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Ohne Mittelstand kein Nano

Nanotechnologie: Löst LEISTUNGSSPRÜNGE IN pRODUKTEN aus
Ohne Mittelstand kein Nano

Dass die Nanotechnologie in Zukunft eine Schlüsselrolle innehaben wird, bezweifelt heute niemand mehr. Die Frage ist nur, wer sie sich zunutze macht – hiesige oder überseeische Unternehmen? Dem Mittelstand bieten sich große Chancen, auch wenn die Aufgabe nicht gerade einfach ist.

Ob neuartige Solarzellen, Speichermedien oder Metallschutzschichten, ob druckbare Elektroniken oder gar ein atomarer Transistor – die Forschungsberichte aus der Nanotechnologie sind voll von vielversprechenden Ansätzen für die Anwendung. Sie lassen Leistungssprünge auf nahezu allen Gebieten der Technik erwarten. Für das Jahr 2015 beziffert die Bundesregierung das Marktpotenzial für nanotechnologisch basierte Produkte auf bis zu 1 Billion Euro. Es besteht kein Zweifel mehr: Die Nanotechnologie wird die Technik verändern. Am weitesten in Anwendungen vorgedrungen ist bislang die chemische Nanotechnologie. Prof. Helmut Schmidt, bis 2005 Leiter des Saarbrücker Instituts für Neue Materialien (INM) und Pionier dieser Disziplin, erklärt ihre hohe Bedeutung für die Anwendung so: „Die Chemie und insbesondere die chemische Nanotechnologie bieten ein unerschöpfliches Reservoir an Know-how, um Werkstoffe herzustellen, die den Bedarf des jeweiligen Anwenders exakt decken.“ Schmidt ist inzwischen selbst unternehmerisch tätig. Auf der Hannover Messe stellt er mit seiner noch jungen Engineered nanoProducts Germany AG (EPG) unter anderem eine „Lichtmanagementfolie“ vor, die für Projektionswände in tageslichthellen Räumen verwendet werden kann. Das Produkt vermittelt eine Ahnung davon, wie chemische Nanotechnologie funktioniert: Winzige Nanopartikel organisieren sich im Material so, dass sie mikrometerfeine optische Röhren bilden. Aufgeklebt auf einen Spiegel reflektieren sie das projizierte Licht besonders stark in Richtung der Zuschauer. Da sie zudem den Energieverbrauch von LCD-Displays um 30 % reduzieren können, wie Schmidt erklärt, tut sich ein riesiger Markt auf.

Doch das sind nicht die einzigen EPG-Anwendungen. Für Rowenta-Bügeleisen veredelt EPG wöchentlich 25 000 Edelstahl-Sohlen mit einer mikrometerdünnen Glasschicht. Die aufgesprühte Schutzschicht ist nicht nur kratz- und besonders gleitfest, sondern lässt sich zusammen mit dem Edelstahl-Bauteil umformen, ohne Schaden zu nehmen – dank Nanopartikeln eine lukrative Alternative zu Emaillierungen. Daneben arbeitet die EPG an Projekten für die Erdölförderung, für Canon-Tintenstrahldrucker sowie an keimtötenden Hygienebeschichtungen.
Auch die 1999 aus dem INM ausgegründete Saarbrücker Nanogate AG baut auf die chemische Nanotechnologie auf. Vorstandsvorsitzender Ralf Zastrau sieht sein Unternehmen als eine Art von Dienstleister, der Werkstoff-Eigenschaften nach Wunsch ermöglicht und „das Tor zur Nanotechnologie für unterschiedliche Branchen öffnet“. Die Geschäftstätigkeit vergleicht er sogar mit dem eines Softwarehauses: gezielt Funktionen nach Pflichtenheft zu realisieren. Zum Beispiel kreierte Nanogate mit seinem Jointventure Holmenkol ein aufsprühbares Skiwachs auf Nano-Basis, entwickelte Antihaftschichten für Papierwalzen in der Druckindustrie und legte 2006 das Produktprogramm NANOglide für tribologische Schichten auf chemisch-Nickel-Basis auf. Gezielt eingebrachte Nanopartikel sollen auch bei diesen Schichten für Leistungssprünge sorgen – und sich für verschiedene Anwendungen konfektionieren lassen.
