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Schubkraft für Mittelstandskapitäne

Balanced Scorecard: So gelingt der ständige Überblick über den Kurs des Unternehmens
Schubkraft für Mittelstandskapitäne

Auch Mittelständler nutzen die Vorzüge der Balanced Scorecard. Das Führungsinstrument beleuchtet die Vergangenheit mit Hilfe weniger Kennzahlen und übernimmt auch die Leistungsbewertung für die Zukunft – und es lässt sich schneller einsetzen, als mancher denkt.

Von unserem Redaktionsmitglied Dietmar Kieser dietmar.kieser@konradin.de

Auf der Düsseldorfer Werkzeugmaschinenmesse Metav rief Carl-Martin Welcker die Maschinenbauer zum Umdenken auf. „So wie wir unseren Kunden die Vorteile unserer Maschinen klarmachen, müssen wir in Zukunft verstärkt auch den Kredit gebenden Banken verdeutlichen, wo wir stehen oder welche Stellung wir im Wettbewerb einnehmen – und nicht nur als Bittsteller um Kredite anstehen.“
Um an Geld zu kommen, die für Service- und Auslandsaktivitäten dringend benötigt werden, gibt es laut Welcker, der dem Verband Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e. V. (VDW) vorsteht und die Geschäfte der Kölner Alfred H. Schütte führt, nur einen Weg: „Wir müssen den Banken unsere Attraktivität verkaufen.“ Die Maschinenbauer, räumt Welcker ein, hätten hier Defizite und folglich Lernbedarf.
Zum Umdenken zwingt die Kreditnehmer die knausrige Kreditvergabepolitik der Banken als Folge von Basel II. Wer sich auf diesem Weg refinanzieren will, muss auch beim Planungs- und Berichtswesens gut aufgestellt sein. Denn die Geldgeber wollen nicht nur wissen, wo das Unternehmen steht, sondern auch, wo es hinsteuert.
Vor dieser Überlegung stand auch das Management der Nussbaum GmbH & Co. KG aus dem südbadischen Kehl. Als der mittelständische Hebebühnenhersteller den Blechverarbeitungsbetrieb SMT im benachbarten Sundheim übernommen hatte, „war sofortige Transparenz über den Zustand des Unternehmens notwendig“, berichtet Ulrich Riesenbeck, bei Nussbaum für IT und Organisation zuständig. Aber weitaus wichtiger war es, die aus der Insolvenz hervorgegangenen und verunsicherten 58 Mitarbeiter zu motivieren und deren Identifikation mit SMT zu bilden. Es galt, innerhalb kurzer Zeit eine neue Unternehmenskultur nicht nur zu implementieren, sondern auch zu leben. Heute arbeiten alle auf gleichem Informationsstand, um die Entscheidungen der Führungsetage nachvollziehen zu können.
Wer hinter derlei Vorgehen ein monströses Regelwerk vermutet, der irrt. Balanced Scorecard (BSC) nennt sich das Steuerungsinstrument, das bei SMT in gerade einmal vier Wochen eingeführt wurde. Das ausbalancierte Kennzahlensystem hilft auch, den Maschinenbaubetrieb mit wenigen, aber entscheidenden Kennzahlen „permanent auf dem richtigen Kurs zu halten“, so Riesenbeck. Der Clou des Anfang der 90er-Jahre von US-Professor Robert F. Kaplan zusammen mit David P. Norton, einem Unternehmensberater, konzipierten Veränderungsinstrumentes: Obgleich für Konzerne entwickelt, können auch Mittelständler damit einfach ihre Balance finden zwischen vergangenheitsbezogenen finanziellen Eckdaten und einer strategischen Leistungsbewertung für die Zukunft.
Erfolgreich umgesetzt haben dies die mehr als 100 großen und mittelgroßen Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, welche die Stuttgarter Managementberatung Horváth & Partners im Rahmen einer Studie befragt hat. Demnach übertreffen rund 80 % der Unternehmen, die mit der Balanced Scorecard arbeiten, ihre Konkurrenz bei Umsatzwachstum und Jahresabschluss. Und 61 % steigerten durch den BSC-Einsatz die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter und Kunden.
Dem Erfolgsrezept liegt eine schlüssige Formel zugrunde: So geht das Autorengespann Kaplan/Norton davon aus, dass mit qualifizierten Mitarbeitern leistungsfähige Prozesse möglich sind. Diese wiederum schaffen eine möglichst hohe Kundenzufriedenheit und bereiten damit die finanzielle Grundlage für ein besseres finanzielles Umfeld vor. Für diesen idealtypischen Ansatz geben die US-Ökonomen keine Inhalte vor, sondern nur einen methodischen Rahmen, der allerdings mehrere Dimensionen in sich vereint: Potenzial, Prozesse, Kunden und Finanzen bilden die eine Richtung. Die andere Perspektive reicht von der Vision über die Strategie bis zur messbaren Aktion mittels Kennzahlen.
