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Null-Verformung durch eingegossene Intelligenz

Mineralgussbetten machen sich frei von Temperatureinflüssen
Null-Verformung durch eingegossene Intelligenz

Ein adaptronischer Ansatz könnte dafür sorgen, dass Mineralgussbetten künftig gegen Wärmeschwankungen immun sind: Eingegossene Sensoren und Aktoren halten die Maschinenbetten auf konstanter Temperatur. Erste Versuche zeigen sehr gute Ergebnisse.

Dr. Utz-Volker Jackisch ist Geschäftsführer der Epucret Polymertechnik GmbH & Co. KG in Wangen bei Göppingen

Die Ansprüche an Werkzeugmaschinen steigen extrem: Sie sollen weitgehend unabhängig von Umwelteinflüssen arbeiten und eine immer höhere Präzision aufbringen. Dabei geht es zunehmend um das Beherrschen thermischer Prozesse, da geometrisch-kinematische und statische Fehleranteile in den letzten Jahren stark verringert wurden. Bis zu 80 % der Abweichungen an Werkzeugmaschinen verursachen heute thermisch bedingte Verformungen. Die Ursachen sind innere Wärmequellen wie Maschinenkomponenten, Zerspanwärme und Kühlmedien oder äußere thermische Einflüsse durch Raumluft, Bedienpersonal und Wärmestrahlungen.
Klassische Gegenmaßnahmen führen nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen. Das gilt für die thermosymmetrische Konstruktion des Maschinenbetts und das Isolieren der Wärmequellen ebenso wie für das Kompensieren der Verformungen über die Steuerung. Welche passiven Maßnahmen der Entwickler auch immer ergreift, eines ist ihnen gemeinsam: Sie beseitigen nicht die Ursache der Verformungen. Die Maschine kann auf sich ändernde thermische Bedingungen nicht reagieren.
Diese Grenze sprengt nun ein neuartiger, adaptronischer Ansatz: Ausgestattet mit integrierter Sensorik, Aktorik und Regelungstechnik, wird das Maschinenbett aus Mineralguss zum autonomen System, das auf sich verändernde thermische Betriebszustände und Umgebungsbedingungen adaptiv reagiert. „Autonom“ bedeutet hier, dass das Maschinenbett unabhängig von der Zentralsteuerung agiert, was in der Fachwelt auch als „intelligent“ bezeichnet wird.
Während des Herstellprozesses (Mischen, Gießen, Aushärten) entwickeln hochwertige Mineralguss-Werkstoffe maximale Temperaturen von 45 bis 50 °C, verbunden mit nur minimalen Abkühlspannungen und geringem Schwund. Daraus resultiert die Chance, elektronische Bauelemente, Kunststoffkomponenten, Temperaturfühler und Temperierelemente (Rohrsysteme) in das Bett einzugießen. Die innovative Idee ist das Integrieren von sensorischer und aktorischer Funktionalität und deren regelungstechnische Kopplung: Auf äußere thermische Veränderungen sollen die Maschinenbetten selbstoptimierend reagieren, bevor genauigkeitsrelevante Verformungen auftreten. Die thermische Trägheit von Mineralguss kommt dem entgegen.
Von herkömmlichen thermokompensatorischen Maßnahmen unterscheidet sich der adaptronische Ansatz grundlegend:
  • Das Sensor- und Aktorsystem ist ein integraler Bestandteil der tragenden Struktur.
  • Thermisch bedingte Verformungen werden nicht nachträglich kompensiert sondern verhindert.
  • Die Struktur passt sich selbstständig und autonom an veränderte thermische Randbedingungen an.
Sind Heiz- oder Kühlaktoren vorzuziehen? Gegenüber kurzperiodischen Temperaturlasten (wie Betriebsunterbrechungen) hat sich die hohe thermische Trägheit von Mineralguss als stabilisierende Eigenschaft bewährt. Andererseits sorgt sie für ein längeres Aufwärmen. Hier setzt das Aktorprinzip Heizen an, mit dem Ziel, den Werkstoff schnell in den Beharrungszustand zu bringen. Heizaktoren bieten einen hohen Integrationsgrad und verursachen geringere Initialkosten. Ein Nachteil ist jedoch – wie auch bei metallischen Betten – die mit dem Heizen verbundene Volumenänderung: Die absoluten Maße des Bettes vergrößern sich. Aus diesem Grunde kann das partielle Kühlen (Wärmeabführen an Lagern, Motoren, Führungen und Spänen) das wirkungsvollere Aktorprinzip sein, auch wenn es aufwendiger umzusetzen ist. Es macht externe Kühlgeräte erforderlich, lässt sich dafür aber einfacher auslegen.
Ziel erster Experimente war es nun, die Wirkung geeigneter Sensoren und Aktoren nachzuweisen und das Kompensationspotenzial der einzelnen Aktorprinzipien zu bestimmen. Später wurde die regelungstechnische Kopplung von Sensor und Aktor getestet. Epucret nutzte für die Untersuchungen die Thermozelle des Fraunhofer Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU), Chemnitz, und führte verschiedene Versuchsreihen über mehrere Wochen hinweg durch.
Induktive Messtaster, befestigt an Invar-Stahlgestängen, registrierten die Verformungen während des Aufwärmens und Abkühlens der Demonstratoren mit und ohne Aktoren. Eingebettete Sensoren erfassten die Temperaturverteilung im Mineralgussbett. Sie signalisierten den Aktoren Handlungsbedarf, sobald thermische Störlasten auftraten. Dabei bewährte sich die adaptronische Kopplung: Die mit Kühlelementen ausgestatteten Demonstratoren konnten Verformungen über die gesamte Testdauer von 8 h hinweg nahezu unterbinden: Die maximale Geradheitsabweichung betrug ±2 µm gegenüber ±35 µm beim ungekühlten Gestell (Diagramm).
Wichtig für das Gestalten von „intelligenten“ Mineralgussbetten ist es, die Wirkung von Sensoren und Aktoren im Voraus zu simulieren. Im ersten Schritt wurde daher untersucht, ob sich die rechnerischen mit den experimentellen Ergebnissen vergleichen lassen. Dabei zeigte sich, dass die im Versuch und die über das Finite-Elemente-Modul ermittelten Verformungen praktisch identisch sind. Das thermische Verhalten des adaptronischen Systems kann also mit großer Sicherheit vorhergesagt werden.
Die Untersuchungen lieferten den Nachweis, dass sich adaptronische Mineralgussbetten realisieren lassen. Dennoch sind weitere Entwicklungsschritte erforderlich. Zunächst müssen die an den Demonstratoren gewonnenen Erkenntnisse vertieft und systematisiert werden, ebenso wie die Simulationstools. Anschließend kann damit begonnen werden, reale Maschinenbetten als adaptive Struktursysteme zu entwickeln. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen in Richtlinien und Empfehlungen für Maschinenentwickler ein. Interessierte Hersteller sind eingeladen, diese Arbeiten gemeinsam mit Epucret Polymertechnik anzugehen.
Literatur – Nachschlagewerke
Struktur wehrt sich autonom gegen Wärmeeintrag
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
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