Dies zeigt, wie vielseitig die Nanotechnologie ist. Allerdings – und das ist eine schlechte Nachricht – läuft die Umsetzung selten so günstig wie in den Fallbeispielen der beiden Nano-Firmen. Denn mit ihrem Know-how und ihrem Personal decken sie genau die Schnittstelle ab, die Forschungsergebnisse aus den Instituten häufig nicht überwinden: die Schnittstelle zwischen Hochschule und Wirtschaft, zwischen Wissenschaft und Ingenieurtechnik. Die meisten Ergebnisse aus den Forschungslabors geraten nach Projektende in Vergessenheit, versickern in Aktenschränken – oder bei Firmen außerhalb Europas.
„Viele mittelständische Firmen wissen nicht, was es in ihrem Produktbereich aus der Nanotechnologie gibt“, konstatiert Dr. Regine Hedderich, Leiterin der Geschäftsstelle des Netzwerks NanoMat, das beim Forschungszentrum Karlsruhe angesiedelt ist. Welche Kunststoffverarbeiter wissen etwa, dass Ruß-Nanopartikel eingesetzt werden können, um ein elektrisches Aufladen von Teilen zu verhindern? Wenn sie es aber wissen und nutzen wollen, müssten sie sich auf eine aufwendige Anwendungsentwicklung einlassen. „In Karlsruhe haben wir optische Antireflexschichten entwickelt, die im Labor super funktionieren“, nennt die promovierte Physikerin dazu ein Beispiel. „Wir haben aber keinen Maschinenbauer gefunden, der die Million Euro investiert, um dafür die automatisierte Produktionsanlage zu entwickeln.“ Hier treten die Schwächen der europäischen Wissenschafts- und Industriestruktur zutage, in der das Aufgreifen von Forschungsergebnissen durch den Mittelstand offensichtlich nicht einfach ist.
Dabei braucht es den Mittelstand, um „Nano“ umzusetzen. Konzerne wie die Bayer MaterialScience AG (BMS), Leverkusen, wissen das. Bayer hat eine Pilot-Produktionsanlage für Carbon Nanotubes mit einer Jahreskapazität von 30 t in Betrieb genommen und plant mittelfristig eine Jahresproduktion von 3000 t. Die „Baytubes“ lassen sich extrem belasten, sind mechanisch fünfmal stabiler als Stahl, wiegen aber nur ein Viertel. Damit eignen sie sich sehr gut als Verstärkungsmaterial für Kunststoffe. Um die ins Auge gefasste Produktionsmenge abzusetzen, unterstützt BMS mittelständische Firmen aktiv in der Anwendungsentwicklung. Mit Erfolg: Inzwischen sind Skistöcke, Eishockey-, Baseball- und Tennisschläger mit den Nanoröhrchen auf dem Markt zu haben und wurden bereits von Sportlern bei internationalen Wettkämpfen wie den Winterspielen 2006 in Turin und der Nordischen Ski-WM 2007 in Sapporo verwendet.
Weil die Nanotechnologie dafür prädestiniert ist, Produktverbesserungen in vielen Nischenmärkten (wie bei den Sportgeräten) zu erzielen, gerade darum braucht sie den Mittelstand. Dies gilt umso mehr für die maßgeschneiderten Produkte, wie sie Nanogate und die EPG propagieren. Wegen der kleinen Mengen an Nano-Werkstoffen, die in ihnen benötigt werden, sind beide Unternehmen nicht daran interessiert, Material zu verkaufen. Sie wollen teilhaben an der Wertschöpfung der Endprodukte. Nanogate sieht dafür wertorientierte Geschäftsmodelle vom Teile-Veredeln bis hin zum Liefern maßgeschneiderter Nanoformulierungen vor. Prof. Schmidt von der EPG setzt voll auf die eigene Fabrik: „Wir stoßen jetzt auf eine starke Nachfrage. Der zentrale Schlüssel dafür ist, dass wir dem Mittelstand von der Forschung bis zur langfristigen Serienproduktion im Auftrag die gesamte Umsetzung liefern.“ Es zeige sich, dass mittelständische Unternehmen nun sehr schnell einstiegen, weil Aufwand, Risiko und Zeit für die gewinnträchtige Innovation kalkulierbar würden. Die Investition in die Umsetzung stelle dann meist keine wesentliche Hürde mehr dar.
