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Nano – aktueller denn je

Nanotechniken sind das Multi-Werkzeug von morgen
Nanotechnologie – aktueller denn je

Die Nanotechnologie ist ein Multifunktionswerkzeug für vielfältige Innovationen, nach wie vor. Sie verschafft Materialien neue Eigenschaften, erhöht deren Effizienz und ermöglicht die Miniaturisierung technischer Lösungen. Doch trotz des hohen Potenzials ist es ruhig geworden um „Nano“ in der Öffentlichkeit. Wieso? Eine Bestandsaufnahme.

Hertha Kerz
Freie Fachjournalistin in Hamburg

Durch Nanotechniken entstehen unter anderem ganz neue Materialien. Für die Herstellung gibt es verschiedene Ansätze. Bei der Top-Down-Methode arbeiten Hersteller von oben nach unten. Sie produzieren nanoskalige Strukturen durch Zerkleinern. Die Bottom-up Methode arbeitet dagegen von unten nach oben. Strukturen werden Atom für Atom, Molekül für Molekül aufgebaut. Die Einsatzmöglichkeiten sind – allein in der Industrie – kaum zu überschauen.

Die Nanotechniken entwickeln sich zügig mit ungeahnten Potenzialen. In Deutschland sind um die 600 Unternehmen aktiv. Dazu gehören Konzerne wie BASF, Degussa oder Merck, ebenso wie viele kleinere und teilweise sehr kleine Firmen, die sich ausschließlich auf eine Anwendung oder Dienstleistung spezialisiert haben. Ein Rundgang durch die Nanostrukturwelt zeigt, was für die Industrie interessant ist.

Quantum Dots sind nanometergroße, halbleitende Kristalle. Durch Beeinflussen der Elektronen im Inneren lassen sich elektronische und optische Effekte hervorrufen. Dabei leuchtet jeder Punkt in einer Wellenlänge und damit einer Farbe auf – und zwar auffällig strahlend, was einen entscheidenden Effekt auf die Bildqualität hat. Denn „bei der herkömmlichen LED-Beleuchtung sind die Farben nicht schön. Auch wenn sie warmweiß heißen, sehen sie immer kalt aus. Gesichter sind blass, Farben kommen nicht gut heraus“, erklärt Professor Horst Weller, Leiter des Fraunhofer Centrums CAN in Hamburg.

So finden Nanodots ihre Anwendung beispielsweise im TV- und Monitorbereich. Weiterhin kommen Quantum Dots bei Displays zum Einsatz, bei Quantenpunkt-LEDs und in Kürze auch allgemein in Leuchtmitteln, Hintergrundbeleuchtungen und Flüssigkristallanzeigen. „Die prominentesten Vertreter der Quantum Dots sind aus Kadmiumselenid, doch gehen wir immer weiter Richtung Indiumphosphid“, erklärt Weller. „Quantum Dots generieren extrem saubere und viel mehr Farben, als andere Fluoreszenzfarbstoffe.“ Generiert werden die Dots durch chemische Fällungsreaktionen. Zwei Reagenzien werden zusammengebracht und dann „muss man mit oberflächenaktiven Substanzen viel rumtricksen, damit die Teilchen schön klein bleiben und die Größe genau kontrollieren. Das ist Hochpräzisionssynthese“, erklärt Weller.

Neben der Produktion von Nanopartikeln auf chemischem Wege gibt es auch die Möglichkeit, Klumpen oder größere Körner bis zur gewünschten Partikelgröße zu zermahlen. Rührwerkskugelmühlen werden für die Zerkleinerung und Desaggregations- und Dispergierprozesse eingesetzt. Zufallsgeformte Teilchen bis zu 5 nm sind möglich.

