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Schutzschilde gegen hochfrequente Strahlen

EMV-Schirmungstechniken im Überblick
Schutzschilde gegen hochfrequente Strahlen

Die Wahl der optimalen Schirmungstechnik für elektrische und elektronische Geräte ist kein Hexenwerk. Wer hochfrequenten Strahlen Paroli bieten muß, braucht zumindest den Überblick über verschiedene EMV-Dichtungssysteme. Hinzu kommen einige Kriterien, die Konstrukteure bei der Auswahl der Technik beachten sollten.

Dr.-Ing. Thomas Wagner ist Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und Transferprojektleiter am Institut für Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Univers

Elektrische und elektronische Geräte müssen nach den EMV-Richtlinien so beschaffen sein, daß die Erzeugung und Abstrahlung elektromagnetischer Wellen soweit begrenzt wird, daß ein bestimmungsgemäßer Betrieb von Funk- und Telekommunikations-Einrichtungen sowie sonstigen Geräten ohne Störungen möglich ist. Die Geräte selbst müssen eine Festigkeit gegen elektromagnetische Störungen von Störquellen aus der Umgebung aufweisen. Festgelegt sind diese Vorschriften im „Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten“ der EWG und den EMV-Richtlinien der EU.
Zahlreiche Praxisbeispiele belegen die Gefahren, die sich bei Mißachtung der elektromagnetischen Gesetzmäßigkeiten ergeben können: So führen beispielsweise ungeschirmte Motorkabel und Signalleitungen an Industrierobotern und Werkzeugmaschinen zu gefährlichen Funktionsstörungen durch Störspannungen und bewegen die Systeme wie von Geisterhand, etwa wenn sich schlecht geschirmte Punktschweißanlagen in der Nähe befinden.
Grundsätzlich wird in leitungsgebundene und nicht leitungsgebundene Störungen unterschieden: Erstere entstehen, wenn hochfrequenzerzeugende Geräte Störspannungen rückwärts ins Netz einspeisen und hierdurch andere Geräte beeinflussen. Abhilfe schaffen entsprechende Schaltungen und das Verwenden von Netzfiltern sowie geschirmten Kabeln. Nicht leitungsgebundene Störungen entstehen, wenn hochfrequenzerzeugende Geräte zusätzliche elektromagnetische Felder erzeugen und auf die elektrischen oder elektronischen Bauteile von Geräten in der Umgebung einstrahlen. Um nicht leitungsgebundene Störungen zu vermeiden, werden mechanische Schirmungssysteme nach dem Prinzip des Farady’schen Käfigs eingesetzt. Je nach Aufgabe und Ausführung lassen sich die Systeme einsetzen zum Schirmen von elektronischen Bauteilen, von Leiterplatten oder als Schirmungsgehäuse für Komplettgeräte.
Hochfrequenzdichte Schirmungsgehäuse erfordern einen bestimmten Aufbau: Sie müssen unbedingt am gesamten Gehäuseumfang geschlossen leitfähig sein. Bereits Leitungsdurchführungen von der äußeren in die innere Gehäuseseite sind mit Durchführungsfiltern zu schützen. Selbst kleinste Öffnungen und insbesondere Schlitze im Gehäuse führen zu einer mangelhaften Abschirmwirkung. Besonders kritische Stellen sind Gehäusetüren und Türschlösser. Sämtliche Stoßkanten zwischen Gehäusewandungen, -deckeln und -türen müssen mit einer besonderen Dichtung versehen werden. Die Richtwerte betragen für kritische Schlitzlängen im industriellen Bereich l/20, also 1/20 der Wellenlänge des Senders, und bei starken Störsendern l/50.
Zum Abdichten von EMV-Gehäusen stehen verschiedene alternative Dichtungssysteme zur Verfügung. Die wichtigsten marktgängigen EMV-Dichtungen sind:
Dichtungsschnüre,
Kontaktfedern und -spiralen,
Dichtungen im Dispenserverfahren,
Flächendichtungen,
Abdeckhauben zur lokalen Leiterplattenschirmung,
beschichtete und metallisierte Kunststoffgehäuse sowie
kombinierte Dichtungen.
