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Schon das erste Biegeteil passt – Ausschuss ist passé

Gesenkbiegen: Mechanische und optische Winkelmesssysteme sorgen für exakte Teile
Schon das erste Biegeteil passt – Ausschuss ist passé

Mit Systemen zur Winkelmessung und automatischer Kompensation der Rückfederung des Blechs ist winkelgenaues Biegen auf Gesenkbiegepressen schon ab dem ersten Teil möglich. Der Anwender hat die Wahl zwischen mechanischen und optischen Vorrichtungen auf Laserbasis.

Dipl.-Ing. Lothar Handge ist Fachjournalist in Velbert

Auf Anhieb winkelgenau gekantete Blechteile – lange Zeit mehr Wunsch als Wirklichkeit. Die Ursache ist klar: Abhängig von den drei Haupt-einflussgrößen Dicke, Zugfestigkeit und Walzrichtung, neigt jedes Blech beim Biegen auf einer Gesenkbiegepresse zur Rückfederung. „Wie groß diese jeweils ist, lässt sich jedoch nicht vorhersagen“, merkt Robert Liet an. Er ist Geschäftsführer der Darley bv, Eijsden, einem holländischen Hersteller von Systemen zur Blechbear-beitung.
Um auf zeitaufwendiges Probebiegen und Nachkorrigieren verzichten zu können, gibt es nach Liets Meinung nur eine Methode: während des Biegevorgangs über eine Messung des Biegewinkels die Rückfederung zu bestimmen und den Winkel im Prozess nachzuregeln. Gegenüber dem herkömmlichen Abkanten biete dies erheb-liche Vorteile:
– Kürzere Produktionszeiten dadurch, dass aufwendige Einfahrprozeduren, Nacharbeiten oder Nachmessungen wegfallen
– Die Winkelgenauigkeit wird eingehalten, unabhängig von Materialeigenschaften wie Dicke, Härte, Festigkeit, Duktilität und Walzrichtung
– Weniger Materialverbrauch und Ausschuss
Hinzu kommt ein günstiger Einfluss auf die gesamte Prozesskette Blech: Beim Schachteln lässt sich die Materialausnutzung der Tafeln steigern, weil die Walzrichtung keine Rolle mehr spielt. Nachgelagerte Arbeitsprozesse wie Füge- und Montageoperationen sind mit passgenauen Teilen schneller, einfacher und damit kostengünstiger zu realisieren.
Bei der Winkelmessung und -korrektur führen unterschiedliche Wege zum Ziel. Darley strebte bei der Entwicklung seines Systems ACS eine Lösung an, die beim Abkanten möglichst wenig Einschränkungen mit sich bringen sollte. Da in der Praxis die Matrize häufiger gewechselt wird als der Stempel, entschlossen sich die Holländer für den Einbau in das Oberwerkzeug. „Diese Einbausituation ist wesentlich unempfindlicher gegenüber Verschmutzungen, die das Messergebnis verfälschen können“, erläutert Liet.
Darley suchte nach einer Lösung, die völlig materialunabhängig arbeiten und keine Datenbank benötigen sollte. Sie funktioniert nach der Methode der Linear-Differenzwegmessung: Gegeneinander versetzt angeordnete Tastsensoren legen beim Messen einen unterschiedlich langen Weg zurück; aus der Differenz wird der Winkel errechnet.
Der Mess- und Korrekturvorgang kostet gegenüber dem einfachen Abkanten etwas mehr Zeit. Den wenigen Sekunden steht bei Einzelstückfertigung die Alternative gegenüber, das Blech zu entnehmen, zu messen und nachzubiegen. Bei Serienfertigung genügt es meist, das erste Teil zu korrigieren, weil sich die Steuerung die Ergebnisse aus dem ersten Biegevorgang merkt und sie auf die nächsten Teile oder auf die nächsten Biegungen am gleichen Werkstück überträgt. Dank des Lerneffektes wird bei den folgenden Biegungen schon im ersten Hub der korrekte Winkel erreicht. An der Steuerung lässt sich zudem einstellen, dass zum Beispiel jedes zehnte, 25. oder 50. Teil geprüft wird.