Durch Zermahlen entstandene Nanopartikel werden durch Additive funktionalisiert

„Am Ende möchte ich das ganze System stabil und wohl dispergiert mit vereinzelten Partikeln vorliegen haben. Das ist die Schwierigkeit“, erläutert Dr. Stefan Mende, Manager of Technical and Scientific ‧Communication bei der Netzsch Feinmahltechnik GmbH. „Weil die Biester agglomerieren und weil es Partikel-Partikel-Wechselwirkungen gibt, sogenannte Van-der-Waalsche-Kräfte. Wenn denen nicht durch Oberflächenladungen oder geeignete Additive entgegengesteuert wird, dann verklumpen sie und sie sind nicht mehr nutzbar.“ Nano-Trockenmahlerzeugnisse bis zu einer Größe von 150 nm sind möglich. Nass sind noch wesentlich kleinere Partikel erreichbar. Eingesetzt werden Partikel aus Nass- oder Trockenzerkleinerungsprozessen zum Beispiel für Batterien, Farben, Lacke und technische Keramiken.

Herzstücke elektronischer Geräte sind Mikrochips. Um die dafür nötigen Strukturen im Nanometerbereich zu fertigen, wird die Lithografie eingesetzt. Im Institut für Dünnschichttechnologie und Mikrosensorik (IDM) e. V. werden solche Schichten hergestellt. „Das sind organische Monomere, die bei uns polymerisiert werden und die Eigenschaften des Materials bestimmen“, erklärt Dr. Thomas Köpnick, geschäftsführender Vorstand. „Nutzbar sind auch Copolymere, um die gewünschten Eigenschaften zu bekommen.“ Je nachdem, welche Eigenschaften das Polymer später haben soll – Strahlenempfindlichkeit, Ätzstabilität und ähnliches – werden unterschiedliche Aromate, siliciumhaltige Verbindungen oder anderes zugesetzt. „Wir sehen im Labor nach, ob die entsprechenden Monomere kommerziell und damit preiswert vorhanden sind“, ergänzt Köpnick. „Wenn nicht, müssen wir sie extra – meist nicht ganz so preiswert – selbst herstellen. Dabei probieren wir unterschiedliche Polymerisationsmöglichkeiten unter verschiedenen Bedingungen und versuchen das Molekül zu beeinflussen. Entweder ganz langkettige hohe Molmassen oder niedrige Molmassen und vieles mehr.“ Köpnicks Team kommen dabei Publikationen zugute, in denen vor Jahren auf damals nicht nutzbare Stoffverbindungen hingewiesen wurde, die heute durch Nachsynthese verbessert und damit angewendet werden können.

3D-gedruckte Nanostrukturen für die Chip-Fertigung

3D-Drucker bauen Gegenstände Schicht für Schicht aus den CAD-Daten auf. „Handykameras nutzen eine Fresnellinse, um das Bild gleichmäßig auszuleuchten“, stellt Dr. Andreas Frölich ein Beispiel vor, Head of Sales & Marketing bei Nanoscribe. „Fresnellinsen werden millionenfach hergestellt. Nun kann man den Prototypen für die Spritzgießform aus einem Polymer oder einem Metallstück herausfräsen. Doch die Geometrie des Fräswerkzeugs hinterlässt Verrundungen. Für eine Urform, hochpräzise und winzig klein, sind derartige Ungenauigkeiten nicht akzeptabel. Hier erzwingt die Herstellung geradezu den 3D-Druck.“

In der Massenproduktion kommt es nun auf die Fähigkeiten der Spritzgießer an, ob die Serienprodukte ausreichend genau sind. „Bei einigen Highend-Anwendungen darf die Abweichung nicht größer als 70 Nanometer sein, manchmal sogar nur 40 Nanometer“, so Frölich. Der 3D-Druck beschränkt sich nicht mehr auf Strukturen im Mikrometerbereich, sondern erschließt auch den Nanometerbereich.

Es gibt viele weitere nanoskalige Strukturen. Doch ihr Innovationspotenzial wird nur zu einem Bruchteil genutzt. Die Gründe sind vielfältig. Angeführt von den Gesundheitsgefahren, die zweifellos existieren. Dabei ist erstaunlich, dass die Untersuchung der Gefahren nur langsam voranschreitet und das Finden von Problemlösungen fast vollständig unterbleibt. Das Gefahrenpotenzial ist dabei sehr unterschiedlich. Je nachdem, aus welchem Material Nanostrukturen sind und welche Geometrien sie aufweisen, agieren sie in Organismen und der Umwelt verschieden. Ein Problem ist, dass die eingesetzten Stoffe oft extrem giftig sind und niemand weiß, wie die daraus hergestellten Teile entsorgt, recycelt oder gar die Rohstoffe wiedergewonnen werden sollen – so äußern sich auch Wissenschaftler, die die Nanotechnologie voranbringen wollen.

