Startseite » Allgemein »

Pneumatik raus, drei Servos rein – und der Ingenieur bekam dafür ein Lob

Neue Antriebe vereinen Eigenschaften von Frequenzumrichtern und klassischen Servoantrieben
Pneumatik raus, drei Servos rein – und der Ingenieur bekam dafür ein Lob

Vergessen Sie, was Sie über Frequenzumrichter und Servoantriebe zu wissen glauben. Der optimale Antrieb hat Eigenschaften von beiden. Nur hat sich das nach Auskunft vieler Hersteller bei den Anwendern noch nicht ausreichend herumgesprochen.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Räuber und Gendarm, Cowboy und Indianer – wenn die Rollen festgelegt sind, weiß jeder, wie das Spiel läuft. Solches Schwarz-Weiß-Denken galt lange auch für die Antriebstechnik. Da gab es einfache Frequenzumrichter für einfache Stellaufgaben, und teure Servoantriebe rentierten sich nur für präzises Positionieren in Werkzeugmaschinen oder Robotern. Diese Zeiten sind jedoch vorbei: Selbst bei komplexen Bewegungen kommen Umrichter zum Zuge, und ein Servoantrieb rechnet sich unter Umständen sogar, wenn er die Pneumatik in einem Stangenlader ersetzt. Schöne neue Welt? Nicht ganz, denn für den Anwender wird die Wahl des Antriebs dadurch nicht leichter.
Sicher: „In manchen Bereichen gelten die vertrauten Kategorien noch“, erläutert Dr. Tomas Kalender, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Pforzheimer Stöber Antriebstechnik GmbH & Co. Nach wie vor gebe es einfache Frequenzumrichter, die Asynchronmotoren in Pumpen und Lüftern regeln. Aber für das Positionieren sei ein neues Segment von Antrieben interessant. Ihre technischen Eigenschaften und ihr Preis liegen zwischen dem einfachen Umrichter und dem klassischen Servo – und dass es für diese Zwitter keine übergreifende Bezeichnung gibt, erschwert die Diskussion.
„Bei diesen Antrieben gibt es so viele Möglichkeiten, dass der Anwender intensive Beratung braucht“, sagt Kalender. Für alle Komponenten – den Regler, den Motor sowie das Gebersystem – gibt es Varianten, die sich in Leistung, Präzision, Baugröße sowie den Anschaffungs- und Betriebskosten unterscheiden. „Um zur optimalen Lösung zu kommen, müssen alle Beteiligten vertrautes Wissen über Bord werfen.“
Was Experimentierfreude bringt, erklärt Kalender am Beispiel des Stangenladers, den Ingenieure der Kupa Präzisionsmaschinen GmbH im österreichischen Graz konstruierten. Für das Heben,Wenden und Vorschieben der Stangen waren bis Ende der 90er-Jahre pneumatische Lösungen der Standard. Für das Vorschieben der Stangen bis zu einer bestimmten Position fordert der Markt inzwischen den Servo. Die Experten bei Kupa warfen die Pneumatik nun komplett hinaus und setzen für alle drei Bewegungen eine Servo-Lösung ein, die über die Steuerung der Werkzeugmaschine koordiniert wird. Die Kosten sollen sich über den mannlosen Betrieb und geringeren Aufwand für die Wartung rechnen. „Da die Bewegungen nacheinander erfolgen, muss nicht interpoliert werden“, erläutert Vertriebs- und Entwicklungsleiter Dr. Erwin Reisinger. So können die Motoren von einem Posidrive-Servoumrichter angesprochen werden. Das Zusatzgerät Posiswitch arbeitet als Weiche und schickt die Signale an den richtigen Motor. „Weil wir hier auf zwei Umrichter verzichten, rechnet sich die Servo-Lösung“, lobt Reisinger.
Mit dem Blick auf die Kosten wollen sich aber auch die traditionellen Umrichterhersteller den Markt für das Positionieren erschließen. Ihre High-End-Frequenzumrichter sollen mit einem geeigneten Geber genau so gut positionieren wie die Low-End-Version eines Servos. Das bestätigt Antriebsspezialist Prof. Günther Brandenburg von der TU München: „Was winkelgeregelte Asynchronmotoren mit Frequenzumrichtern leisten, zeigt sich beispielsweise in Druckmaschinen.“ Dort war früh Pioniergeist gefordert, weil die klassischen Positionierantriebe – Servoumrichter mit permanenterregten Synchronmaschinen – lange Zeit nur Leistungen bis etwa 30 kW abdeckten. Weil das für die Druckmaschinen nicht ausreichte, mussten die Konstrukteure Asynchronmotoren mit präzisen Gebern ausstatten. So wird beim Vierfarbdruck jeder Farbpunkt mit einer Toleranz von höchstens 0,01 mm an die richtige Stelle gedruckt. Was hier funktioniert, bewährt sich heute auch beim Handling, in der Verpackung oder Automatisierung.
