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Pfiffiges Werkzeug holt Jobs aus China zurück

Angepasste Standardwerkzeuge erschließen Optimierungspotenzial
Pfiffiges Werkzeug holt Jobs aus China zurück

Wenn der Katalog nicht hergibt, was der Zerspaner braucht, lassen sich Standardwerkzeuge passend machen für die jeweilige Anwendung. Solche Semi-Standard-Tools helfen, Prozesse zu optimieren und machen manche Bearbeitung überhaupt erst möglich.

Von unserem Redaktioinsmitglied Haider Willrett haider.willrett@konradin.de

„In Boom-Jahren zählt nur die schnelle Lieferung. Dann werden eher Standardwerkzeuge geordert“, erzählt Lothar Horn. „Ist jedoch der Wettbewerbsdruck hoch, spielen die Kosten pro Werkstück eine größere Rolle“, fährt der Geschäftsführer der Tübinger Paul Horn GmbH fort und begründet so, warum Kunden derzeit vermehrt Werkzeuge verlangen, die für ihre Anwendung optimiert sind. Dass sich der Aufwand rechnet, verdeutlicht der Schwabe an einem Beispiel: „Durch clevere Werkzeuglösungen konnten wir die Taktzeit eines Bauteils auf ein Fünfzigstel senken.“ Ergebnis: Die Ventilteile für Steuerungen, deren Fertigung bereits nach China ausgelagert war, werden wieder in Deutschland bearbeitet.
Auf Standardtools basierende Sonderlösungen müssen dabei nicht mal teuer sein. Bei größeren Stückzahlen kann der Preis sogar unter dem der Katalogware liegen. Der Grund dafür: Um den Lagerbestand bei der Vielfalt an Größen und Varianten nicht ins Endlose wachsen zu lassen, werden Standardtools meist in vergleichsweise kleinen Losen gefertigt.
„Ab einer Bestellmenge von 10 bis 20 Stück ist bei uns ein standardähnliches Werkzeug nicht mehr teurer als das Original“, bestätigt Dr. Dirk Kammermeier, Leiter Forschung und Entwicklung Standardprodukte bei der Fürther Kennametal GmbH & Co. KG. Der Kunde teilt den Franken mit, was er sich wünscht. Mit wenigen Mausklicks bauen Ingenieure das Derivat am Bildschirm auf. Drei Wochen nach der Bestellung fliegen beim Anwender die Späne. Derzeit gilt dieser Service für alle Bohr- und Fräswerkzeuge des Sortiments Quicktool.
Wie Horn stellt auch Kammermeier einen klaren Trend zu so genannten Customized Solutions fest. Um auch im Bereich der Wendeschneidplatten schnell auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können, setzen die Fürther eine Software ein, mit der sich die entstehende Spanform simulieren lässt. Versuche haben gezeigt, dass die theoretischen Werte gut mit der Praxis übereinstimmen.
Neben dem Trend zu preiswerten, zuverlässigen und einfachen Tools sieht Kammermeier – wie sein Kollege Jacek Kruszynski, Leiter Technologie und Entwicklung bei der Komet Group in Besigheim – zwei weitere Entwicklungsrichtungen. Zum einen werde versucht, mehr Intelligenz ins Werkzeug zu packen. Beispiele sind Komplettbearbeitungstools, die in der Serienfertigung mehrere Operationen in einem Aufwasch erledigen. Andererseits wird zunehmend daran gearbeitet, intelligente Funktionen in die Steuerung der Maschine einzuarbeiten, etwa bei Zirkular- oder Interpolationsprozessen, die mit einfachen Werkzeugen arbeiten.
„Diese Technologien eignen sich sowohl für die Einzelteil- als auch für die Serienfertigung“, sagt Kruszynski. Das Gleiche gelte für mechatronische Werkzeugsysteme, bei denen eine zusätzliche Achse im Tool integriert ist. „Sie sind sehr flexibel. Innenbearbeitungen mit komplexen Konturen und Hinterschneidungen lassen sich mit ihnen schnell und einfach herstellen.“ In diesen Verfahren stecke noch viel Potenzial, betont der Entwicklungsleiter von Komet. Obwohl sie eine Reihe von Aufgaben übernehmen können, die bisher Sonderwerkzeuge erledigten, werden sie diese nicht ersetzen. Auch die Customized Solutions – bei den Besigheimern heißen sie Easy-Special-Tools – werden weiter ihren Platz behalten.