Die größten Bedenken und Ängste

Die größten Bedenken und Ängste richten sich darauf, dass Nanostrukturen über alle Körperöffnungen in den Körper eindringen können, sich verteilen, die Blut-Hirn-Schranke überwinden und sich im Gehirn etablieren. Nachgewiesen ist, dass Nanopartikel in der Lunge oder dem Darm Entzündungen hervorrufen oder verstärken können. Allerdings werden Nanopartikel schon so lange genutzt, dass die Frage gestellt werden kann, ob nicht schon längst ein entsprechend großräumiger pathogener Effekt hätte deutlich werden müssen.

Professor Dr. Franz Faupel, Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Initiative Nanotechnologie Schleswig-Holstein e. V. (NINa SH) nimmt dazu so Stellung: „Die Gefahren der Nanotechnologie, die ich nicht verschweigen will, sollten nicht überbewertet werden“, so gibt er zu bedenken. „Gefahren gehen unter Umständen von freien Nanopartikeln aus, wenn man sie inhaliert. Oder generell, wenn sie nicht gebunden auftreten. Aber in den üblichen Produkten wie in der Mikroelektronik oder in Beschichtungen sind die Nanopartikel gebunden und man geht davon aus, dass kein Schaden entsteht.“

Doch wie sind die Gefahren dann einzuschätzen? Die Dechema meint auf Ihrer Nanopartikelseite: „Bisher wurde kein besonderer Wirkmechanismus entdeckt, der ausschließlich bei Nanomaterialien auftritt.“ Das Umweltbundesamt gibt unumwunden zu, dass es über die Freisetzung von Nanopartikeln nicht genug weiß und die Datenlage dürftig ist.

Noch lässt sich das Verhalten von Nanopartikeln nicht voraussagen

Wissenschaftler um Martin Scheringer an der ETH Zürich stellen dagegen immerhin fest: „Nanopartikel verhalten sich in der Umwelt je nach herrschenden Bedingungen völlig unterschiedlich.“ Die Forscher suchten in 270 wissenschaftlichen Studien und den beinahe 1000 darin erwähnten Laborexperimenten nach Mustern zum Verhalten künstlicher Nanopartikel. Dies mit dem Ziel, allgemeingültige Voraussagen zum Verhalten der Partikel zu machen. Um die Resultate darzustellen, nutzte ETH-Doktorandin Sani-Kast erstmals eine Netzwerkanalyse, wie sie aus der Sozialforschung zum Erfassen von Netzwerken sozialer Beziehungen bekannt ist. Ihr Resümee: „Wir müssen einsehen, dass wir mit den uns heute zur Verfügung stehenden Daten noch kein einheitliches Bild zeichnen können.“

Die Folge ist eine Art Schwebezustand. „Eine Zeitlang hatte die Nanotechnologie negative Schlagzeilen“, bestätigt Professor Faupel vom NINa SH e.V. „Das hat dazu geführt, dass Firmen das nicht mehr propagierten. Früher haben sie damit geworben, dass sie Nanotechnologie einsetzen. Heute setzt man sie in großem Stil ein, redet aber kaum darüber.“

Denn den potenziellen Gefahren, die auch Faupel nicht verschweigt, steht ein immenser Nutzen für Industrie und Gesellschaft gegenüber. Graphen besteht zum Beispiel aus Kohlenstoff und ist ein mattenförmig 2-dimensionales Material. „Graphen leitet elektrischen Strom besser als Silicium und leitet Wärme besser als Kupfer. Aufgrund seiner ein-atomaren Schichtdicke ist es durchsichtig und extrem flexibel. Es ist dehnbar wie Gummi, aber fest wie Diamant“, so Markus Morgenstern von der RWTH Aachen in einem Video der Deutschen Welle zum Projekt Graphene Flagship. Diese Kombination von Eigenschaften besitzt kein anderes Material.

