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Neue Ideen von alten Bekannten

Konzerne treiben Strukturwandel voran
Neue Ideen von alten Bekannten

Zwischen Industrieromantik und handfesten Problemen – das Ruhrgebiet setzt im Strukturwandel auf neue Ideen seiner alten Bekannten: den großen Konzernen.

Karin Leppin ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin

Es soll einmal eine der schönsten Wohnlagen in Dortmund sein. Den passenden Namen für die Auferstehung hat das Projekt schon: Phoenix. Wo früher Thyssen-Stahl gekocht wurde, wird es einen See geben, dazu schicke Häuser, Restaurants und natürlich viel Grün. So schwärmt Konrad Hachmeyer vom Dortmund-Projekt, einer Initiative der Stadt und der Wirtschaft für Stadtentwicklung. Nebenan sind Arbeitsplätze für Computer-Fachleute und Mikroelektroniker geplant. Als Zeichen für den Aufschwung wird der Entwurf Zukunftsstandort genannt.
Industrie entwickelt sich zu einer Servicewirtschaft
Orte wie diesen gibt es überall im Ruhrgebiet. Einkaufszentren, Galerien und Theater entstehen in ehemaligen Zechen oder Stahlwerken. Doch auch wenn Hochöfen als Kulisse für Kunst und Kommerz wieder zum Leben erwachen, sie erinnern an das, was nun fehlt: Arbeit. 12,5 % der Menschen im Revier haben keinen Job. Es trifft vor allem traditionelle Berufe.
Immobilienentwickler sind hingegen gefragte Fachleute in Zeiten der Veränderung. Aus alt mach neu ist ihre Spezialität. Strukturwandel heißt der Begriff dafür. Der Wandel von der Industrie- zur Servicewirtschaft, von den Monostrukturen zur Vielfalt, lässt sich kaum besser beobachten als am Beispiel der Konzerne, die seit den 20er-Jahren die Geschicke an der Ruhr bestimmen. Ob Thyssen, Preussag, Krupp oder Babcock-Borsig: Ölkrisen, Kürzungen bei den Subventionen und Konjunkturschwankungen haben ihnen schwer zugesetzt. Sie strauchelten, manche fielen, rappelten sich auf und passten sich an. Sie sind die alte, neue Hoffnung im Pott. Ohne sie geht es nicht.
Am deutlichsten ist der Wandel bei der TUI AG zu spüren, die noch Anfang des Jahres Preussag hieß. Vom Stahlkocher zum Tourismus-Konzern in fünf Jahren – was wie ein totaler Neuanfang aussieht, ergibt sich dennoch aus der Firmengeschichte. Schon 1961 übernahm sie das Transportunternehmen Vereinigte Tanklager und Transportmittel GmbH (VTG). Damals vor allem, um Erz und Kohle zu transportieren. Dies war der Grundstein für eine Logistik-Sparte, die sich im strategischen Wandel seit 1997 im Mittelpunkt wiederfand. „Wir waren ein klassischer Mischkonzern und mußten uns auf einen Kern konzentrieren, in dem wir Marktführer werden konnten“, kommentiert Herbert Euler von TUI. Auch andere Optionen wurden geprüft, sagt er, doch als Hapag-Lloyd zum Verkauf stand, war die Richtung klar: Tourismus. Heute ist die VTG-Lehnkering eine der letzten Töchter des Konzerns, die überhaupt noch im Ruhrgebiet angesiedelt ist. Der TUI-Vorstandsvorsitzende, Michael Frenzel, kommt selbst aus dem Pott. Der Wandel seines Konzerns könnte Lehrbuchcharakter für seine Heimat haben, erklärte er bei einem Vortrag in Essen. Konsequente Spezialisierung, lautet sein strenges Rezept.
Noch klingen die Namen Thyssen und Krupp eher nach Stahl und Schwerindustrie. Doch das soll bald anders sein. Schon jetzt machen Dienstleistungen 20 % ihres Umsatzes aus. Damit sind sie schon beinahe so wichtig wie die Sparte Stahl. Schon vor der Fusion 1999 zu Thyssen-Krupp bewegten sich Krupp und Hoesch weg von Eisen- und Guss-Produkten hin zur Edelstahlproduktion, zu hochwertigen Industriegütern und Dienstleistungen. Bei Thyssen wurden Mobilfunkbeteiligungen und Logistik-Unternehmen verkauft und der Technologie-Bereich vergrößert. „Starke Positionen werden weiter gestärkt. Dort, wo sie dauerhaft nicht gesichert sind, werden Verkäufe oder Kooperationen geprüft“, beschreibt Vorstandsvorsitzender Ekkehard Schulz die Strategie. Schon jetzt sind knapp die Hälfte der Thyssen-Krupp-Mitarbeiter im Ausland beschäftigt und nur noch ein Drittel in Nordrhein-Westfalen.
