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Schneller als Zerspanen und genauer als Gießen

Pulvermetallurgische Teile: Viel Freiheit bei der Werkstoffwahl
Schneller als Zerspanen und genauer als Gießen

Die Anzahl pulvermetallurgisch hergestellter Teile nimmt ständig zu. Nicht ohne Grund: Die so produzierten Bauteile sind endformnah und bieten hohe Genauigkeit und Oberflächengüte. Metallische Spritzgießteile können sogar mit Feinguss konkurrieren.

Dr. Heinz-Joachim Mäurer ist Geschäftsführer der Schunk Sintermetalltechnik GmbH in Heuchelheim

In den neuen 6-Zylindermotoren von BMW werden in der variablen Ventilsteuerung (Valvetronic) 18 pulvermetallurgisch hergestellte Sinterteile eingesetzt. Die ursprünglich dafür vorgesehenen Gussteile hätten umfangreich zerspanend nachgearbeitet werden müssen. Hingegen kommen die PM-Teile ohne weitere Nacharbeit aus, denn sie besitzen eine sehr gute Oberflächengüte, die sich mit der einer Schlichtoberfläche vergleichen lässt. In der Valvetronic müssen die Teile einen hohen Widerstand gegen Hertzsche Pressung aufbringen und dynamisch belastbar sein. Dies ermöglichen neue leistungsfähige Pulver wie nickel- und molybdänlegierte Werkstoffe (Zugfestigkeiten deutlich über 1000 MPa) sowie verbesserte Prozesstechnologien beim Pressen und Sintern.
Die Pulvermetallurgie (PM) ist eine fortschrittliche Fertigungstechnologie, die heute eingesetzt wird, um Ingenieurkomponenten in einem weiten Bereich herzustellen. Ihr kommt zugute, dass sich praktisch alle Metalle und Legierungen verwenden lassen, die in Pulverform verfügbar sind. Für die Formgebung gibt es unterschiedlichste Verfahren: Verpressen im Werkzeug, Spritzgießen, isostatisches Pressen, Schmieden und Extrudieren. Um den Pulverkörpern ihre Festigkeit zu geben, werden sie nach dem Verdichten geglüht. Dieses Sintern erfolgt unterhalb des Schmelzpunktes der Metalle. Schutzgase oder Vakuum unterstützen dabei die metallurgische Bindung der Pulverpartikel.
Der Siegeszug der Pulvermetallurgie begann mit der industriellen Massenfertigung in den 70er- und 80er-Jahren, obwohl Hartmetalle und ölhaltige Lager schon seit über 80 Jahren pulvermetallurgisch hergestellt werden. Sie ist ein wettbewerbliches Verfahren für die Großserienfertigung. Speziell die PM-Formteile aus Eisen und Stahl sind eine noch junge Technologie. Sie finden sich in Haushaltsmaschinen, Elektrowerkzeugen, Automobilen und vielen weiteren Anwendungen wieder. Insbesondere die Automobilindustrie nutzt die technischen Möglichkeiten und vor allem die Kostenvorteile. Rund 80 % des PM-Umsatzes gehen inzwischen ins Automobil – und die Anwendungen im Pkw steigen kontinuierlich.
Die Wirtschaftlichkeit der Pulvermetallurgie rührt daher, dass ihre Fertigungsverfahren vergleichsweise wenig Energie benötigen und die Materialien sehr gut ausnutzen. Da auf eine mechanische Nachbearbeitung in den meisten Fällen verzichtet werden kann – die Teile also einbaufertig anfallen – liegt die Materialausnutzung bei über 95 %. Dadurch mitbedingt, beträgt der Energiebedarf bei pulvermetallurgischen Verfahren im Schnitt nur 29 MJ pro Kilogramm des Endproduktes. Konkurrierende Gießverfahren liegen mit einer Materialausnutzung von etwa 90 % und einem etwas höheren Energiebedarf von 30 bis 38 MJ/kg nur knapp dahinter. Im Vergleich der Herstellungsverfahren schneidet die zerspanende Formgebung am schlechtesten ab: Sie nutzt das Material nur zu 40 bis 50 % aus, und die benötigten Energiemengen sind zum Teil mehr als doppelt so hoch wie bei den ersten beiden Verfahren. Trotzdem haben alle diese Herstellprozesse die Anwendungsgebiete gefunden, in denen sie dominieren und ihre technischen und/oder Kostenvorteile ausspielen (siehe Diagramm).
