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Neue Märkte und Innovationen erfordern weit mehr als Spitzentechnik

Produktion im 21. Jahrhundert: Weitsichtige Strategien sollen den Standort sichern
Neue Märkte und Innovationen erfordern weit mehr als Spitzentechnik

Wenn sich bestätigt, was Studien und Prognosen für die Zukunft annehmen, wird in der Industrie einiges umgekrempelt. Dass sich beispielsweise Maschinenbauer vom Hersteller zum Betreiber entwickeln, erwarten Experten schon für die nächsten Jahre.

Von unseren Redaktionsmitgliedern Dietmar Kieser und Dr. Birgit Oppermann

Einen großen Teil der Hausarbeiten besorgen Roboter. Ohne Widerrede tun sie alles, was man ihnen aufträgt – vom Teekochen bis zum Waschen.” Was sich auch heute noch wie ein Absatz aus dem Drehbuch eines Science-Fiction-Films ausnimmt, sollte nach Prognosen von Trendforschern um die Jahrtausendwende real geworden sein. Als Heinz Hinze und Günter Ogger 1968 ihren „Report 1998 – So leben wir in 30 Jahren” veröffentlichten, nahmen sie Maß an der für sie gegenwärtigen Entwicklung der Technologie.
Heute sind wir in ihrer Zukunft angekommen. Nur ganz so futuristisch leben wir sie nicht, wie Hinze und Ogger es sich Mitte der 60er Jahre ausmalten. An Wegweisern für künftige Entwicklungen mangelt es dennoch nicht. „Einfachheit, Abrüstung von Funktion, Eleganz der Bedienung” stehen beispielsweise für den heutigen Trendforscher Matthias Horx ganz vorne. Die zentralen Evolutionslinien von Technik im 21. Jahrhundert gehen für ihn „in Richtung einer höheren Unsichtbarkeit und Integration”.
Die Belege dafür lieferten jüngst Forscher des Computerkonzerns IBM und der Universität Basel. Die Wissenschaftler entwickelten eine neue Methode, um Defekte in der genetischen Struktur aufzudecken. Winzige biochemische „Maschinen” aus Silizium sollen sie aufspüren. James Gimzewski vom IBM Forschungslabor Zürich sieht darin sogar einen „völlig neuen Weg zum autonomen Betrieb von Nanomaschinen ohne Energiezufuhr oder Computersteuerung von außen”.
Doch überlässt man das Feld nicht einzelnen Prognostikern, wenn es darum geht, die Schlüsseltechnologien zu küren. Seit mit Techniken wie der Delphi-Studie versucht wird, einen fundierten Blick in die Zukunft zu wagen, fließt die Einschätzung tausender Experten in die Szenarien mit ein. Rund um den Erdball gelten ihnen Biotechnologie und Mikrosysteme neben Multimedia, Internet und Mobilität als die Renner für das 21. Jahrhundert.
Deutschland betrat das Terrain der systematischen Zukunftsforschung im Jahr 1991. Dr. Hariolf Grupp und seine Mitarbeiter am Karlsruher Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) befragten im Auftrag des Bundesforschungsministeriums erstmals deutsche Forscher nach den Regeln der Delphi-Technik. Sie ersetzt die unmittelbare Debatte durch ein sorgfältig ausgewähltes Programm aufeinander folgender Einzelbefragungen. Dabei erarbeitet eine Fachkommission Thesen, die von einer großen Zahl von Experten bewertet werden. Die ausgewerteten Antworten erhält derselbe Personenkreis noch einmal, um die geäußerte Meinung angesichts des Urteils der Fachkollegen zu überdenken und eventuell zu ändern.
Seit 1998 liegen bereits die Ergebnisse der zweiten Delphi-Umfrage vor, in der 1070 Thesen zur Diskussion gestellt wurden. Wie die Erstbefragung sollte sie zu einer umfassenden Technikvorschau führen – mit aktualisierten Daten, „da einige Weichen für die Zukunft umgestellt worden waren”, begründet der Fraunhofer-Forscher. Aus den Einschätzungen zeichneten die Wissenschaftler das Bild der heute absehbaren Trends, das bis über das Jahr 2025 hinausreicht.