Universelle Werkzeuge, die mehrere Operationen erledigen, liegen auch laut Gerhard Melcher im Trend. Der Leiter Produktmanagement Zerspanung bei der Boehlerit GmbH & Co. KG im österreichischen Kapfenberg nennt als Beispiel Dreh-Bohr-Werkzeuge, die rotierend und stehend eingesetzt werden können und mehrere ISO-Werkzeuge ersetzen. „So lassen sich Werkzeug- und Lagerhaltungskosten sowie die Nebenzeiten reduzieren.“
Boehlerit ist das Hartmetall- und Schneidstoffzentrum der Oberkochener LMT-Gruppe. Die Österreicher haben Schneidstoffvarianten mit mehr als 1000 unterschiedlichen Kombinationen aus Substrat und Beschichtung im Programm. Um die Kantenstabilität zu steigern, wird immer mehr feinst- und ultrafeinstkörniges Hartmetall eingesetzt. „Das Substrat muss die Bearbeitungssicherheit liefern, die Beschichtung sorgt für die Schneidleistung“, erläutert Melcher.
„Nicht nur Substrat, Geometrie und Beschichtung müssen zusammenpassen“, unterstreicht Harald Welz, „der gesamte Prozess muss harmonieren.“ Dabei spielten auch die Maschine, das Spannmittel und der Kühlschmierstoff eine entscheidende Rolle ergänzt der Marketingleiter beim Gewindewerkzeug-Spezialisten Emuge-Werk GmbH & Co. KG in Lauf. „Deshalb legen unsere Anwendungstechniker großen Wert auf intensive Beratung.“ Für die überwiegende Zahl der Anwendungen lasse sich ein Werkzeug im 110 000 Artikel umfassenden Katalog finden. Dennoch liege der Anteil der Lösungen, die an Kundenbedürfnisse angepasst sind, bei über 20 %, schätzt Welz. „Die Variationsmöglichkeiten sind dabei fast unbegrenzt.“ Für Serienfertiger, die das gleiche Sonder-Gewindetool immer wieder benötigen, aber weder Lagerhaltung noch Lieferzeiten akzeptieren wollen, bietet Emuge einen Service an: „Hat der Kunde das Werkzeug nach Tests für gut befunden, kann er uns einen Jahresauftrag erteilen. Wir sorgen dann dafür, dass sein individuelles Tool immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist“, erläutert Welz.
Auch bei Iscar in Ettlingen liegt der Anteil der Sonderlösungen in der Größenordnung um 20 %. Davon sind 60 – 70 % Semi-Standard, der Rest reine Sonderwerkzeuge für die Großserienfertigung, schätzt Entwicklungsleiter Kurt Brenner. „Weil der Bereich überproportional wächst, haben wir eigens ein Team gegründet, das sich von der Beratung über die Konstruktion und Produktion bis zum Vertrieb ausschließlich um Sonderwerkzeuge kümmert.“ Brenner betont, dass standardähnliche Tools nicht nur dazu dienen, die Fertigungsprozesse zu optimieren, sondern vielfach eine Bearbeitung überhaupt erst möglich machen.
Modular aufgebaute Wendeplatten-Werkzeuge lassen sich durch unterschiedliche Kombinationen von Schneidplatte und Halter auf spezifische Aufgaben abstimmen. „Ist trotzdem eine geänderte Länge, ein spezieller Durchmesser oder eine vom Standard abweichende Zähnezahl erforderlich, so lässt sich das relativ leicht realisieren“, sagt Dr. Klaus-Dieter Enderle, Leiter der Bereiche Schulung und PR bei der Tübinger Walter AG. Weil der Aufwand für die Fertigung, Handhabung und Dokumentation der angepassten Lösung größer ist als bei einem Standard-Werkzeug, liegt der Preis etwas höher. „Grob geschätzt ist ein standardähnliches Werkzeug etwa doppelt so teuer wie ein Serienprodukt, ein echtes Sondertool kostet etwa das Fünffache“, sagt Enderle. Mit steigender Stückzahl nähere sich der Preis des Derivats an den des Originals an und könne im Extremfall sogar günstiger sein.
Urban Pesch, Abteilungsleiter Anwendungstechnik Zerspanwerkzeuge im Geschäftsbereich Coromant der Düsseldorfer Sandvik GmbH, stellt fest, dass viele Kunden die Mehrkosten für Sonderlösungen und die längeren Lieferzeiten nicht akzeptieren. Vielfach sei das auch gar nicht nötig. „In den meisten Unternehmen bringt es erheblich mehr, den Fertigungsprozess insgesamt zu verbessern.“ Wenn die Fertigung bereits effizient läuft, seien angepasste und speziell auf Bauteil und Maschine zugeschnittene Werkzeuge allerdings ein Weg, weiter zu optimieren.
Clevere Lösung reduziert Taktzeit auf ein Fünfzigstel Bereich Semi-Standard wächst überproportional
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