Auch bei E.on sollte eine Fusion die Position nach Strukturwandel und Liberalisierung der Energiemärkte verbessern. Das Düsseldorfer Unternehmen ist aus zwei Mischkonzernen hervorgegangen: der Veba AG und der Viag AG. Deren Geschichte läßt sich bis 1923 und 1929 zurückverfolgen. Unabhängig voneinander suchten beide neue Richtungen und konzentrierten sich auf Chemie und Energie.Von den einstigen Mischkonzernen, deren Produkte von Aluminium bis Stahl und deren Dienstleitungen von Immobilien bis Logistik reichten, blieb nur ein Kerngeschäft: Energie.
Steinkohle war und ist das wichtigste Geschäft der früheren Ruhrkohle AG, die heute kurz RAG heißt. Inzwischen ist sie weltweit ihr größter und in Deutschland ihr einziger Produzent. Unter dem Dach ihrer Tochterfirma Deutsche Steinkohle AG wurden 1998 alle noch aktiven Hütten
zusammengefasst. Seitdem wird die Produktion zurückgefahren. In drei Jahren muss der Wandel komplett sein, denn dann werden die staatlichen Beihilfen halbiert. Bis dahin soll die Mitarbeiterzahl im deutschen Bergbau auf 36 000 sinken. Noch sind es mehr als 45 000 Menschen. Doch die RAG hat sich verpflichtet, die weitere Anpassung sozialverträglich zu gestalten. Mit Sozial- und Bildungsprogrammen werden die Arbeiter auf ein Leben über Tage vorbereitet, erklärt RAG-Sprecher Axel Schappei. Denn vieles, was man unter Tage können muss, ist auch oben nützlich: Elektriker oder Schlosser hätten gute Chancen. Im Ausland hingegen steigt die Produktion von Kohle gleichzeitig weiter und sei ein profitables Geschäft. Zugute kommt dem Unternehmen das Wissen aus Deutschland: „Hier sind die Umstände im Bergbau so schwierig, dass wir viel Erfindungsgeist brauchen, um Steinkohle abzubauen“, sagt Schappei.
Professor Dietmar Pretzina beobachtet seit Jahren den Strukturwandel im Pott. Der Wirtschaftshistoriker und Rektor der Ruhruniversität in Bochum verweist immer wieder auf die Rolle der großen Unternehmen: „Es wäre lebensfremd zu glauben, wir könnten den Wandel ohne das Engagement der Konzerne schaffen.“ Sie haben eine Ankerfunktion für die Region, erklärt er: „Nur mit ihrer Hilfe – also indem sie Aufgaben auslagern und Aufträge für Zulieferungen vergeben – kann eine stabile Mittelstandsstruktur entstehen und damit sichere Arbeitsplätze.“
Eine gemeinsame Verantwortung für das Ruhrgebiet haben die Konzerne schon 1986 gespürt, als sie den „Initiativkreis Ruhrgebiet“ gründeten, erklärt Hans-Peter Keitel, Moderator der Initiative und Vorstandsvorsitzender der Hochtief AG. Seitdem unterstützt der Initiativkreis den Strukturwandel. Die Mitgliederliste liest sich wie das Who-is-Who des Ruhrgebietes: 57 Unternehmen und Konzerne sind inzwischen vertreten.
Mit Projekten wie Ideenbörse, Stipendien für ausländische Wissenschaftler und dem Innovationspreis Ruhr fördern die Unternehmen das Image der Region, die Keitel als „eine grüne, umweltbewusste Metropolenlandschaft mit attraktivem Freizeitwert“ beschreibt. Die Projekte wirken nach innen und nach außen. Nicht zu vergessen sei der hohe Grad der Identifizierung der Mitarbeiter mit einem Unternehmen der Region. Keitel: „Im Pott ist man nach wie vor nicht nur Bochumer oder Duisburger, sondern auch Thyssener.“
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