Doch auch bei den Synchronmotoren hat sich viel getan – die pfiffige Anwendungsidee im Stangenlader ist ein Beispiel dafür. Um dem Preiswettbewerb mit den High-End-Frequenzumrichtern für Asynchronmotoren standzuhalten, haben die Hersteller aber auch abgespeckte Servo-Versionen entwickelt, die durch Geber mit niedrigerer Auflösung günstiger sind.
Die Drehgeber sind für viele Experten ein Knackpunkt in der Diskussion um den besten Antrieb. Für geringe Leistungen nennen Fachleute einen Anteil von bis zu 30 % der Gesamtkosten des Antriebssystems, der allein auf die Geber entfällt. Ob ein robuster, relativ günstiger Encoder oder ein teurer optischer Geber eingesetzt wird, beeinflusst die Anschaffungskosten also erheblich – bei jedem Antriebssystem, das in Frage kommt.
An diesem Kostenfaktor setzt die Lust Antriebstechnik GmbH, Lahnau, an. Ihr Regler CDB3000 ist für das Positionieren mit Asynchron-Getriebemotoren optimiert. Der Asynchronmotor benötigt zur Drehfeldbildung keine absolute Rotorlageinformation. „Das ist ein Vorteil“, erläutert Projektmanager Jörg Brinkemper, „weil man so mit nur einem Geber auf der Abtriebswelle projektieren kann, um beispielsweise eine Getriebelose auszuregeln“. Die Rotorlage lasse sich frei von Rundungsfehlern über den Getriebefaktor zurückrechnen. Für komplexere Bewegungen wiederum kann das Gerät standardmäßig ein zusätzliches Mess-System auswerten.
Abgesehen von den Geber-Variationen will Lust mit dem Regler aber auch eine eigene Klasse von Antrieben aus der Taufe heben: den Positionierumrichter. Der neue Begriff sei gerechtfertigt, da im CDB3000 die Positioniertechnik aus Servoreglern verwendet wird, um einen Asynchron-Getriebemotor zu betreiben – und der Antrieb damit auch die höhere Regelgüte erreiche. „Im Vergleich zur klassischen Servolösung ermöglicht unser Antriebssystem eine Kostenreduktion von etwa 20 Prozent“, sagt Brinkemper. Die gleiche Hardware für verschiedene Motortypen zu verwenden, hält Prof. Brandenburg für sinnvoll, „denn selbst wenn sich die Synchron- und Asynchronmotoren in ihrem Aufbau unterscheiden, sind letztlich beide Drehstrommaschinen.“
Da diesen Trend eine Reihe von Herstellern ins Auge gefasst haben, wird von Servo- und Frequenzumrichterantrieben vielleicht bald kaum noch die Rede sein. Die Bosch Rexroth AG, Lohr am Main, hat sich von diesen Begriffen verabschiedet und die Antriebe zu einer Geräteplattform zusammengefasst. „Wir sprechen nur noch von Indradrive-Antrieben mit und ohne Geberrückführung“, sagt Produktmanager Steffen Winkler. Seit der Hannover Messe 2003 bietet auch die Nürnberger Siemens AG die Regler-Serie Sinamics an, deren Geräte auf einer einheitlichen Hardware basieren. Ob der Anwender daran einen Asynchronmotor oder einen Synchronmotor betreiben möchte, stellt er über die Software ein. Bei der Bruchsaler SEW-Eurodrive GmbH & Co. KG hat das einheitliche Konzept unter der Bezeichnung Movidrive Tradition. Bei der Hamelner Lenze AG findet sich dieser Gedanke in den Global-Drive-Produkten wieder.
Auch Stöber entwickelt die einheitlichen Geräte. „Wir werden zur Hannover Messe einen Posidrive-Regler für Synchron- und Asynchronmotoren vorstellen“, kündigt Dr. Kalender an. In seinem Stangenlader setzt Pilotkunde Kupa diesen Regler bereits mit Asynchronmotoren ein. „Unser Ziel ist es aber nicht, mit einem Antrieb alle Anwendungen abzudecken“, so Kalender. „Durch Leistungsklassen soll der Kunde die kostengünstigste Lösung bekommen.“
Womit sich der Kreis schließt, denn alle Optionen bringen den Anwender zwar näher zum optimalen Antrieb, erleichtern aber nicht die Auswahl. Frank Lorch, Mitarbeiter im Strategischen Produktmanagement bei Lenze, plädiert dafür, herstellerübergreifende Produktklassen zu definieren. Sie sollten anhand festgelegter Merkmale wie Leistung, Schnittstellen zu Gebern und Bussen oder auch anhand der Anschaffungskosten definiert werden. Drei oder vier neue Klassen hält Lorch für sinnvoll, um die Beratung zu erleichtern: „Unter einem Golf oder einer S-Klasse kann sich ja auch jeder sofort etwas vorstellen.“
Drei oder vier neue Produktklassen würden die Beratung erleichtern