Dichtungsschnüre werden in verschiedenen Ausführungsformen angeboten, wahlweise mit rundem oder rechteckigem Querschnitt und in zahlreichen Abmessungen: beispielsweise Silikone mit eingebetteten Drähten, etwa aus Aluminium, VA oder Monel, Vollmetallgewebeschnüre, Elastomere, die umhüllt sind mit leitfähigen Textilgeweben oder leitenden Folien, sowie mit Draht umstrickte Elastomere.
Die Dichtschnüre werden entweder in eine Nut in den Gehäuseteilen eingelegt oder durch eine bereits an der Dichtschnur angebrachten Klebefolie auf der Dichtkante aufgeklebt. In der Regel werden die biegeschlaffen Schnüre manuell verlegt. In der Praxis kommen bereits vereinzelt automatisierte, robotergeführte Verlegewerkzeuge zum Einsatz. Erste Werkzeuge dieser Art wurden am Stuttgarter Fraunhofer-Institut IPA entwickelt und auch bei der Rohde & Schwarz Meßgerätebau GmbH im Werk Memmingen eingesetzt. Zugeführt wird die Dichtschnur über ein Schlauch-/Rohrsystem und mit Hilfe eines miniaturisierten Schlagwerkes in die Nut eingedrückt und abgeschnitten.
Kontaktfedern und -spiralen sind eine gute Lösung bei Schaltschranktüren und Gehäusedeckeln, wenn diese häufig geöffnet und geschlossen werden müssen. Sie führen zu einer hohen elektromagnetischen Dichtigkeit und ermöglichen einen guten Massekontakt.
Bei der Herstellung von Dichtungen im Dispenserverfahren wird eine leitfähige Masse mit Hilfe eines Dispensers direkt auf das Basismaterial aufgebracht. Hierfür können Metall- und Kunststoffgehäuse oder Leiterplatten verwendet werden. Die Dichtungsmasse besteht aus Silikon mit elektrisch leitfähigem Füller, beispielsweise Silberpartikeln. Formgebung und Größe der Dispenserdichtungen werden durch verfahrenstechnische Randbedingungen, etwa Düsengeometrie und Bahnbewegung der Düsenaustrittsöffnung, bestimmt. Dichtungen dieser Art können mit einem sehr kleinen Querschnitt aufgetragen werden.
Zum Schirmen von Gehäusen aus nicht leitfähigem Material und zum Abdichten von Schlitzen an Metallgehäusen eignen sich Flächendichtungen. Die Hersteller bieten zahlreiche Ausführungsformen an: etwa Dichtungen aus Monel mit Silikonfüllung oder als Plattenmaterial, das aus einem Basiswerkstoff (Silikon oder Kautschuk) und leitenden Partikeln (Kupfer, Aluminium, Silber oder Nickel) besteht. Leitfähigen Textildichtungen liegt ein Elastomer wie Neopren-, PU-Schaum oder Silikon zugrunde. Überdies sind sie umhüllt mit einem elektrisch leitfähigen Polyestergewebe. Weitere Ausführungen sind leitfähige Metallfolien oder aus Metallfäden gestrickte Gewebebänder. Zur Schirmung von Lüftungsöffnungen an Gehäusen werden statt Flächendichtungen meistens Metallwaben verwendet.
Für ein lokales Schirmen elektrischer oder elektronischer Bauelemente auf Leiterplatten kommen Abdeckhauben, sogenannte Screening Cans, zum Einsatz. Je nach Anwendungsfall und Stückzahl werden sie aus Metallplatinen gestanzt, lasergeschnitten, fotogeätzt und gefalzt oder tiefgezogen. Basismaterial sind beispielsweise Messing, VA-Stahl, Kupfer oder Neusilber. Falls erforderlich, ist eine zusätzliche Oberflächenbeschichtung möglich. Die Abdeckhauben lassen sich mit Hilfe unterschiedlicher Fügeverfahren auf den Leiterplatten montieren. Alternative Befestigungstechniken sind: Durchstecken und anschließendes Löten, Befestigen über Klemmelemente, Vernieten, Kleben oder Schrauben.
