Startseite » Allgemein »

Servo öffnet neue Horizonte

Pressenantriebe: Hydraulik erhält Konkurrenz durch Servomotoren
Servo öffnet neue Horizonte

Servoantriebe rauben der Hydraulik das Plus der Flexibilität. Welcher Antrieb der bessere ist, hängt jedoch vom konkreten Einsatz ab. Langfristig sind allerdings per Servo völlig neue Konzepte umsetzbar, die der Umformtechnik neue Impulse geben können.

Zwei Servomotoren mit je 500 kW Leistung beschleunigen demnächst eine Presse bei der Umformcenter Erfurt GmbH in Erfurt auf 25 Hübe/min und liefern dabei eine Presskraft von 11 000 kN – dann die bislang höchste, in Europa per Servoantrieb realisierte Presskraft. Das Tochterunternehmen der Müller Weingarten Werkzeuge GmbH, Weingarten, will im Kundenauftrag Werkzeuge einfahren und spezielle Kleinstserien fertigen. Die von der Müller Weingarten AG, Weingarten, entwickelte Anlage soll dank der Servotechnik, die ohne den Umweg über eine Schwungscheibe direkt den Umformvorgang beeinflusst und variable Umformkurven erlaubt, eine höhere Ausbringung und Vielfalt ermöglichen. Die Schwaben wollen so den nach eigenen Angaben vergleichsweise geringen Energieverbrauch einer mechanischen Presse mit der hohen Flexibilität hydraulischer Pressen über den gesamten Hubzahlbereich verbinden.

