnologie zu bieten hatten. Das Thema entpuppte sich vielmehr als ein Messe-Schwerpunkt und war in Halle C1 über alle zehn „Worlds“ hinweg wiederzufinden. „Dynamische Nanotechnologie“ nennt die Carbo-Tec GmbH, Baesweiler, die Methode, mit der sie 5 bis 30 nm feines Diamantpulver erzeugt. Im Vergleich dazu liegt die Körnung natürlicher Diamanten über 1 µm. Bei der Herstellung kommt eine „Sprengstoffkomponente“ zum Einsatz, wie Verkaufsleiter Rolf Stein verrät. „Wir zerlegen reine Kohlenstoffe in ihre Atome und bauen sie in den gewünschten Strukturen wieder auf.“ Das Pulver Dynaget P lässt sich unter anderem zum Schleifen und Polieren verwenden, um hochwertige Oberflächen zu erzeugen.
Gefrierspannen fixiert filigrane und labbrige Teile
Die NTC Nano Tech Coatings GmbH, Tholey, bietet einen Klarlack im Edelstahl-Look an, der vor Korrosion schützt und gleichzeitig Anti-Graffity-Wirkung besitzt. Aufgesprühte Farbe verläuft auf der Oberfläche und bildet keine Konturen aus. „Das Sprayen wird dann einfach keinen Spaß mehr machen“, prophezeit NTC-Geschäftsführer Dr. Georg Wagner. Demnächst soll mit einem ähnlichen, nanotechnologischen Lack das Sieb einer neuen Spülmaschine behandelt werden. Ziel: Das abperlende Wasser soll den Schmutz mitreißen und das Sieb automatisch sauber halten.
Eine Marktlücke in der Nanotechnologie füllt die Surface Contacts GmbH in Saarbrücken. „Viele Anwender sind in einer schwierigen Lage, weil sie die Nano-Beschichtungen nur in geringen Stückzahlen brauchen“, erklärt Geschäftsführer Dr. Andreas Quinten. In solchen Fällen springt sein Unternehmen in die Bresche und übernimmt die Oberflächenbehandlung der meist hochwertigen Teile. Produkte wie dermatologische Laser und spezielle Kunststoff-Spritzgussformen haben die Saarbrücker schon mit Antihaft-Beschichtungen versehen.
In ihrem Gefolge bringt die Nanotechnologie auch verwandte Technologien zum Blühen, die ebenfalls mit kleinen Dimensionen umgehen können. Ein Beispiel ist das Gefrierspannen, das Friedemann Lotsch auf dem Stand des Kompetenzzentrums UPOB vorführte: Sehr filigrane oder labile Teile, die normale Spannvorrichtungen zerstören würden, friert Lotsch einfach ein oder an. 30 s bis 2 min braucht er in der Regel dafür. Als Medium verwendet er Wasser. „Viele Kunden sind begeistert, weil sie nun neue Teile bearbeiten können“, sagt der Chef der zwei Jahre jungen Lotsch Design + Technologie GmbH aus Schwerte. Neben dem Gefriertopf hat er all die Exponate ausgebreitet, die sich nun erstmals oder zumindest besser zerspanen lassen als zuvor: gefrorene Turbinenschaufeln, Plexiglas-, Schaum- und Moosgummi-Plättchen.
Natürlich ging die Materialica nicht in der Nanotechnologie auf. Erfindungen wie die galvanische Schicht Spacecoat ließen die Besucher ebenfalls staunen. Gemeinschaftlich entwickelt von BMW und der Platingtech Kollmann & Co GmbH in Niklasdorf/Österreich, vereinfacht die Schicht das Einstellen von Zahnflankenspielen in Getrieben. Spacecoat dient als Abstandshalter beim Montieren und löst sich im Betrieb von selbst auf. Zurück bleibt das erwünschte Zahnflankenspiel – bei BMW schon in Serie umgesetzt, wie Platingtech versichert.
Zuletzt noch eine Innovation aus dem Hochschulbereich: Zusammen mit Industriepartnern präsentierte die TU Chemnitz Muster-Teile aus Altgummi, zum Beispiel einen Radkasten. Das zugrunde liegende Material, Elaplasten, produzieren die Experten um Professor Dr. Günter Mennig vom Lehrstuhl Kunststoffverarbeitungstechnik aus Altreifenmehl und Polypropylen. Sie bezeichnen es als ein äußerst stabiles und formbares Technisches Elastomer (TPE), das bis zu zwei Drittel billiger ist als handelsübliche Versionen. Obwohl es auch hierzulande genügend Altreifen gibt – stärkstes Interesse sollen asiatische Firmen angemeldet haben.
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