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Penible Checklisten statt Technik-Euphorie

RFID: Fehlende Standards bremsen den Einsatz bei Ford in Köln
Penible Checklisten statt Technik-Euphorie

Drahtlose Funkchips haben den Durchbruch in der Praxis noch nicht geschafft. Die Ford-Werke in Köln suchen in ausgewählten Bereichen nach wirtschaftlich sinnvollen Anwendungsfeldern. Doch die Vielzahl unterschiedlicher Transpondertechniken verunsichern manchen Projektleiter.

Die Automobilindustrie ist neben dem Großhandel einer der Vorreiter für die Radio Frequency Identification (RFID). So genannte Transponder oder RFID-Tags sollen die bisherigen Barcodes schon bald ersetzen und in einer weiteren Ausbaustufe die gesamten Lagerprozesse und die damit verbundene Fertigung optimieren. Doch die Euphorie rund um die funkenden Etikettiersysteme weicht in der Unternehmenspraxis einer nüchternen Bewertung. Selbst kapitalstarke Großkonzerne unterziehen RFID-Szenarien einer gründlichen Wirtschaftlichkeitsanalyse mit peniblen Checklisten, bevor die RFID-Hardware anstelle der herkömmlichen Barcodedrucker und -scanner zum Einsatz kommt.

Die Kölner Ford-Werke setzen RFID-Technik in verschiedenen Szenarien ein. Ein wichtiger Pilotversuch sind die Lackierstraßen in Saarlouis und dem belgischen Genk. Die Projektinitiatoren erhoffen sich in der rauen Umgebung der Lackiererei am ehesten Aufschlüsse über die Praxistauglichkeit der Funketikette: „Wir sind vor allem an geringeren Fehlerraten beim Auslesen von Fahrzeugdaten interessiert“, erläutert Horst Baermann, Projektmanager für Fertigungs- und Lieferantensysteme bei Ford Europe.
In Genk gibt es 26 Chip-Lesestationen, die die Karossen während der Lackierung durchlaufen. Damit ein einwandfreier Farbauftrag möglich ist, sind die Tags nicht am Fahrzeug befestigt sondern auf einem Schlitten, der die Karosse durch die verschiedenen Lackierstationen fährt. Ein Eisenzylinder schützt die empfindlichen Transponder vor den rauen Umwelteinflüssen. Nimmt ein Schlitten eine neue Karosse auf, wird der Tag vor dem Start in die Lackierstraße mit einer internen Produktnummer beschrieben. Jede Lesestation meldet die Tag-Daten wie Stations- und Fahrzeugnummer an die übergeordnete Steuerungsebene und wird dort mit dem Produktionsplanungssystem (PPS) verknüpft. In der Pilotphase will Baermann vor allem die Teileverfolgung durch die automatische Identifikation vereinfachen und die Prozessgeschwindigkeit beim Lackieren erhöhen.
Schon lange gibt es bei Ford eine Reihe unverbundener elektronischer und manueller Abläufe. Ein Nachteil der bisher eingesetzten Barcodes liegt in dem hohen personellen Aufwand beim Auslesen. Hinzu kommen Fehlerrisiken durch falsche oder unlesbare Informationen auf dem Papierausdruck. Umgebungstemperaturen bis zu 600 °C und dichter Farbnebel in den Lackierstationen machten zudem den Einsatz von Barcodetechnik in diesem Fertigungsabschnitt unmöglich: „Früher musste ein Werker neben dem Karossenschlitten herlaufen und den aktuellen Standort am Barcodescanner manuell an das System durchgeben“, erinnert sich Baermann. Heute reicht ein passiver Funkchip, um lückenlose Positionsangaben über den Verbleib des Fahrzeugs automatisch zu erfassen.
Bis Ende des Jahres, so rechnet man bei den Kölner Ford-Werken, lässt sich das Einsparungs- und Nutzungspotential der RFID-Technik genauer abschätzen. Vor allem wollen die IT-Techniker wissen, wie lange der Funkchip im Eisenzylinder die Lackierprozeduren übersteht. Zwar sind die Projektbetreiber von den technischen Möglichkeiten der drahtlosen Funklabels überzeugt, aber der betriebswirtschaftliche Nutzen gegenüber den bisher eingesetzten Barcodes ist nur schwer zu ermitteln.