Demnach sind einige der wichtigsten Innovationsgebiete
– das Internet der nächsten Generation und Multimedia,
– neue innerbetriebliche Organisationsformen,
– Telearbeit und vernetzte Unternehmen,
– neue Weiterbildungssysteme,
– Produktrecycling,
– Verkehrsentlastung durch Kommunikationssysteme,
– Techniken für globales Umweltmanagement und
– neue Energiequellen und -einsparpotenziale.
Abgeleitet von den allgemeinen Trends, bilden im Umfeld der Produktion neue Unternehmensstrukturen und Mikrotechniken die Fundamente der Zukunft. Die deutsche Wissenschaftselite hält neben dem ungebrochenen Trend zur Miniaturisierung weniger die technischen als die organisatorischen Entwicklungen für beachtlich. Demnach werden „am Standort Deutschland Produktionsverbünde und spontane Netzwerke entstehen”, fasst Delphi- Organisator Hariolf Grupp ein Befragungsergebnis zusammen.
Seine Vision zukünftiger Unternehmen besteht aus vielen selbstständigen und eigenverantwortlichen Bearbeitern oder beauftragten Selbstständigen, die alle in hochflexiblen Produktionssystemen tätig sind. Das Management, meint Grupp, spiele dabei vornehmlich die Rolle eines Informations- und Kontakte-Brokers.
Ob manche dieser Einschätzungen einer baldigen Korrektur bedürfen – und damit eines Delphi III –, steht in den Sternen. Die Bundesregierung hat einstweilen den Delphi-Prozess durch das Futur-Programm ersetzt. Es soll „deutlich kommunikativer ausgelegt sein”, weiß der ISI-Forscher. Die Meinung darüber, wie die Welt von morgen aussehen könnte, bleibt nicht mehr nur Experten vorbehalten. Unter dem Motto „Gemeinsam Zukunft gestalten” soll im Internet unter www.futur.de ein ständiger Dialog geführt werden. Die Diskussionsplattform ist offen für konkrete Beiträge von allen, die sich zu den Schwerpunkt-Themen Mobilität, Kommunikation, Gesundheit und Lebensqualität äußern möchten.
Über die Zukunft der produzierenden Industrie haben Wissenschaftler und Unternehmensvertreter im Projekt „Produktion 2000 Plus” zwei Jahre lang – von 1997 bis 1999 – diskutiert und zusammen die Stärken und Schwächen dieser Branche ausgelotet. Aufgrund ihrer Aussagen wurden die Schwerpunkte für das neue Förder-Rahmenkonzept „Forschung für die Produktion von morgen” des Bundesforschungsministeriums (BMBF) festgelegt.
„So aufwendig ist bislang kein Rahmenprogramm vorbereitet worden”, betont Professor Fritz Klocke vom Aachener Werkzeugmaschinenlaboratorium (WZL), der das Projekt im Vorlauf geleitet und moderiert hat. Das Ergebnis der Diskussionen weicht nicht grundsätzlich von den schon genannten Studien ab, ist aber auf die produzierende Industrie fokussiert. Vier Handlungsfelder waren anhand der Vorschläge auszumachen: Märkte und Produkte gut zu kennen, die Menschen mehr in den Betrieb einzubinden, in Netzwerken zu arbeiten und das Unternehmen wandlungsfähig zu gestalten.
Mit einem oder mehreren dieser vier Felder muss demzufolge jedes Projekt zu tun haben, das im Rahmenprogramm gefördert wird. Im Detail ist das Spektrum möglicher Themen dennoch weit gefächert und reicht von Kooperationsplattformen für kleine und mittlere Unternehmen über Software, Netzwerke und Miniaturisierung bis zu Hochleistungsmaschinenelementen und Leichtbau.