Gleichwohl kann sich der Aufwand, der beim Erarbeiten der Inhalte entsteht – wie bei SMT mit einer Scorecard und sechs wichtigen Kennzahlen – in Grenzen halten. Ulrich Riesenbeck beispielsweise erfasst Faktoren wie Mitarbeiter, Kunden, Kernprozesse, Qualität, Umsatz sowie Kosten, wobei er sich bei der Darstellung mit einer einfachen Excel-Liste begnügt. Sechs Mitarbeiter führen die Daten, ein jeder wendet monatlich nicht mehr als eine Viertel Stunde dafür auf. Mitunter erreicht die Zahl der Scorecards und mit ihnen die Kennzahlen jedoch andere Größenordnungen. Wer etwa mit zwei größeren Auslandsvertriebstöchtern operiert, dem empfiehlt Altfrid Neugebauer, BSC-Berater und Partner bei Horváth & Partners in Düsseldorf, „drei Scorecards, die aber jeweils nicht mehr als 20 Kennzahlen enthalten sollten“ (siehe Nachgefragt).
Vor dem BSC-Einstieg sollte sich ein Firmenchef über zwei Voraussetzungen im Klaren sein: „Er muss es gewohnt sein, sich lang- oder mittelfristige strategische Ziele zu setzen, sonst ist dieses Tool nichts für ihn“, warnt Neugebauer. Da BSC ein unterjähriges Reporting beinhalte, die Kennzahlen also monatlich oder quartalsweise ermittelt und besprochen würden, müsse ein Unternehmer auch mit dieser Form des Controlling vertraut sein. Überdies sollten sich die Kennzahlen, die auf Messwerten basieren, „mit einem verhältnismäßig gesunden Aufwand“ berechnen lassen. Für unabdingbar hält er Basis-IT-Systeme, etwa PPS oder BDE in der Produktion, die die Messungen automatisieren.
Auf den Weg zur automatisierten Messwerterfassung begab sich die BCT Technology AG erst, nachdem sich der Vorstand und die 35 Mitarbeiter für das Projekt entschieden hatten. Zuvor generierte das Willstätter Softwarehaus seine Daten aus mehreren verteilten Datenquellen. Da mit BSC jedoch „einerseits ein genaues Abbild der Unternehmensrealität erstellt wird, andererseits das Beschaffen der Kennzahlen nicht mehr als zwei Stunden pro Erfasser und Monat dauern sollte“, wie BCT-Vorstand Klaus Erdrich sagt, wurde parallel zur Balanced Scorecard eine ERP-Standardsoftware eingeführt. Großen Wert legten sie darauf, „Dinge, die uns wirklich wichtig sind, sehr schnell extrahieren zu können“, nennt Erdrich die Vorgabe. Ein wichtiges Kriterium, da sich über einem Technologieunternehmen von Natur aus eine geballte Datenflut ergießt. Systemtechnisch kaskadiert, mündet die Datenfülle in 25 Kennzahlen, die per Excel dargestellt werden. Sieben Mitarbeiter ermitteln verantwortlich diese Zahlen.
Wer den Vergleich in einer Art Cockpit-Instrument oder wie bei BCT in Form von Verkehrsampeln visualisiert, die statt Zahlen Tendenzen zeigen, kann Wechselwirkungen auf einen Blick analysieren – und bei Abweichungen sofort gegensteuern, und nicht erst, wenn Umsatz oder Gewinn einbrechen. Einmal monatlich erfahren Erdrichs Mitstreiter den aktuellen Stand – auf einem einzigen Blatt Papier.
Das hat auch Erich Staudt vor. Nur wenige Monate als Präsident des VfB Stuttgart im Amt, verkündete der ehemalige Deutschland-Geschäftsführer von IBM, sein Business mit dem neuen Führungsinstrument steuern zu wollen. Das Ziel: Die wirtschaftliche Entwicklung für den Verein besser planbar zu machen und auf Fehlentwicklungen schneller und flexibler reagieren zu können. Dem Verein für Bewegungsspiele stehen heute 130 Kennzahlen zur Verfügung. Ob er auf dem richtigen Weg ist, zeigt Erwin Staudt auch der Blick auf ein anderes Anzeigeinstrument: 14-täglich samstags, wenn in Riesenziffern im Gottlieb-Daimler-Stadion ein Tor für die Heimmannschaft aufleuchtet.
Blechverarbeiter SMT führt Scorecard in nur vier Wochen ein
Auch VfB Stuttgart peilt planbare wirtschaftliche Entwicklung mit BSC an

