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Sachliche Wahl zwischen Motor und Zylinder

Pneumatik: auf Systemwettbewerb eingestellt
Sachliche Wahl zwischen Motor und Zylinder

Pneumatische oder elektromechanische Antriebe? Das war jahrzehntelang mehr eine Glaubensfrage, als eine technisch-wirtschaftliche Güterabwägung. Jetzt wird der Systemwettbewerb offener denn je ausgetragen.

Schon der Blick auf die Internetseiten der ganz Großen der Pneumatikbranche zeigt, dass sich ein Wandel vollzieht: Den Zusatz „Pneumatik“ hat Festo dort abgelegt, und der Hersteller lässt offen, ob Bewegungen pneumatisch oder elektromechanisch ausgeführt werden. Ähnliches gilt für den größten Pneumatikhersteller der Welt, die japanische SMC: Zwar trägt die deutsche Tochtergesellschaft den Zusatz „Pneumatik“ noch in der Firmierung, doch wurde das Lieferprogramm längst ins einst feindliche Lager hinein ausgeweitet. Das sind nur zwei Indizien dafür, dass die Systemwahl bei Linearantrieben zunehmend den Gesetzen der Ratio folgt und weniger denen der Gewohnheit.

Elektromechanische Linearachsen, so scheint es, sind den Pneumatikproduzenten inzwischen willkommene Alternativen zu ihren angestammten, mit Druckluft betriebenen Zylindern. Kein Wunder, denn der Wert einer E-Achse übersteigt den eines Pneumatikzylinders erheblich. Deshalb lautet die Devise ganz offensichtlich: keine Umsatzausfälle riskieren und Kunden, deren Systemwahl auf die Elektromechanik fiel, im eigenen Haus halten. So gesehen verwundert es nicht, dass ein Pneumatikanbieter nach dem anderen sein Programm arrondiert. Diese Gegebenheit spiegelt auch die Motek 2006 wider: Aussteller wie Bosch Rexroth (Halle 5, Stand 5210), Festo (Halle 1, Stand 1415), Hoerbiger-Origa (Halle 5, Stand 5003) und Parker Hannifin (Halle 3, Stand 3008). zeigen neben druckluftbetriebenen Zylindern elektrische Linearantriebe in immer größerer Vielfalt.
Dennoch wäre es verkehrt, zu glauben, den Pneumatikanbietern bräche ihr Markt weg. Die Zahlen sind zwar nicht topp aktuell, aber dennoch aussagefähig. Die Branchenvereinigung Cetop weist auf ihrer aktuellen Internetseite für die Pneumatik im Jahr 2002 ein Weltmarktvolumen von 2,6 Mrd. Euro aus. Und nach Zahlen des VDMA hat der Pneumatikmarkt ein Jahr später allein in Deutschland ein Umsatzvolumen von 1,4 Mrd. Euro erreicht – wobei die Cetop den Anteil der pneumatischen Antriebe auf rund ein Drittel des Gesamtvolumens taxiert. Daneben nennt der VDMA für die Weltexporte in der Antriebstechnik im Jahr 2004 ein Volumen von 29,9 Mrd. Euro. Daran dürften Elektrozylinder und andere elektrische Linearantriebe noch einen verschwindend geringen Anteil haben. Das lässt erahnen, dass der Erfolg der Pneumatik ungebrochen ist.
Trotzdem kann nicht übersehen werden, dass die Erosion zu Lasten der Pneumatik und damit zu Gunsten der linearen Elektroantriebe unaufhaltsam voranschreitet. Dass die elektrisch angetriebenen Zylinder eines Teils mit der Pneumatik im Systemwettbewerb stehen und zum anderen mit der Hydraulik, sei der Vollständigkeit halber erwähnt.
Sucht man nach den Gründen, warum Maschinen- und Anlagenbauer nach Alternativen zur Fluidtechnik Ausschau halten, greifen Argumente wie die höhere Energieeffizienz und die hervorragende Regelbarkeit von elektrischen Servoantrieben, die insbesondere bei Positionieraufgaben gefragt ist. Aber auch der lineare Kraftanstieg und die leicht zu realisierende Kraftregelung sowie der schnelle Kraftaufbau machen Elektroantriebe immer wieder zur ersten Wahl.
Seitens des Schweißzangenherstellers Nimak Maschinenfabrik GmbH, Nisterberg, ist zum Beispiel zu hören, dass „Schweißzangen mit AC-Servo-Antrieben die fürs Punktschweißen erforderliche Kraft fünfmal so schnell aufbauen, wie ein Pneumatikzylinder.“ Hinzu kommt, dass „sich die eingestellte Kraft während des Schweißprozesses nicht verändert und dadurch eine garantiert hochwertige Schweißverbindung erreicht wird.“ Da die Vorhaltezeit beim Einsatz servomotorischer Schweißzangen praktisch vernachlässigt werden kann, werde „bei jedem einzelnen Schweißpunkt viel Zeit gespart.“
Bezweifelt werden darf allerdings, dass der Systemwettbewerb zwischen der Pneumatik und den Elektroantrieben so dramatisch voranschreitet, wie es die Studie Automatisierung 2010 der Unternehmensberatung Mercer vorgibt: Bis zum Jahr 2010 sollen demnach Elektrozylinder ihre pneumatischen Pendants weitgehend verdrängen. Eine solche Aussage schießt unverkennbar übers Ziel hinaus und wird von Pneumatikproduzenten sicher nicht sehr ernst genommen. Schließlich kennen sie eine ganze Reihe von Stärken der druckluftbetriebenen Linearantriebe, allen voran die niedrigen Kosten pro Antrieb und die sehr kleinen Einbauräume. Enthält eine Druck- oder Verpackungsmaschine oder ein Handhabungssystem gar eine Vielzahl an Pneumatikzylindern, dann hat die Pneumatik im Systemwettbewerb mit der Elektromechanik nicht viel zu befürchten. Zumal hier die Infrastruktur – von der Drucklufterzeugung über Trockner bis zu Wartungseinheiten – auf viele Antriebe umgelegt werden kann.
Anders sieht es bei Anwendungen mit einzelnen oder wenigen Antrieben aus, bei denen zusätzliche Argumente wie einfachere Kraftregelung oder das leichter zu realisierende Positionieren auch eine Rolle spielen. Denn hier könnte der Pneumatik in der Tat die Luft ausgehen – weshalb der Wechsel der Pneumatikhersteller in die Liga der Anbieter elektrischer Linearantriebe nicht verwunderlich ist.
Gerhard Vogel Fachjournalist in Königsbrunn
Erfolg und Erosion in der Pneumatik
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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