Bei kleineren Produktionsmengen ist die mechanische Bearbeitung das Verfahren der Wahl. Sie eignet sich aber auch für sehr hohe Stückzahlen bei einfacheren Drehteilen. Für hohe Stückzahlen ist dagegen die pulvermetallurgische Fertigung prädestiniert. Auf modernen CNC-Mehrplattenpressen mit bis zu neun steuerbaren Stempeln lassen sich sehr komplizierte Teile mit engen Toleranzen und guter Oberflächengüte herstellen. Erreicht werden je nach Fertigungsverfahren Toleranzen zwischen IT6 und IT11 bei werkzeuggebundenen Maßen, im Sonderfall bei Bohrungen sogar bis IT3. Kalibrierte Teile weisen dabei Oberflächengüten bis zu Rz=3 auf.
Die Größe der pulvermetallurgisch hergestellten Teile ist allerdings begrenzt. Die größten eingesetzten Bauteile wiegen zwischen 10 und 15 kg, die kleinsten 0,1 g. In der deutlichen Mehrzahl liegen jedoch die Bauteilgewichte unter 1 kg.
Doch auch das Gießen bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber den axial gepressten PM-Teilen: Dazu gehören größere Gestaltungsfreiheit und höhere Festigkeit. Neben großen Gussteilen für den Maschinenbau werden kleine filigrane Bauteile mit Hinterschneidungen und komplizierten Geometrien dargestellt.
Selbstverständlich reichen Sintern oder Gießen als einzige Verfahren oft nicht aus. Die hohen Genauigkeitsanforderungen, die heute an Maschinenteile gestellt werden, machen meist ein spezielles Finishing der Bauteile notwendig. Bevor Gussteile endgültig zum Einsatz kommen, werden ein Großteil mechanisch bearbeitet. Aber auch die viel genauer herstellbaren Sinterteile bedürfen oft einer Nacharbeit. Im Bild ist ein Nockenwellenversteller zu sehen, der aufgrund sehr hoher Anforderungen an Rechtwinkligkeit und Planparallelität überdreht werden muss. Das Wirtschaftlichkeitspotenzial liegt hier in der Kombination von Pulvermetallurgie und spanender Nacharbeit. Es gibt sogar Zerspanungsfirmen, die für die Rohlinge ihrer Verzahnteile eigens eine Sinterproduktion aufgebaut haben.
Die Lücke zwischen dem Gießen und der konventionellen Pulvermetallurgie (axiales Pressen) schließt das pulvermetallurgische Spritzgießen (MIM = Metal Injection Moulding). Dabei werden feinste Metallpulver mit organischen, thermoplastisch verarbeitbaren Bindern zu einer homogenen Masse vermischt. Diese Masse wird auf leicht modifizierten Kunststoffspritzgießmaschinen verspritzt und der Binder anschließend über diverse Verfahren entfernt. Im Vakuum oder unter Schutzgas sintern die Teile, wobei sie zwischen 10 und 17 % linear schwinden. Zurück bleibt ein dichtes Bauteil mit Werkstoffeigenschaften, die denen konventioneller Stahlteile entsprechen. Da das Spritzgießen eine sehr hohe Gestaltungsfreiheit bietet, kann MIM in direkte Konkurrenz zur Feingusstechnik treten. Der Prozess eignet sich besonders für Großserien und bietet um ein bis zwei Toleranzstufen höhere Genauigkeit und deutlich bessere Oberflächengüten bis zu Rz=4 (vergleichbar einer Schlichtoberfläche).
Da Metallpulver als Ausgangsstoffe eingesetzt werden und während des Herstellprozesses kein Schmelzen stattfindet, ist der Freiheitsgrad bei der Werkstoffwahl äußerst groß. Durch die MIM-Technik lassen sich Legierungen herstellen, die auf schmelztechnischem Wege undenkbar sind. Ein Beispiel dafür sind Zylinderschlösser, die aus einem Verbundwerkstoff mit zäher Matrix und extrem harten Einlagerungen bestehen. Sie bieten hohen Schutz sowohl gegen Aufbohrversuche als auch gegen Gewaltbruch. Zusätzlich möglich sind kompliziert geformte MIM-Bohrschutzeinlagen aus Schnellarbeitsstahl in komplizierten Formen.
Die MIM-Technik bietet somit hohe gestalterische Freiheiten für den Entwickler. Obwohl deutlich kostenintensiver als die axiale Presstechnik, ist sie eine äußerst wirtschaftliche Alternative zu aufwendigen Produktionmethoden wie etwa Feinguss mit verlorenen Formen.
Auf mechanische Nacharbeit kann meist verzichtet werden
Metallisches Spritzgießen bietet Präzision bei hohen Stückzahlen
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