Dies wirft natürlich die Frage auf, welche Gründe künftig noch – bei vergleichbaren Presskräften – für den hydraulischen Antrieb sprechen. „Ein beträchtlicher Anteil aller in Japan verkauften Pressen sind heute schon mechanische Servopressen“, berichtet Prof. Peter Groche, Leiter des Instituts für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PTU) der TU Darmstadt. Für ihn ist das Plus dieser Maschinen, auch verglichen mit den standardmäßig per Asynchronmotoren angetriebenen mechanischen Pressen, die mögliche Anpassung der Stößelbewegung an den Umformvorgang (siehe Nachgefragt, S. 27).
Hinsichtlich der möglichen Presskräfte sieht der Wissenschaftler ebenfalls weitere Potenziale: „Theoretisch sind auch Maschinen mit weitaus höheren Presskräften als 11 000 Kilo-Newton denkbar.“ Dies hänge sowohl vom Drehmoment der zur Zeit angebotenen Servomotoren als auch von der angestrebten maximalen Hubzahl der Presse ab. „Über eine Mehrfachanordnung der Antriebe lässt sich die Presskraft weiter steigern“, erklärt Groche. „Sollte darüber hinaus die Marktdurchdringung im Bereich der mechanischen Servopressen weiterhin in gleicher Art voranschreiten, ist davon auszugehen, dass die Motorenhersteller ihre Entwicklungen in Richtung stärkerer Motoren fortsetzen.“ Gebaut seien bereits Maschinen mit Presskräften von 2500, 4000 sowie 6300 kN, ergänzt Heinrich Peper, Leiter Business Unit Profiline und Massivumformung bei der Schuler Pressen GmbH & Co. KG, Göppingen. Auch die 11 000 kN bei Müller Weingarten – das Unternehmen gehört seit April zum Schuler-Konzern – zählen demnächst dazu. „Darüber hinaus haben wir Pressen bis 25 000 Kilo-Newton technisch ausgelegt.“
Interessant ist beim Vergleich der beiden Antriebskonzepte – mechanische Presse mit Servoantrieb kontra hydraulische Presse – natürlich der Energieverbrauch. Für Heinrich Peper ist der direkte Antrieb einer Presse per Servomotor immer günstiger als ein hydraulischer Antrieb – und damit einer der entscheidenden Vorteile dieser Antriebsart. Sein Kollege Martin Lepper, Leiter der Business Unit Blech bei der Schuler SMG GmbH & Co. KG, Waghäusel, ist da skeptischer. „Sowohl hydraulischer Antrieb als auch Servomotor arbeiten zunächst ohne Energiespeicher, so dass im Vergleich zu konventionellen mechanischen Pressen mit Schwungrad erheblich höhere Motorleistungen zu installieren sind.“ Da die maximale Motorleistung jedoch nur über einen sehr kurzen Zeitraum benötigt werde, liege die tatsächlich benötigte Energie deutlich darunter. „Der rein elektrische Antrieb hat dann gegenüber dem hydraulischen einen energetischen Vorteil, der sich jedoch verringert, sobald die Pressen mit hydraulischen Tischkissen ausgestattet werden“, erläutert Lepper. Diese ließen sich in eine hydraulische Presse wirtschaftlich sehr viel günstiger integrieren.
„Durch die Vielschichtigkeit der umformtechnischen Anwendungen ist eine pauschale Aussage nicht möglich“, sagt auch Prof. Groche. „Selbst wenn einzelne Pressenhersteller angeben, für einen vergleichbaren Umformvorgang mit einer mechanischen Servopresse nur den halben Energieeinsatz im Vergleich zu einer hydraulischen Presse zu benötigen.“ Generell gelte, dass der Einsatz einer Flüssigkeit als Übertragungsmedium mit zusätzlichen Energieverlusten erkauft werden muss, die bei mechanischen Übertragungsgliedern nicht auftreten. „Dies liegt an den Spaltverlusten innerhalb von Pumpen und Ventilen sowie der Kompressibilität des Öls“, merkt der PTU-Chef an. „Demgegenüber werden jedoch bei vielen Umformprozessen nur Zuhalte-Kräfte benötigt, so dass nach Schließen des Werkzeugs der Druck mit klein-dimensionierten Druckhaltepumpen aufrechterhalten werden kann.“ Der Einsatz mechanischer Servopressen würde hier zusätzliche Bremsen mit Haltekräften entsprechend der maximalen Presskraft erfordern. „Eine Aussage bezüglich der Effizienz der beiden Konzepte ist damit immer abhängig vom Einzelfall der Anwendung und damit dem Zusammenhang zwischen Kraft- und Bewegung.“ Bei beiden Konzepten lässt sich zudem die Energiebilanz mit Hilfe von Energiespeichern verbessern.
Die Frage der Energieeffizienz reicht demnach in vielen Fällen nicht aus, sich für oder gegen eine Antriebsart zu entscheiden. Leider liefern auch andere Gesichtspunkte keine eindeutigen Hilfen. „Undichtigkeiten gehören bei modernen hydraulischen Anlagen der Vergangenheit an“, erläutert Martin Lepper von Schuler. „Das haben wir einer Vielzahl cleverer konstruktiver Lösungen zu verdanken. So setzen wir heute bei unseren Hochdruckrohren innovative Verbindungstechniken ein, die das sonst übliche Schweißen an dieser Stelle ersetzen und somit eine potenzielle Schwachstelle im System eliminieren.“ Kompensatoren im Rohrsystem würden helfen, Rohrbrüche zu verhindern, und auch durchdachte komplette Dichtungspakete für die Hydraulikzylinder würden sich positiv auswirken. „Die Öltemperatur wird heute thermostatisch geregelt und dadurch auf optimaler Betriebstemperatur gehalten“, ergänzt Lepper. Hierfür sind hydraulische Pressen von Schuler mit einer Ölkühlung (Öl-Wasser- oder Öl-Luft-Wärmetauscher) und gegebenenfalls einer Ölheizung ausgestattet.
„Ein rein elektrischer Pressenantrieb benötigt dagegen immer noch eine mechanische Kraftübersetzung, etwa in Form eines Exzenters oder eines Kniehebels“, benennt Heinrich Peper von Schuler einen Nachteil dieser Antriebsvariante. „Dadurch ergibt sich ein Nennkraftweg, das heißt, die volle Nennpresskraft steht nur über einen relativ kurzen Weg zur Verfügung.“ Beide Antriebskonzepte seien aber in ihren Anwendungen entsprechend regelbar. Weggeregelte Anwendungen seien mit elektrischen, kraftgeregelte oft mit hydraulischen Systemen besser abzubilden.
„Nachteilig für die Hydraulik ist der Verbrauch des Übertragungsmediums“, weiß Umform-Experte Groche. Dieser ergebe sich durch Wasseraufnahme aus der Luft und chemische Alterungsprozesse. „Tatsächlich erreicht man in der Diskussion über Vor- und Nachteile der beiden Antriebskonzepte schnell Bereiche, in denen die Argumente nur durch persönliche Vorlieben geprägt sind.“ Hydraulikpressen bräuchten Kühler, um die Erwärmung des Öls zu minimieren. Mechanische Servopressen, vor allem solche mit Torquemotoren (sinngemäß: gebogene Linearantriebe), müssten dagegen die Motortemperatur mittels Wasserkühlung kontrollieren. „Dieses Pro und Kontra lässt sich am besten durch folgende in letzter Zeit zu hörenden Aussagen beschreiben, die oft nur schlagwortartig einzelne Aspekte beleuchten: Da werden riesige Kabel benötigt, um die Ströme zu übertragen! Oder: Da sind Rohre mit riesigen Querschnitten erforderlich!“
Im Einzelfall muss der Anwender also sehr genau untersuchen, welche Antriebsart für seinen speziellen Fall günstiger ist. Doch wichtiger als die Frage nach der Energieeffizienz könnten neue Anwendungsmöglichkeiten sein, die sich aus dem Einsatz der Servoantriebe ergeben. „Hier kann auch die Hydraulik noch punkten“, betont Martin Lepper. Wichtig sei die Betrachtung des Arbeitsvermögens sowie des Nennkraftweges. „Bei Servopressen gibt es hier im Vergleich zu konventionellen mechanischen und erst recht zu hydraulischen Pressen deutliche Einschränkungen.“
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen
Energieeffizienz variiert mit Einsatzfall
Persönliche Vorlieben spielen noch eine Rolle
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de