Graphene – ein-atomige Schichten vervielfachen Batterieleistung

Die Herstellung ist genial einfach. Mit einem Klebestreifen wird von Graphit eine Schicht abgehoben – Graphen. Sie verleiht Kunststofffolie elektrisch leitende Eigenschaften. Sie kann beispielsweise für den Bau von elektronischen Geräten eingesetzt werden. Computerchips werden leistungsfähiger – eine Schicht aus Graphen überträgt zehn Mal mehr Daten als Silicium. Superbatterien könnten ein hundertfach höheres Leistungspotenzial generieren, sowohl an Energieleistung als auch an Haltbarkeit. Weitere Einsatzgebiete wären Compositmaterialien, die Autos und Flugzeuge leichter machen, oder Computer mit neuen Eigenschaften und erweiterten Funktionalitäten innerhalb des Internet of Things (IoT).

Ein weiteres Beispiel sind Nanoröhrchen oder -tubes. Das sind zu kleinen Schläuchen aufgerollte Graphitebenen, die nur wenige Nanometer im Durchmesser aufweisen, dafür jedoch – für die Nanowelt – extrem lang sein können, bis zu einigen Mikrometern. Tubes optimieren Verbundwerkstoffe, finden Anwendung in elektronischen Bauelementen wie Transistoren und ermöglichen eine Miniaturisierung bei höherer Leistung, die sich anders nicht machen lässt. Das Gleiche gilt für Nanoröhrenspeicher – nichtflüchtige Datenträger, die extrem schnell und sicher äußerst hohe Datenmengen realisieren.

Zu den Anwendungen gehören selbstleuchtende Displays. Tubes reduzieren das Gewicht von Flugzeugen und lassen Materialien größeren Belastungen standhalten als herkömmliche Werkstoffe. Sie verbessern die mechanischen Eigenschaften von Kunststoffen. Dabei können sie die Zugfestigkeit von Stahl weit übertreffen. Bündel von Röhren werden zu Fäden und Matten und arbeiten als Aktoren. Beimischungen in Lithiumakkus erhöhen deren Lebensdauer und Ladungseffizienz. Diese Beispiele zeigen nur einen Ausschnitt der Möglichkeiten. Tubes haben also ein extrem breites Anwendungsspektrum, das noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Hürden auch durch Wirtschafts-Lobbyisten

Diese Benefits führen direkt zu einem weiteren, heiklen Punkt: Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Nanotechnik revolutioniert alle Bereiche der Industrie, Physik, Elektronik, Elektrotechnik, Halbleitertechnologie und den Maschinenbau. Nanobeschichtungen könnten Werkzeugabrieb verhindern, Maschinenelemente fast unzerstörbar und viele Prozesse überflüssig machen. Und vor allem: Viele Produkte, Hilfsstoffe und Arbeitsgänge würden überflüssig. Ein Beispiel sind die sich selbst reinigenden Beschichtungen. Sie sind extrem teuer – jedoch nicht, wenn sie im industriellen Maßstab hergestellt würden. Im Industriebereich werden sie durchaus angewandt. Doch wäre es für die Hersteller von Wasch- und Reinigungsmitteln verheerend, wenn selbstreinigende Beschichtungen für den Endverbraucher ihre Produkte verdrängten.

Ganz anders im Nahrungsmittel- und Kosmetikbereich. Hier haben sich Nanopartikel längst etabliert – schließlich werden sie nur zugesetzt, verdrängen jedoch keine herkömmlichen Produkte. Hier wird überwiegend betont, dass sie keineswegs gesundheitsgefährdend seien.

So lässt sich beobachten, dass sich viele verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Zielen sowohl für als auch gegen den Einsatz der Nanotechnologie aussprechen. Die Nanotechnologie wird in vielen Bereichen ausgebremst. Je nach Interessenlagen in Forschung, Industrie, Gesellschaft und Politik werden Gefahrenpotenziale entweder über- oder untertrieben. Auch die Verantwortung der Medien darf nicht kleingeredet werden, die sich als Meinungsmacher aufschwingen und sich oft ohne wissenschaftlichen Hintergrund für die Zwecke der einen oder anderen Seite einspannen lassen.

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