Bei Produkten, die ein möglichst geringes Gewicht erfordern und bei Großserienfertigung bieten oberflächenbeschichtete Kunststoffgehäuse eine günstige Alternative zu Metallgehäusen. Typische Beispiele sind Mobiltelefone, Computer und Produkte der Unterhaltungselektronik. Angeboten werden verschiedene Beschichtungsmöglichkeiten wie etwa Leitlacke, Flammsprühen, Vakuumbeschichten und die chemische Metallisierung.
Die Beschichtungsverfahren unterscheiden sich im wesentlichen hinsichtlich der Leitfähigkeit der Oberfläche und damit der Dämpfungseigenschaft bei bestimmten Frequenzbereichen und in der teilweise aufwendigen Beschichtungstechnik. Beim Flammsprühen wie auch beim chemischen Metallisieren läßt sich eine sehr gute Leitfähigkeit erreichen. Allerdings ist eine Vorbehandlung der Oberfläche erforderlich, und beim Flammsprühen kann es infolge der hohen Temperaturen zu einer Verformung der Gehäuseteile kommen. Die Beschichtung mit Leitlacken läßt sich einfach mit Hilfe von Sprühpistolen durchführen; ein selektives Beschichten mit lokal unterschiedlicher Leitfähigkeit und günstigen mechanischen Eigenschaften ist möglich. Als leitfähige Pigmente werden zum Beispiel Silber, Kupfer, versilbertes Kupfer oder Nickel eingesetzt.
Wer eine EMV-Schirmung und gleichzeitig eine Abdichtung gegen Spritzwasser (IP-Dichtungen) und Staubpartikel benötigt, kann kombinierte Dichtungssysteme einsetzen. Zur EMV-Schirmung wird etwa ein preiswertes Metallgewebe verwendet. Kombiniert mit einer Dichtkante aus einem Elastomer ergibt sich ein zusätzlicher Spritzwasserschutz.
Bei der Auswahl der optimalen Schirmungstechnik für eine bestimmte Aufgabe sind folgende Kriterien besonders zu beachten:
Die Güte der EMV-Dichtigkeit ist abhängig von den Dämpfungseigenschaften der verwendeten Materialien und vom Frequenzbereich der Geräteelektronik oder des Störsenders.
Korrosion an der Kontaktfläche zwischen Dichtungsmaterialien und Gehäuseteilen ist zu beachten. Unterschiedliche Materialien ergeben je nach Stellung in der elektrochemischen Spannungsreihe Kontaktkorrosion.
Langzeitstabilität hinsichtlich EMV-Dämpfung und Spritzwassereinwirkung.
Schirmungs- und Materialeigenschaften müssen nach mehrmaligem Öffnen und Schließen der Gehäuse garantiert sein.
Materialkosten, Montagekosten und Automatisierbarkeit.
Umweltverträglichkeit, Ausgasung und Entflammbarkeit.
Insbesondere die Korrosionsgefahr in Folge der chemischen Spannungsdifferenzen an der Kontaktfläche zwischen Schirmungsmaterial und Gehäuseteilen muß bei der Auswahl der Materialien beachtet werden. Wird zum Beispiel auf ein Aluminiumgehäuseteil eine Silikonmasse mit Silberpartikeln aufgetragen, kommt es wegen der Unterschiede in der chemischen Spannungsreihe bei salzhaltigem Spritzwasser zur Oxidation des Aluminiums. Bei Anwendungen in geschlossenen Räumen sollte eine Spannungsdifferenz 0,5 V, außerhalb geschlossener Räume 0,25 V eingehalten werden.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
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