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„Netzwerke und Cluster bilden“

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„Netzwerke und Cluster bilden“

„Netzwerke und Cluster bilden“
„In unserer hochtechnisierten Branche benötigen wir in Deutschland bestausgebildete Fachleute für die Tätigkeiten, die nicht verlagert werden können.“
Der Kunststoff verarbeitenden Branche geht es so gut wie schon lange nicht mehr, sagt Dr. Ing. Reinhard Proske, Präsident des Gesamtverbandes Kunststoff verarbeitende Industrie und Unternehmer. Doch die Erträge machen Sorgen.

Die Branche der Kunststoffverarbeitung brummt. Wie lange noch?

Die Konjunktur ist in der Tat gut. Das Statistische Material deutet dieses Jahr auf ein Wachstum von 9 % über alle Branchen hin: Bau, Extrusion, Technische Teile, Kunststoff-Konsumwaren sowie Verpackungen. Gerade in der Baubranche haben sich unsere Unternehmen von der inländischen Konjunktur abgehängt und auf Export gesetzt.
Wie geht es im nächsten Jahr weiter?
Ich bin auch für 2007 optimistisch. Ich sehe keine Risiken, dass es einen gravieren Einbruch geben wird. Es wird mit gutem Wachstum zu rechnen sein, wenn auch nicht mehr auf diesem ganz hohen Niveau.
Wo sehen Sie die Gründe dafür?
Viele Abnehmer-Branchen boomen: die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie beispielsweise, auch die Baubranche hat sich belebt. Bei den Abnehmern technischer Teile, beispielsweise der Automobilindustrie, sind wir ebenfalls optimistisch, der Markt hat sich auf hohem Niveau konsolidiert.
Zugleich klagen die Betriebe über eine schlechte Ertragslage. Wie passt das zusammen?
Damit hat unsere Industrie schon länger zu kämpfen. Auf der einen Seite agieren die großen Materialhersteller, von denen wir abhängig sind, auf der anderen Seite die großen OEMs, die ebenfalls eine Marktmacht darstellen. Dagegen können sich die einzelnen kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht wehren. Jetzt kommt noch die Ölpreissituation hinzu, die sich in den letzten beiden Jahren stark auf den Materialpreis auswirkt. Manche Rohstoffproduzenten arbeiten mit Mitteln am Markt, die wir nicht gut finden, beispielsweise mit künstlicher Verknappung. Es herrscht ein Verkäufermarkt, und das wird ausgenutzt.
Was kann der Verband tun?
Wir versuchen, Netzwerke oder Cluster zu initiieren, um gemeinsam eine stärkere Position zu erreichen. Wir haben aber im Mittelstand Widerstände zu überwinden: Viele Unternehmen haben Bedenken, sich in einem Netzwerk mit Konkurrenten zusammenzutun.
Und die hohen Energiepreise?
Die betreffen uns stark, weil wir eine sehr energieintensive Branche sind. Wir intervenieren politisch, wir repräsentieren immerhin 275 000 Arbeitsplätze in Deutschland. Außerdem haben wir für unsere Mitglieder das Projekt „Energieeffizienz im Mittelstand“ mitorganisiert. Generell gilt aber: Energiepreise, die im internationalen Vergleich höher liegen, beeinträchtigen unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Trotz eines Umsatzzuwachses von 3,6 % hat Ihre Branche vergangenes Jahr mehrere tausend Arbeitsplätze abgebaut. Wie passt das zusammen?
Das ist eine Entwicklung, die vor zwei Jahren erstmals eingetreten ist und die uns sehr überrascht hat. Früher ging mit einem guten Wachstum meist ein Aufbau von Arbeitsplätzen einher. Wir können uns das jetzt nur so erklären, dass Produktion auf verlängerte Werkbänke in Billiglohnländer verlagert wird, die Umsätze aber über das deutsche Unternehmen fakturiert werden.
Wie weit reicht diese Verlagerung?