Zu den Begriffen
Frequenzumrichter: System aus Frequenzumrichter plus Asynchronmotor, mit oder ohne Drehzahlsteuerung und -regelung zu nutzen, für kleine bis größte Leistungen geeignet
Servoantrieb: System aus Frequenzumrichter plus Synchronmotor, überwiegend mit Positionsregelung und -sensor, zunehmend für größere Leistungen, Sonderversionen für Low-End-Aufgaben

„Einheitliche Hardware für Asynchron- und Synchronmaschinen ist sinnvoll“

Nachgefragt

Einfach ist die Entscheidung für den optimalen Antrieb nicht. Aber einheitliche Hardware für die Signalverarbeitung in verschiedenen Motorentypen könnte die Systemkosten senken, meint Prof. Günther Brandenburg.
Wie bewerten Sie den Wettbewerb zwischen Frequenzumrichtern mit Asynchronmotoren und Servoantrieben?
Eine Reihe von Entwicklungen hat dazu geführt, dass man auch mit Asynchronmotoren plus Umrichter und Gebersystem höchst präzise positionieren kann. Zwar erfordert die feldorientierte Stromregelung bei Asynchronmotoren mehr Aufwand als bei Synchronmotoren. Für moderne Computer ist das aber kein Problem.
Worin liegen heute noch Unterschiede zwischen Antrieben mit Frequenzumrichtern und Servoumrichtern?
Die Grenzen verschwimmen, sowohl bei den Einsatzgebieten als auch bei den Anschaffungskosten. Geblieben ist aber die höhere Leistungsdichte der Synchronmotoren. Wenn sich ein Anwender nicht allein am Preis orientieren muss, wird dieser Faktor die Entscheidung stark beeinflussen. Denn der preiswertere Asynchronmotor verursacht wegen seiner größeren Verluste höhere Betriebskosten, die bei großen Leistungen ein wesentlicher Entscheidungsfaktor sein können.
Sind Energiespar-Asynchronmotoren eine gute Alternative zu Servos mit Synchronmotoren, wenn man die Energieverluste gering halten will?
Mit ihren geringeren Verlusten können Energiesparmotoren die Betriebskosten senken. Solche Motoren sind aber sowohl in der Anschaffung teurer als auch größer als die normalen Asynchronmaschinen. Daher lässt sich die Bewertung im Vergleich mit den Servos kaum verallgemeinern.
Viele Hersteller arbeiten an einheitlichen Hardware-Plattformen für geregelte Asynchron- und Synchronmaschinen. Ist das ein sinnvoller Ansatz?
Bei beiden Motorarten handelt es sich um Drehfeldmaschinen. Um sie zu regeln, ist in jedem Fall eine sogenannte feldorientierte oder Strom-Regelung erforderlich. Wenn dafür ein einheitlicher Chip entwickelt wird, kann das die Systemkosten senken, was zweifellos im Interesse der Anwender läge.
Welche technischen Entwicklungen erwarten Sie für die Zukunft in diesem Bereich?
Einen Schub in der Diskussion könnten sensorlose Systeme bringen. Denn die Gebersysteme, die heute eingesetzt werden, haben einen erheblichen Anteil an den Systemkosten. Nicht, weil der Sensor so teuer wäre, sondern weil der Einbau eines präzisen Mess-Systems beträchtlichen Aufwand verursacht. Für Asynchronmaschinen gibt es bereits sensorlose Drehzahlregelungen, auch wenn diese noch keine so hohe Präzision erreichen. Für Servoantriebe laufen noch Forschungsarbeiten. Die bekannten Verfahren lassen sich auf diese Antriebe jedoch nicht einfach übertragen. Ergebnisse dieser Arbeiten könnten die Preise für Antriebssysteme erheblich verändern.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de