Angesichts des riesigen Potenzials der Nanotechnologie ist der Technologietransfer durch einige Spezialfirmen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Trotz Schwierigkeiten lässt sich jedoch eine gewisse Aufbruchstimmung ausmachen. Die Bundesregierung hat in ihrem Aktionsplan 2010 neue Förderprogramme für KMU beschlossen. Zudem fördert sie Leitinnovationen und veranstaltet Branchendialoge, um über Möglichkeiten der Nanotechnologie aufzuklären. Auch die EU fördert im 7. Forschungsrahmenprogramm verstärkt KMU im Bereich Nano.
Mit einer Reihe renommierter Forschungsinstitutionen und den Firmen BMW, Bosch, Degussa, BASF, Merck und Sustech im Rücken, versucht Dr. Regine Hedderich von NanoMat, das Netzwerk „in die Rolle des Handelnden zu bringen“. Mit ihrem Team hat sie 600 Firmenadressen in Deutschland generiert, die auf der Grundlage einer detaillierten Befragung handverlesen zu einer Konferenz für Mittelständler eingeladen werden sollen. Letztlich geht es darum, Kontakte herzustellen, Bedarfe zu ermitteln und Partner zusammenzubringen. „Eine richtige Kärrnerarbeit ist das, die zurzeit niemand tut.“ Ist ihre Idee erfolgreich, könnte sie in Projekte unterschiedlicher Art münden. Etwa so: Ein Mittelständler erhält einen wissenschaftlichen Berater für eine Entwicklung zur Seite gestellt und bezahlt Lizenzgebühren, wenn die Produktion in Gang kommt – eine Art Venture Capital in F+E-Naturalien.
Auch in der Nano-Metropole Saarbrücken tut sich etwas. Prof. Uwe Hartmann vom Institut für Experimentalphysik baut im EU-Auftrag eine Datenbank für Mittelständler auf. Sie soll sowohl Nanoprodukte und -verfahren erfassen als auch den Bedarf von Firmen. „Stellen Sie sich eine gigantische Suchmaschine vor. Der Mittelständler gibt ein, was er benötigt, und bekommt passende Partner oder Lieferanten genannt.“ Hartmann erwartet, dass zunächst die Information über „Zwischenprodukte“ bedeutsam sein wird, die Branchengrenzen überqueren können. Hat jemand etwa eine Antihaftschicht für Lackierwalzen im Programm, könnte sie vielleicht auch in der Möbelindustrie als Basisentwicklung dienen, um Tischoberflächen rein zu halten. Und das Beste: Hartmann hat schon Gespräche mit der Steinbeis-Stiftung geführt, um die Datenbank nach Projektende weiter pflegen und aktualisieren zu können – keine Selbstverständlichkeit angesichts der heute üblichen Förderpraxis. Denn nur dann wird die Datenbank wirklich nützen können. Freigeschaltet werden soll sie, sobald das Software-Grundgerüst steht und mindestens 100 erste Einträge vorgenommen sind.
Alle Initiativen haben eines gemein: Sie zielen auf Firmen, die neue Produkte am Markt oder die alten entscheidend besser platzieren wollen – und dafür könnte der Mittelstand die Nanotechnologie sehr wohl gebrauchen.
Werkstoffe entstehen nach Maßgabe des Anwenders
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