Das betrifft weitgehend einfachere Produktionen, bei denen der Preisdruck sehr stark ist. Eine Hightech-Produktion hingegen kann nicht so ohne weiteres verlagert werden. Außerdem fordern die OEMs von Zulieferern häufig eine Produktionsstätte in einem Billiglohnland, selbst wenn diese aus heimischer Produktion den gleichen Preis bieten können.
Trotz des Arbeitsplatzabbaus klagt Ihre Branche über Facharbeitermangel …
Das passt genau zu dieser Entwicklung. In einer hochtechnisierten Branche benötigen wir in Deutschland bestausgebildete Fachleute für die Tätigkeiten, die nicht verlagert werden können. Uns fehlen sowohl Verfahrensmechaniker für Kunststoff und Kautschuk als auch Ingenieure.
Wo liegen die Probleme?
Für die Ausbildung zum Verfahrensmechaniker können wir nur noch Realschüler einstellen, weil die Qualifikation der Hauptschüler dafür meiner Meinung nach nicht mehr ausreicht. Dann haben wir das Problem, dass die gut qualifizierten Schüler lieber zu großen Firmen gehen als in den Mittelstand, obwohl die Tätigkeit dort viel interessanter sein kann. Knapp 1000 von etwa 2400 Ausbildungsplätzen in den Kunststoff verarbeitenden Betrieben konnten vergangenes Jahr nicht besetzt werden.
Was tun Sie dagegen?
Der Ausbildungsberuf des Verfahrensmechanikers für Kunststoff und Kautschukist ist zu wenig bekannt. Die Branche und der Verband wollen derzeit den Begriff der Kunststoffverarbeitung unter Jugendlichen bekannter machen. Zu wenige wissen, dass es ein attraktiver und zukunftssicherer Beruf ist, denn die Kunststoffbranche wird weiterwachsen: Kunststoff ist der Werkstoff des 21. Jahrhunderts, er wird andere Werkstoffe substituieren und weiter Anwendungsfelder erschließen.
Der Mittelstand stellt der Regierung laut Umfragen keine guten Noten aus. Was wünschen Sie sich?
Ich bin mit der jetzigen Entwicklung überhaupt nicht zufrieden. Man kann viele Einzelheiten kritisieren, von der Gesundheitsreform bis zur Mehrwertsteuer. Aber was mir am wenigsten gefällt, ist, dass der Staat immer stärker wird, dass er den Bürgern immer weniger persönliche Freiheiten lässt und immer mehr Geld benötigt. Wir brauchen einen Richtungswechsel: Wir benötigen mehr Freiheit, auch für den Unternehmer. Denken Sie nur an das Antidiskriminierungsgesetz: Da steht jeder schon vor dem Richter, wenn er ein falsches Wort sagt.
Was sagen Sie zur Unternehmenssteuerreform?
Alle reden vom Mittelstand, aber keiner denkt wirklich an ihn. Dass man Schulden eines Unternehmens, Zinszahlungen und ähnliches, zur Hälfte als Gewinn versteuern soll, das will mir nicht in den Kopf. Das geschieht, weil man Großkonzerne daran hindern will, Gewinne ins Ausland zu verschieben. Aber das sind Dinge, mit denen wir Mittelständler gar nichts zu tun haben.
Diesen Sommer gab es schon wieder Korruptionsskandale in der Automobil- Zulieferindustrie. Was können Sie da als Verband tun?
Im Endeffekt können wir gar nichts dagegen unternehmen. Wir können nur darauf hinweisen, dass – meiner Meinung nach – ehrlich am längsten währt. Es wird in jeder Branche Schwarze Schafe geben, die sich angesichts des Preisdrucks auf illegale Art und Weise Erfolg verschaffen wollen. Das hat aber auch etwas mit einem allgemeinen Werteverlust zu tun. Der Erfolg heiligt nicht immer die Mittel. Wichtig ist, dass solche Fälle aufgeklärt werden. Dann sehen die Menschen, dass die Gefahr aufzufliegen zu groß ist, und ändern vielleicht ihr Verhalten.
Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de
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