Robert Liet bemerkt ein steigendes Interesse der Kunden an Winkelmesssystemen: „Derzeit bestellen rund ein Drittel unserer Kunden die Pressen mit ACS. Bei den vorbereiteten, also nachrüstbaren Maschinen ist es sogar schon die Hälfte.“
Beim ebenfalls taktil arbeitenden Winkelmesssystem ACB der Trumpf Werkzeugmaschinen GmbH & Co., Ditzingen, sind im Oberwerkzeug zwei Tastscheiben mit unterschiedlichen Durchmessern integriert. Die Tastscheiben zentrieren sich mit vier Berührungspunkten während des Biegevorgangs an den Innenschenkeln der Biegung. Damit wird der reale Winkel des Werkstücks an vier Punkten erfasst. Aus dem Abstand der Scheibenmittelpunkte errechnet das System den Winkel. Über eine intelligente Sensorsignalverarbeitung erkennt es den Entspannungspunkt und berechnet den Rückfederungswinkel. Die Sensorelektronik kommuniziert mit der Steuerung, die automatisch nachregelt, bis nach kurzer Zeit der programmierte Winkel erreicht ist. Während des gesamten Prozesses bleibt das Teil in der Maschine fixiert.
Dr. Alfred Hutterer, Geschäftsführer der Trumpf Maschinen Austria GesmbH & Co KG in Pasching/Österreich nennt Vorteile des Systems: „Durch die taktile Messmethode hat die Werkstück-Oberfläche keinen Einfluss. So kann bei Spiegelblech, sandgestrahlten Teilen oder verzundertem Material gleichermaßen gut gemessen werden.“ Durch gleichzeitiges Biegen mit drei ACB-Sensoren sei besonders bei langen Biegekanten eine sehr hohe Winkelgenauigkeit möglich. Die beiden äußeren Sensoren regeln die Winkelgenauigkeit und die Parallelität, der mittlere die Bombierung.
Anders als die genannten Anbieter, hat der italienische Gesenkbiegepressen-Hersteller Gasparini S.p.A., Istrana, sein Messsys-tem GPS ins Unterwerkzeug integriert. Gegenüber dem konventionellen Abkanten soll das Konzept der Italiener einen Produktivitätsvorteil von rund 70 % bringen. Laut Hersteller fertigt die neueste GPS-Version Teile jeglicher Blechdicke, -länge und -qualität mit jeglicher Matrizentype in Losgröße 1 wirtschaftlich. Und dies ohne Limitierung in einem Winkelbereich zwischen 5° und 175°. Da über zwei Gabeln in der Matrize gemessen wird, bleibt die Zugänglichkeit der Abkantpresse voll erhalten. Der Bediener muss als einzigen Wert den Biegewinkel eingeben.
Bei der Montage um 25 Prozent schneller als zuvor
Auch wenn die Messung einige Sekunden dauert, ist im Vergleich zur konventionellen Vorgehensweise der Gesamtprozess deutlich kürzer – und das erste Teil passt, Ausschuss gibt es nicht. Große Pressen mit Nennkräften von 10 000 kN und mehr liefert Gasparini fast nur noch mit Winkelmessung aus. Verständlich, denn wenn ein Anwender zum Beispiel 20 mm dickes Hardox auf 6000 mm Länge kantet, muss beim ersten Versuch alles passen, sonst wird es teuer.
