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Nicht alle Agenten gehören zu Scotland Yard

Zentrale Steuerungsinstanzen werden im Materialfluss entbehrlich
Nicht alle Agenten gehören zu Scotland Yard

Softwareagenten verhandeln auf einer Testanlage der Fraunhofer-IML-Forscher bereits selbstständig über die auszuführenden Aufträge. Zusammen mit der RFID-Technik kann der Materialfluss so künftig auf zentrale Steuerungsinstanzen verzichten.

Von unserem Redaktionsmitglied Michael Corban michael.corban@konradin.de

Bei Agenten und der Radio-Frequenz-Identifikation (RFID) an den Geheimdienst zu denken, mag nahe liegend sein. Dass sich dahinter aber auch enorme Chancen für die Materialflusstechnik verbergen, will das Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) mit seinem Open-ID-Center zeigen. „Was haben wir von den zusätzlichen Infos auf den RFID-Transpondern?“, fragt Institutsleiter Prof. Dr. Michael ten Hompel und gibt sich gleich selbst die Antwort: „Die Behälter selbst können nun eine Reihenfolge bilden, sie können autonom reagieren.“ Denkbar wird damit, auf eine zentrale Steuerungsinstanz zu verzichten.
Um das Prinzip dahinter zu verstehen, lohnt sich zunächst ein Blick auf ein Teilprojekt, bei dem es um eine Multi-Agenten-Steuerung für das vom IML gemeinsam mit dem Bereich Logistics and Assembly Systems (L&A) der Nürnberger Siemens AG entwickelte Multishuttle geht. Jedem MultiShuttle – schienengeführten Transportfahrzeugen – wird dabei im noch zentralen Steuerungssystem ein so genannter Softwareagent zugeordnet. Seine Aufgabe ist, das Fahrzeug zu steuern und ihm im Rahmen einer Auktion Aufträge zu verschaffen. Alle auszuführenden Transporte mit ihrer jeweiligen Priorität werden den Agenten in Form einer Tabelle zur Verfügung gestellt. „Nach dem Taxiprinzip beginnen die Agenten dann, die Aufträge untereinander auszuhandeln“, berichtet ten Hompel. „Im einfachsten Fall wird das verfügbare Multishuttle den Auftrag ausführen, dessen Entfernung zum Lagerplatz minimal ist.“ Entscheidend ist, dass nicht eine übergeordnete Steuerungsinstanz die Aufträge vergibt, sondern die Fahrzeuge selbst – vertreten über ihre Agenten – die Organisation übernehmen.
„Schon diese einfachste aller denkbaren Strategien führt zu guten Ergebnissen“, erläutert der Institutsleiter, „vor allem aber zu einer echtzeitnahen Verbesserung ohne den Eingriff einer überlagerten Instanz.“ Ein Optimum sei so zwar noch nicht erreicht, weil etwa Anschlussfahrten nicht mit einbezogen würden. Da in der Realität das Auftragsvolumen aber schwanke, weitere Fahrten noch nicht bekannt seien, könnten so Aufträge trotzdem effektiv abgewickelt werden.
Das Prinzip dieser autonomen Steuerung auf die stetige Fördertechnik zu übertragen, ist die Aufgabe des Projekts Realtime Logistics, an dem auch die Dortmunder Vanderlande Industries Logistics Software GmbH beteiligt ist. Wie bei den Multishuttle erhält hier jedes Stückgut, etwa die Transportbehälter, einen Softwareagenten. Parallel dazu werden nun aber auch die fördertechnischen Elemente des Materialflusses entkoppelt – sowohl hard- wie softwareseitig. Jedes Modul, wie etwa eine Weiche, wird jetzt von einem eigenen netzwerkfähigen Linux-Controller gesteuert. Diese ‘Knoten’ können mit ihren Nachbarmodulen kommunizieren und bilden so die Topologie des Materialfluss-Systems ab. Institutsleiter ten Hompel spricht an dieser Stelle vom ‘Internet der Dinge’. Denn so wie im Internet (der Förderanlage) die Datenpakete (das Stückgut) von Knoten zu Knoten bis zu ihrem Ziel geschickt werden, durchläuft nun auch ein Behälter die Materialfluss-Anlage.
„Das System ist nicht mehr echtzeitfähig und nicht mehr vorausberechenbar – aber sehr effektiv und sehr gut“, freut sich ten Hompel. Es funktioniere sogar besser als mit einer zentralen Steuerungsinstanz.
Um die Möglichkeiten weiter auszubauen, kommt an dieser Stelle die Radio-Frequenz-Identfikation ins Spiel. Denn die RFID-Transponder – kurz Tags genannt – erlauben, deutlich mehr Informationen mit dem Fördergut selbst zu verbinden, als das bislang mit dem Barcode möglich ist. „RFID nur als Ersatz für den Barcode zu nutzen, greift deswegen zu kurz“, ist ten Hompel überzeugt. Die Tags könnten viel mehr Infos transportieren, als nur den Electronic Product Code (EPC). Transportziel oder Lieferbedingungen beispielsweise könnten auf den Tags untergebracht werden und die Arbeit der Agenten erleichtern, vor allem – und das ist das wirklich Interessante daran – über die Unternehmensgrenzen hinweg. Damit kann der Materialfluss über den innerbetrieblichen Bereich hinaus von RFID und der Agententechnologie profitieren. Zwar müssten die Agenten auf dem Weg dorthin mit noch mehr Eigenintelligenz versehen werden, berichtet Peter Stuer, Geschäftsführer der Vanderlande Industries Logistics Software GmbH. „Doch mit den Methoden der künstlichen Intelligenz können sie in die Lage versetzt werden, ihr Verhalten der jeweiligen Situation anzupassen – und damit der Materialfluss-Steuerung neue Horizonte eröffnen.“
IML-Chef ten Hompel weist zudem auf einen weiteren Vorteil bei Inbetriebnahmen hin. „Sie brauchen bei einer neuen Anlage nur mit einem Multishuttle alle Strecken abzufahren.“ Neben der Funktionskontrolle ließe sich so die komplette Topologie erfassen. „Alle anderen Fahrzeuge können diese Infos des Testshuttles übernehmen, die Anlage ist damit schneller betriebsbereit.“
RFID kann auch von Nutzen sein beim Mehrweg-Management, der Rückverfolgbarkeit mit Hilfe intelligenter Behälter oder beim Aufbau einer ASP-Plattform (Application Service Providing) zur Steuerung und Integration des den Materialfluss begleitenden Informationsflusses. Das Open-ID-Center der Dortmunder bildet dafür eine neutrale Plattform und richtet sich gleichermaßen an Technologieanbieter wie Anwender. So lassen sich
  • Kunden physische Logistikabläufe demonstrieren,
  • Systemvergleich und -Auswahl vereinfachen,
  • relevante Systemkosten ermitteln sowie
  • technologischer Entwicklungsbedarf aufzeigen.
RFID-Tags stoppen nicht am Werkstor
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