Startseite » Allgemein »

Nicht die Mitte – der Rand des Fensters ist kritisch

Maschinen-Kapselungen auf dem Prüfstand
Nicht die Mitte – der Rand des Fensters ist kritisch

PTZ-Forscher untersuchen seit Anfang der 80er Jahre, wie sicher Maschinen-Kapselungen sind. Sie haben gezeigt, dass sich Baugruppen und Materialien schneller und günstiger entwickeln lassen, wenn frühzeitig die Finite-Elemente-Methode zu Hilfe genommen wird.

Dipl.-Ing. Jörg Bold und Dipl.-Ing. Michael Ising sind wissenschaftliche Mitarbeiter im Produktionstechnischen Zentrum in Berlin

Prallt ein abgebrochener Fräser auf die Sichtscheibe einer Fräsmaschine, liegt die Schwachstelle nicht in der Mitte der Scheibe. Die aufprallkritischen Bereiche finden sich vielmehr an ihrem Rand. Diese Erkentnis, die Forschern des Produktionstechnischen Zentrum (PTZ) Berlin mit Aufprallprüfungen und der Finite-Elemente-Methode gelang, zeigt, wie nötig es war, über die normativen Prüfbedingungen hinausgehende Untersuchungen durchzuführen.
In Zusammenarbeit mit Industrieverbänden, Berufsgenossenschaften und Industriefirmen führten PTZ-Wissenschaftler in den vergangenen Jahren viele Aufprallprüfungen durch. Mit einer pneumatischen Beschleunigungsvorrichtung erproben sie die Rückhaltefähigkeit gängiger, in Schutzeinrichtungen eingesetzter Konstruktionswerkstoffe, Werkstoffverbunde sowie Sicherheitsfenster.
Ohne Explosivstoffe Projektile mit 240 m/s aufprallen lassen
Doch das Prüflabor am PTZ ist so ausgestattet, dass nicht nur einzelne Baugruppen, sondern auch komplette Werkzeugmaschinen-Kapselungen getestet werden können. Beispielsweise analysierten die Forscher die Aufprallfestigkeit der Schutzeinrichtung einer Vertiakldrehmaschine des Typs V250 der Index Werke GmbH & Co. KG Hahn & Tesky aus Esslingen. Unter den Bedingungen des standardisierten Prüfverfahrens bestand hierbei die auf dem Maschinengestell montierte Kapselung einen Experiment nach der höchsten Widerstandsklasse C 3. Auftrefforte des Prüfprojektils waren Mitte und Rand des Sicherheitsfensters, die Fanghaken sowie mehrere Punkte im Seitenbereich der Kapselung.
Die Ergebnisse aller Prüfungen sind als Forschungsberichte veröffentlicht und wurden in entsprechenden Normenausschüssen eingebracht. Da der Aufprallprüfstand sehr flexibel ist, können auch über die normativen Vorgaben hinausgehende Prüfungen mit Projektilmassen von 50 g bis zu 20 kg und Prüfgeschwindigkeiten für kleine Massen von bis zu 200 m/s durchgeführt werden. Für Untersuchungen an Schutzfenstern und höherfesten Stahlwerkstoffen, wie sie in chemischen Laboratorien zum Einsatz kommen, wurde beispielsweise ein 1 kg schweres Projektil mit einer Geschwindigkeit von 240 m/s abgeschleudert. Versuche mit derartigen Parametern ließen sich bisher nur mit Explosivstoffen durchführen und waren entsprechend kostenintensiv.
Allerdings wäre es trotz des Versuchsaufbaus am PTZ immer noch zu zeit- und kostenintensiv, mit experimentellen Beschussuntersuchungen den Einfluss von Parameterveränderungen systematisch zu beurteilen. Die Forscher nutzen daher zusätzlich die Finite-Elemente-Methode (FEM), um das Aufprallverhalten der Schutzeinrichtungs-Baugruppen und -Materialien während der Stoßbelastung zu analysieren. Insbesondere wird untersucht, wie sich veränderte Prüfparameter, etwa Form und Aufprallpunkt des Projektils, auf das Stoßverhalten des Materials auswirken. Darüber hinaus zeigt die FEM, wie sich der Probekörper während der Stoßbelastung verformt und wo die höchsten Spannungen auftreten. Aus diesen Daten lassen sich dann konstruktive Dimensionierungs- und Gestaltungshinweise ableiten.
Durch die Verbindung von Experiment und Rechneranwendung sind am PTZ Berlin Voraussetzungen vorhanden, Hersteller und Anwender von Werkzeugmaschinen beim Umsetzen der sicherheitstechnischen Anforderungen des europäischen Richtlinienwerkes zu unterstützen.
Prüfvorschriften der Europäischen Maschinenrichtlinie: Diesen Tests muss eine Sicherheitseinrichtung Stand halten
Mit Inkrafttreten der Europäischen Maschinenrichtlinie am 1.1.1995 dürfen in Deutschland nur Maschinen betrieben werden, welche die dort beschriebenen Sicherheitsanforderungen erfüllen. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei das sicherheitsgerechte Dimensionieren und Gestalten der trennenden Schutzeinrichtung ein. Deren Baugruppen und Materialien müssen vor allem eine hohe Rückhaltefähigkeit beim Aufprall abgeschleuderter Werkzeuge oder Spannmittel im Schadensfall haben.
Die europäischen Normentwürfe prEN 12415 (kleine Drehmaschinen) und prEN 12417 (Bearbeitungszentren) beschreiben dazu ein Prüfverfahren, bei dem standardisierte Stahlprojektile auf Materialmuster oder komplette Baugruppen geschleudert werden, um deren maximale Aufprallfestigkeiten zu ermitteln. Die Prüfung gilt als bestanden, wenn die Schutzeinrichtung oder Baugruppe dem Aufprall widersteht und im Werkstoff keine Schädigungen wie An- oder Durchrisse aufgetreten sind. Aufgrund der Ergebnisse bei dieser Aufprallprüfung werden die Baugruppen und Materialien dann in Widerstandsklassen eingeteilt.
Fräsmaschinenprüfung
Das standardisierte Prüfprojektil für die Fräsbearbeitung besitzt eine Masse von 100 g. Ergänzend können ein 50-g-Projektil, eine komplette Fräskassette oder auch Fräserbruchstücke auf das Prüfmuster abgeschleudert werden. Die maximale Prüfgeschwindigkeit beträgt dabei 200 m/s.
Drehmaschinenprüfung
Für die Drehmaschinenprüfung sind Normprojektile zwischen 625 g und 2,5 kg Masse vorgeschrieben. Am PTZ können darüber hinaus Untersuchungen mit 5 und 8 kg schweren Projektilen durchgeführt werden. Sie lassen sich mit bis zu 120 m/s abschleudern, wodurch sich eine maximale Prüfenergie von über 50000 Nm ergibt. Dies entspricht dem Aufprall eines 1-t-schweren Pkw mit 36 km/h auf eine Betonwand.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
Ausgabe
7.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de