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Roboter bringt biegeschlaffe Teile in jede gewünschte Form

Automations-Aufgabe: 700 m Dichtschnur in komplexe Nuten montieren
Roboter bringt biegeschlaffe Teile in jede gewünschte Form

Oft lassen sich sogar Prozesse automatisieren, die für die maschinelle Bearbeitung als ungeeignet gelten. Die Bedingung ist, dass die Automatisierer systematisch vorgehen und sich nicht an das Vorbild der manuellen Vorgehensweise klammern. Bestes Beispiel: das Montieren von Dichtungs-Schnüren.

Dr. Johannes Wößner führte die Entwicklungsarbeiten im Auftrag des Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart durch. Johann Hollrotter ist Konstrukteur bei der Rohde & Schwarz & Co. KG im Werk Teisnach und Hauptverantwortlicher für das Projekt

Ein bisher nur unvollständig gelöstes und deswegen immer wiederkehrendes Problemfeld ist die automatische Montage von Dichtschnüren. Da die Schnüre mit ihrer geringen Biegesteifigkeit unter die Kategorie der biegeschlaffen Teile fallen, können sie nur auf Zug belastet werden. Beim Aufbringen von Kräften und Momenten treten große Verformungen auf. Häufig sind die Verformungen undefiniert und nicht vorhersehbar, außerdem hängen sie stark von der augenblicklich herrschenden Temperatur ab.
Bei der Rohde & Schwarz & Co. KG im Werk Teisnach müssen jeden Tag rund 700 m metallisierte Rundschnur in komplexe Nutverläufe eingelegt werden. Das Unternehmen mit Hauptsitz in München entwickelt, produziert und vertreibt Systeme der Kommunikations-, Informations- und Messtechnik. Die Schnüre sind nötig, um Abschirmhauben gegen hochfrequente elektromagnetische Wellen abzudichten. Pro Haube werden bis zu 70 Schnurteile verlegt. Sie unterscheiden sich alle in Länge und Verlauf. Erschwerend kommt noch hinzu, dass jede Haubenvariante nur in geringen Stückzahlen zu fertigen ist. Oftmals liegt bei Entwicklungsaufträgen in der Montage Losgröße eins vor.
Dieser Herausforderung stellte sich ein Automatisierungs-Team im Rahmen des Projektes Vulkanus, das von der Bayerischen Forschungsstiftung gefördert wurde. Erstmalig ist es dabei gelungen, Hochfrequenz(HF)-Dichtungen mit einem Roboter vollautomatisch in die Abschirmhauben zu montieren. Neben den Montageexperten von Rohde & Schwarz waren daran maßgeblich die Fachhochschule Deggendorf mit den Fachbereichen Maschinenbau und Elektrotechnik und das Fraunhofer- Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart beteiligt.
Die Basis für das Verfahr- und Prozesssteuerungsprogramm des Roboters und des neuen Verlegewerkzeugs bilden die CAD-Daten aus der Bauteilkonstruktion. Die Auftragsverwaltung und -steuerung übernimmt direkt der Leitrechner von Rohde & Schwarz.
Zu Beginn der Projektarbeiten erstellte das Team eine Anforderungsliste. Darin flossen alle Funktionen und Gestaltungsvorgaben ein, die das Verlegesystem erfüllen muss, um die geforderte Hochfrequenz-Dichtigkeit zu erreichen. Eine besondere Herausforderung stellten die Toleranzen dar: Im Zusammenspiel aller Einflussfaktoren darf der zulässige Spaltabstand zwischen zwei Dichtschnur-Enden 1 mm nicht überschreiten. Außerdem muss vermieden werden, dass die Schnur in der Länge gedehnt wird.
Entscheidend für den Automatisierungserfolg ist die systematische Vorgehensweise gewesen: Das Team erarbeitete für jede Einzelfunktion eine Vielzahl von Lösungen (morphologische Methode). Die Aufgabe „Fügen der Dichtschnüre“ hätte sich zum Beispiel durch Einlegen, Einrollen, Einhämmern oder Einblasen erledigen lassen – also berührend oder berührungslos, punkt- oder linienförmig. Alle Lösungen wurden dokumentiert und verglichen. Ebenso systematisch ging das Team an die anderen Teilaufgaben heran, etwa die Fragen, wie die Dichtschnur zu transportieren ist und wie sie getrennt werden kann.
Ein erster Prototyp des Fügewerkzeugs diente dazu, das Einlegen der Dichtschnur in Vorversuchen zu erproben. Getestet wurden sowohl das präzise Ansetzen der Schnur am Nutanfang und das Abschneiden am Nutende als auch das Verlegen bei unterschiedlichsten Nutradien. Das Werkzeug drückte die Schnüre mit einem oszillierenden Stempel in die Nut ein und durchtrennte sie mechanisch mit einem Schermesser. Der Vorversuch zeigte, dass die Schnur selbst in Nuten mit Radien unter 1 mm mit der geforderten Genauigkeit eingelegt werden kann, wenn ein geeigneter Bewegungsablauf gewählt wird.
Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Vorversuch wurde das Schnurfügewerkzeug überarbeitet und in einer Prototypenanlage einem Dauertest unterzogen. Zum Prototypen gehörte ein Handhabungsroboter und ein Spannsystem. Der Roboter wickelt die Schnur aus einer 1500 m bevorratenden Speicherrolle ab und fördert sie über ein Reibrad zur Haube. Das Reibrad wird dabei mit der gleichen Geschwindigkeit angetrieben wie der Verlegearm – eine Technik, die aus der Lötdraht-Zuführung bekannt ist. Bei dem Dauertest haben Schnurzuführung, servogeregelter Schnurförderantrieb und der elektrisch angetriebene Fügeoszillator ihre Serientauglichkeit bewiesen.
Als entscheidend für die Prozesssicherheit hat sich die Qualität des Dichtungsmaterials herausgestellt, das die Projektbeteiligten zusammen mit dem Hersteller optimierten. Seit der Inbetriebnahme im September 2002 hat der Prototyp bei Rohde & Schwarz eine Vielzahl von Werkstücken mit Dichtungen versehen und damit seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Inzwischen wurden mit Hilfe des Postprozessors etwa 80 Programmabläufe für Haubenvarianten automatisch erstellt.
Durch das Projekt konnten die Automationshemmnisse beim Montieren von Dichtschnüren beseitigt werden. An dem gewählten Fügeprinzip wird deutlich, dass Lösungsansätze zur Automatisierung nicht den manuellen Prozess adaptieren müssen, um Erfolg zu haben. Während der Werker die Schnur in die Nut drückt und mit dem Daumen reinstreicht, erledigt der Roboter dieselbe Arbeit auf ganz andere Weise. Er positioniert die Schnur mit vielen kleinen, impulsartigen Schlägen und kommt so besser zum Ziel.
80 Verlegeverläufe wurden schon automatisch erstellt
Schnüre einhämmern liegt dem Roboter mehr als sie eindrücken
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