„Erfolg basiert auf Visionen und Aktionen“

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Erst wenn eine Strategie auch in Aktionen umgesetzt wird, kommt ein Unternehmen entscheidend voran. Altfrid Neugebauer sagt, warum die Balanced Scorecard auch für Mittelständler das richtige Werkzeug ist.
Welche Idee steckt hinter BSC?
Die Balanced Scorecard verknüpft die Strategie mit der Arbeitswelt, indem sie Inhalte von der strategischen auf die operative Arbeitsebene bringt. Denn für jedes strategische Ziel gibt es eine Maßnahme, und die findet auf der Arbeitsebene statt. Als Vehikel im strategischen Managementprozess hilft die BSC beim Übersetzen der Vision, Kommunizieren und Verbinden, beim Aufstellen der Businesspläne sowie beim Lernen und Anpassen.
Für wen lohnt sich der BSC-Einsatz?
Beispielsweise für Unternehmen, die ein Problem mit der Strategieumsetzung haben, also über kein einheitliches Zielsystem verfügen, deren darunter liegenden Arbeitsebenen die Strategien nicht verstehen oder nicht kommuniziert bekommen haben. Nützlich ist der Einsatz auch bei der typischen Nachfolgesituation im Mittelstand, wenn Know-how vom Senior auf den Junior übertragen werden soll. Auch hilft die BSC, sowohl einen langfristigen Wachstums- als auch einen Kostensenkungspfad zu beschreiten.
Wenn sich damit jede Art von Inhalt umsetzen lässt – ist BSC das Management-Allheilmittel schlechthin?
BSC ist zwar nicht das Allheilmittel, denn sie ersetzt nicht die Unternehmensstrategie. Aber sie ist das beste verfügbare Managementinstrument, um die Strategie umzusetzen. Erstmals werden verschiedene betriebswirtschaftliche Ideen zusammengeführt. Deshalb ist die BSC auch so erfolgreich.
Welcher Aufwand ist dafür erforderlich?
Das richtet sich nach der Zahl der Scorecards. Ein größerer Mittelständler, der auf Gruppenebene, bei verschiedenen Einzelgesellschaften und dort eine Ebene darunter in F+E sowie Vertrieb Scorecards einführt, arbeitet mit drei BSC-Ebenen, auf denen schnell bis zu zehn, aufeinander abgestimmten Scorecards entstehen. Das treibt den Aufwand…
… den ein kleinerer Mittelständler nicht leisten kann?
Ein 50-Mitarbeiter-Unternehmen arbeitet relativ kompakt, ihm genügt eine Scorecard mit bis zu 20 Kennzahlen und strategischen Zielen. Einem Betrieb mit beispielsweise zwei größeren Vertriebsgesellschaften im Ausland empfehle ich drei Scorecards, um diese zu führen. Alles hängt stark von der Struktur des Unternehmens ab.
Wie viele Kennzahlen sollte eine Scorecard enthalten?
Nicht mehr als 20, damit die Übersichtlichkeit erhalten bleibt. Voraussetzung ist jedoch, dass eine Strategie oder strategische Ideen vorliegen. Das ist die Vorarbeit, die für die Balanced Scorecard zu leisten ist. dk
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