„Speziell beim Biegen großer und schwerer Bauteile ist es unumgänglich, ein Sys-tem zur automatischen Winkelmessung und Kompensation der Rückfederung einzusetzen“, bestätigt Didier Joskin, beim Landmaschinenbauer Joskin S. A. in Sou-magne/Belgien verantwortlich für Informatik und Produktion. Joskin arbeitet seit 1999 mit dem ACS-System von Darley: „Wir setzen es bei rund der Hälfte aller zu biegenden Teile ein“, berichtet Joskin. Die hohe Präzision der Biegeteile mache sich besonders bei der anschließenden Weiterverarbeitung positiv bemerkbar: „Bei der Montage sind wir um bis zu 25 Prozent schneller als zuvor.“
Neben den taktilen Messvorrichtungen gibt es berührungslose und damit verschleißfreie Systeme, die auf Laserbasis arbeiten. Abhängig von der Funktionsweise, besitzen sie unterschiedliche Eigenschaften. Für das Lasermesssystem Easyform der EHT Werkzeugmaschinen GmbH, Teningen, postuliert der Technische Leiter Gerald Koch: „Unterschiedliche Materialoberflächen spielen fast keine Rolle, da der leistungsgesteuerte Laser die unterschiedlichen Reflexionseigenschaften ausgleicht.“ Der Biegewinkel stimme schon beim ersten Biegeteil ohne jede Nacharbeit.
Zunächst projiziert der Laser eine Linie auf die Außenseite des Blechschenkels. Der sich beim Biegevorgang ändernde Abstand dieser Linie wird von einer Kamera optisch erfasst, ausgewertet und zeitgleich an eine integrierte Rechnereinheit weitergeleitet, die mit der DNC-Steuerung verbunden ist. Das Oberwerkzeug fährt so lange tiefer, bis der gewünschte Winkel erreicht ist. Erforderliche Korrekturen finden direkt im Prozess statt, ohne den Biegevorgang anzuhalten oder zu unterbrechen.
Gerald Koch nennt weitere Vorteile des mittlerweile als Easyform IV erhältlichen, über die gesamte Arbeitslänge frei verschiebbaren Winkelmesssystems: „Es ist sehr anwenderfreundlich, weil die In-Prozess-Messung ohne zu programmieren und ohne Programmierkenntnisse eingesetzt werden kann. Das beidseitig messende System ist zudem werkzeugunabhängig innerhalb eines großen Winkel- und Blechdickenbereiches ohne Umrüsten zu verwenden.“ Mittlerweile seien mehr als die Hälfte der verkauften Maschinen damit ausgerüstet.
Mit Alpha-correct bietet auch die Paul Weinbrenner Maschinenbau GmbH & Co. KG, Weil der Stadt, ein laserbasiertes, verfahrbares Winkelmesssystem an. Es lässt sich unabhängig von der Werkzeugform und der Blechdicke an allen Biegestationen einsetzen. Die Vorrichtung besteht aus zwei optischen Sensoren, die den Winkel am Blech feststellen, sowie einem Rechner, der die gemessenen Winkelwerte verarbeitet. Das Funktionsprinzip ist mit dem von Easyform vergleichbar.
Die Blechdesign GmbH, Asperg, setzt das Alpha-correct-System seit einigen Jahren erfolgreich ein. Das Zuliefer-Unternehmen fertigt vorwiegend Null-Serien. Geschäftsführer Frank-Peter Fetsch ist von der optischen Winkelmessung überzeugt: „Das System ist vielseitig und flexibel verwendbar, nicht abhängig vom Werkzeug und unterliegt praktisch keinem Verschleiß.“ Für Fetsch ist auch wichtig, dass mit Hilfe des Systems ein detailliertes Protokoll erstellt werden kann, das zahlreiche Informationen über das Material liefert.
Die Stärken und Schwächen der verschiedenen Winkelmessvorrichtungen, die teilweise für unter 10 000 Euro erhältlich sind, zeigen sich im praktischen Einsatz. Vor dem Kauf empfiehlt es sich daher, die Systeme anhand des eigenen Teilespektrums durch realitätsnahe Versuche bei den Anbietern zu prüfen.
Eigenschaften und technische Daten der Winkelmesssysteme (Herstellerangaben)
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