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So messen auch kleine Unternehmen hochgenau

Überholte Anlagen machen High-End-Qualitätssicherung bezahlbar
So messen auch kleine Unternehmen hochgenau

Carl Zeiss bringt gebrauchte Koordinatenmessgeräte in Oberkochen auf den neuesten Stand in Sachen Hard- und Software sowie Sensorik. Die Veteranen verlassen das Werk mit denselben Qualitätsprüfungen wie Neumaschinen und einem Jahr Garantie.

Sven Hardt ist freier Journalist in Berlin

Messtechnik von Carl Zeiss Oberkochen gleich hochpräzise Koordinatenmessgeräte, aber nur für den dicken Geldbeutel. Dieses Klischee haftet dem Traditionsunternehmen aus dem schwäbischen Oberkochen an. Es hat sich noch nicht herumgesprochen, dass die High-Tech-Schmiede preiswert modernisierte Gebrauchtgeräte anbietet, die sich in puncto Qualität nicht hinter neuen Maschinen verstecken müssen.
Da dürften mittelständische Zulieferer hellhörig werden. Sie müssen in aller Regel den Nachweis der Genauigkeit gegenüber ihren Kunden erbringen. Die steigende Zahl der Zulieferer für komplexe Produkte und die gleichzeitig immer kleineren Toleranzen machen ein strenges Qualitätsmanagement zur elementaren Voraussetzung des Überlebens. Wenn die Kolben des Zulieferers A nicht mit den Zylindern des Lieferanten B zusammenpassen, haben beide ein Problem.
Das Engagement für die Gebrauchten begann bei Zeiss bereits in den siebziger Jahren mit Software-Updates. Wer im Zeiss-Museum in Oberkochen die erste CNC-gesteuerte Portalmessmaschine von 1973 bestaunt, der kann erahnen, welch zentrale Rolle Computertechnologie für die Messtechnik seit rund 30 Jahren spielt. Nun hatten Rechner auch damals schon kurze Innovationszyklen. Die Messsoftware wurde immer leistungsstärker, und das machten die urzeitlichen Steuerungen und Computer nicht mehr mit. Im Gegensatz zur Elektronik haben Korpus und Mechanik eines Koordinatenmessgeräts (KMG) eine lange Lebensdauer. Die luftgelagerten Tische und Portale wurden aus massivem Granit gefräst, um Verwindungen auszuschließen. Viele Kunden wollten die Vorteile der neuen Steuerungen und Programme nutzen, ohne gleich eine neue Maschine kaufen zu müssen. Die Zeiss-Techniker begannen, Steuerungen und Rechner auszutauschen – der Einstieg ins Modernisierungsgeschäft.
Mit zunehmender Konkurrenz musste Zeiss Anfang der neunziger Jahre auch Maschinen in Zahlung nehmen, um neue zu verkaufen. Die Zeiten der Wartelisten, in denen Vertriebszentren die Geräte den Kunden zuteilten, waren endgültig vorbei. Für Günter Keck, Produktbereichsleiter Modernisierungen/Gebrauchtgeräte bei Zeiss, war das ein Glücksfall. Vor fünf Jahren hob sein Arbeitgeber das Projekt „Modernisierungen von Gebrauchtgeräten“ aus der Taufe. Keck bekam die Projektleitung. „Heute unterstützt das Gebrauchtgerätegeschäft den Absatz der neuen Maschinen in jeder Hinsicht“, berichtet der Informationselektroniker, der sein Handwerk bei den Schwaben als Servicetechniker gelernt hat. Von der Pieke auf, wie es so schön heißt. Das Unternehmen investiert 75 000 bis 100 000 Euro, um einen Techniker auszubilden. Diese Spezialisten überarbeiten auch die Gebrauchtgeräte, bevor sie wieder vermarktet werden. Die Maschinen durchlaufen dieselben Qualitätskontrollen wie ihre neu gefertigten Pendants. Der Kunde erhält ein Jahr Garantie.
„Wir haben für fast jede Maschine einen Umrüstkit“, sagt Keck. „Neue Steuerung. Neuer Rechner. Neue Verkabelung. Wenn nötig, neue Sensorik.“ Der Kunde beschreibt seine Anwendung und Zeiss empfiehlt das optimale Messgerät für die Aufgabe. Verschleißteile werden nach Bedarf ausgetauscht. Fahrgeschwindigkeit und Genauigkeit entsprechen dem Originalzustand.