Das betrifft auch ein zweites Anwendungsszenario beim Verladen der fertigen Autos. Täglich verlassen rund 1200 Fahrzeuge das Werk in Köln und kommen per Bahn, Lkw oder Schiff zu den Händlern. Auf Basis von Barcodes muss der Werksfahrer jedes Mal vor einer Schranke anhalten und die kodierten Fahrzeugdaten an das Lesegerät übergeben, um in den richtigen Parkingbereich für den Weitertransport zu gelangen. Ein einfacher Funkchip mit einer Reichweite von wenigen Metern erledigt das beim Durchfahren ohne zeitraubenden Stop. Die entsprechende Schranke für den Bereich Bahn, Lkw oder Schiff öffnet sich automatisch.
Eine umfassende Lösung für RFID-Systeme in Logistik-Netzwerken kann sich Baermann vorerst nicht vorstellen. Schon beim Transport in der Logistikkette zwischen dem Kölner Werk und den angeschlossenen Händlern gibt es ein Hickhack mit den Spediteuren. Ford arbeitet mit großen Transportdienstleistern zusammen, die Autos von mehreren Herstellern befördern. Wenn jeder Automobilhersteller sein eigenes Tag-System einsetzt, müsste der Spediteur ebenso viele unterschiedliche Lesegeräte mitführen – ein kostenträchtiger Nachteil, der vor allem die Budgets des Transportgewerbes belastet. Bei größeren Transporteinheiten wie Schiff oder Bahn würden verschiedene Tag-Systeme pro Ladungsträger den Vorteil einer schnellen Ortung ohnehin wieder zunichte machen. „Es fehlen die Standards für die informationstechnische Abbildung unterschiedlicher physischer Ressourcen“, umschreibt Baermann die Schwierigkeiten.
Von einer Einigung der Automobilhersteller auf einen gemeinsamen RFID-Standard kann aber noch lange nicht die Rede sein. Zwar drängt der Verband der Automobilindustrie (VDA) auf engere Wertschöpfungspartnerschaften zwischen Herstellern und Lieferanten, aber in der Praxis dominieren immer noch zahllose Lagerstufen in der Versorgungskette und heterogene Transportmanagementsysteme. Bei Ford setzt man RFID deshalb nur betriebsintern im so genannten Closed-Loop-Bereich ein, da in diesem Fall die Projektteams die volle Kontrolle über das Geschehen haben. Die Ausweitung der RFID-Labels entlang der gesamten Wertschöpfungskette bleibt vorerst der Wunschtraum von IT-Planern. „Der Nachweis eines Return On Investment ist in der unternehmensübergreifenden Logistik besonders schwierig“, bekennt Baermann.
Trotz der Begrenzung auf innerbetriebliche Anwendungen sind die Ford-Experten zuversichtlich. „Die RFID-Technologie automatisiert Arbeitsabläufe, verringert Lagerbestände und vermeidet Betriebsunterbrechungen in der Lieferkette,“ beschreibt Terry McIntyre, Corporate Technology Services Manager von TNT Logistics Nordamerika, den Vorteil der Chiplabels. TNT Logistics betreibt ein Logistikzentrum und beliefert das Lkw-Werk von Ford in Dearborn im US-Bundesstaat Michigan. Seit drei Jahren etikettiert der Dienstleister die für die Ford-Fertigungsstätten bestimmten Kleinstteile, Sequenzteile und Komponenten mit RFID-Labels. Die Erfahrungen sprechen für die RFID-Initiative bei Ford. Interne Untersuchungen haben ergeben, dass durch den Wegfall manueller Prozesse und kürzerer Prozesszeiten die Kosten im logistischen Umfeld geringer ausfallen.
Andreas Beuthner Fachjournalist in Buchendorf
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