Das Rahmenkonzept soll laut Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn die Produktion stärken und so die Grundlage für Fortschritt und Beschäftigung schaffen: „Produzierende Unternehmen, besonders kleine und mittlere Betriebe, sollen besser in die Lage versetzt werden, auf Veränderungen zu reagieren und den erforderlichen Wandel aktiv mit zu gestalten.“ Inzwischen laufen die ersten Ideenwettbewerbe mit konkreten Vorschlägen, und weitere sollen folgen. Der Projektträger, das Forschungszentrum Karlsruhe, sowie auch das BMBF leiten schon jetzt die Erkenntnisse und Ideen weiter, die in der Vorbereitungsphase zu den vier Handlungsfeldern gesammelt wurden. „Alle vier Bereiche sind wichtig und schwierig zugleich”, fasst WZL-Wissenschaftler Fritz Klocke zusammen. „Doch was wir verändern wollen, müssen die Menschen tun, so dass letztlich alle Aktivitäten von den Mitarbeitern getragen sein müssen.”
Was die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten erwartet, davon geben die derzeitigen Entwicklungen in der vom Internet getriebenen New Economy nur einen Vorgeschmack. Dabei ist für Professor Engelbert Westkämper, den Leiter des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), „schon das revolutionär, was in den nächsten fünf Jahren als machbar erscheint”. Das, was er als Produktlebenslaufverfolgung bezeichnet, wird seiner Ansicht nach die industrielle Welt stark verändern: Anstelle der vielfach beschworenen Kundenorientierung müsse sich der Hersteller darauf einstellen, dass Produkte bis an ihr Lebensende in seinem Netzwerk bleiben. Allein mit dem Verkauf eines Produktes sei es bald nicht mehr getan. „Dranbleiben” heißt für Westkämper die Devise. Das steigende Interesse am After-Sales-Geschäft ist für den Forscher einer der Treiber dieser Entwicklung. Der andere ist die per Gesetz verordnete Rücknahme von Altgeräten und Wiederverwertung der Materialien: „Der Hersteller bleibt in der Verantwortung für seine Produkte.“
Diese Zuständigkeit sieht Westkämper aber eher als Vorteil denn als Bürde. „Wer im Servicefall sofort verfügbar ist, zusätzliche Leistungen wie Kalibrieren, Optimieren oder Programmieren anbietet, stärkt die Kundenbindung”, meint der IPA-Chef – vorausgesetzt, das Angebot nutzt dem Kunden. Tritt ihm der Hersteller einer Maschine gar in der Rolle des Betreibers gegenüber, ergeben sich laut Westkämpfer, „für beide völlig neue Perspektiven”. Während der eine auf eigenen Anlagen mit seinem Personal in fremder Halle produziere, könne sich der andere auf den Kernprozess konzentrieren – die Funktion des Produkts.
Sicherlich werden Betreibermodelle die Industrie nicht in voller Breite treffen – für den Maschinenbau jedenfalls sieht der Wissenschaftler eine Vielzahl von Mischformen heraufziehen. Aber auch dieser Wandel macht für ihn klar: „Ein Produkt muss künftig in seinem ganzen Leben optimiert werden.“
Dass selbst weitreichende Prognosen, so unwahrscheinlich sie den Zeitgenossen erscheinen mögen, richtig liegen, zeigt ein letzter Blick auf die Vision der Trendforscher anno 1968: „Im Jahre 1998 ist die Benutzung von Elektrorechnern so verbreitet und so bequem wie heute die des Telefons.“ Volltreffer.
Um welche Schlüsseltechnologien kommt in Zukunft kein produzierendes Unternehmen herum? Diese Frage stellten wir sechs Fertigungstechnikern aus Hochschulen und Fraunhofer-Instituten. Das Resumee: Informationstechnik und das Arbeiten in Netzwerken spielen schon in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine größere Rolle, ebenso Hochleistungsprozesse in der Fertigung und Mechatronik. Für die spätere Zukunft in etwa 20 Jahren erwarten die Forscher, dass Biotechnologie, adaptive und Verbundtechniken in der Fertigung sowie das Schonen der Ressourcen an Bedeutung gewinnen.
Industrieanzeiger
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