Preisvergleiche zwischen Neu und Gebraucht sind schwierig, weil die Technik nicht identisch ist. Auch nach der Modernisierung nicht. Die genauesten Messmaschinen aus dem Hause Zeiss mit einer Fehlertoleranz von 0,4 µm kosten zwischen 400 000 und 500 000 Euro. Einstiegsmodelle mit Toleranzen um die 2 µm beginnen bei knapp 50 000 Euro. Eine beliebte Portalmessmaschine ist die Prismo, die in Standardausführung mit messendem Tastkopf 200 000 Euro kostet. Eine generalüberholte Maschine, die dieser neuen Prismo entspricht, kostet etwa 120 000 bis 130 000 Euro. Eine preiswerte Alternative für Besitzer einer alten Maschine ist die Modernisierung im eigenen Haus: Kecks Techniker rücken an und montieren den Umrüstkit, ohne jedoch die Mechanik zu erneuern. Gesamtkosten: 75 000 bis 80 000 Euro.
Die Oberkochener verstehen sich auch als betriebswirtschaftliche Berater. „Manchmal raten wir vom Kauf – ob neu oder gebraucht – komplett ab, weil der Bedarf zeitlich zu begrenzt ist“, erläutert der Manager. „Neben dem Lohnmessen bieten wir dann auch Mietmaschinen oder Leasing mit Rückgabeoption.“ Die Finanzierungsmöglichkeiten sind ausgezeichnet, weil die Schwaben auch bei Gebrauchten Rücknahmegarantien zu festgelegten Zeitwerten gegenüber Banken und Leasinggesellschaften abgeben. Wenn der Kunde an eine Kapazitätsgrenze kommt, kann Zeiss auch mit eigenen Messlabors unterstützen.
Gleiche Abnahme wie bei Neumaschinen
Keck gesteht zu, dass eine Gebrauchte nicht immer geeignet ist: „Bei engen Taktzeiten in Produktionsumgebung kann man nur mit neuester Technologie arbeiten.“ Der Bereichsleiter spielt auf die neue Messmaschine Centermax an, die erstmals direkt in eine Produktionskette eingebunden ist und sogar Steuerimpulse an Fertigungsmaschinen gibt, wenn die Fehlertoleranz überschritten wird. Diese Maschine gibt es einfach noch nicht gebraucht.
Käufer gebrauchter Maschinen erhalten den gleichen Service wie Abnehmer neuer Anlagen. Das gilt nicht nur für Reparaturen, sondern auch für einen Strauß von Dienstleistungen wie Teileprogrammierung oder Kalibrieren. Auch das gesamte Systemengineering steht dem Gebrauchtmaschinenkunden offen: Zuführ- und Automationslösungen oder der wichtige IT- Support. Typisch sind Probleme bei der Einbindung ins Netzwerk. Der Kunde erhält außerdem Prüfkörper, mit deren Hilfe er die Genauigkeit seiner Maschine zweifelsfrei selbst überwachen kann. Ein weiteres Highlight ist die Software U-Gauge, die das eigene KMG zur Kallibriereinrichtung für Prüfteile wie Rachenlehren oder Dornen macht. Durch die eingesparten Kalibrierkosten hat sich das Programm bei einigen Kunden schon nach sechs Monaten amortisiert. Neulinge können bei der Zeiss-Tochter 3D Metrology Services GmbH, Aalen, und in anderen Weiterbildungszentren umfangreiche Schulungen absolvieren und „alte Hasen“ können ihr Wissen vertiefen.
Zu den Käufern gebrauchter KMG von Zeiss gehört die ZF Lenksysteme GmbH, Schwäbisch Gmünd. Reinhold Schuster, Abteilungsleiter Qualitätssicherung/Lieferanten, hat seit Beginn der siebziger Jahren Erfahrung mit Zeiss-Geräten. „Wir ermitteln regelmäßig bessere Werte bei der Messgenauigkeit als die Angaben des Herstellers“, begründet Schuster seine Verbundenheit. „Wichtig ist auch der weltweite Service. Wir betreiben zum Beispiel eine Zeiss-Koordinaten-Messanlage in Shanghai, die früher bei Bosch in Stuttgart im Einsatz war und von Zeiss modernisiert wurde.“ Im klimatisierten Messraum der Zahnstangenfertigung bei ZF steht eine komplett modernisierte UMC 550, Baujahr 1984, mit einem High-Speed-Scanning-Tastkopf der neuesten Generation. Die Fehlertoleranz beträgt in der Achse 1,2 µm, im Raum 1,8 µm. Zu den Kunden von ZF zählen Automobilhersteller wie VW oder BMW. Unternehmen, die von ihren Zulieferern maximale Qualität fordern, besonders bei sicherheitsrelevanten Komponenten wie Lenkungen. „Wir geben vor jedem Schichtbeginn Freigaben. Dazwischen machen wir regelmäßig Stichproben“, erklärt der Qualitätsmanager. „Das hat sich statistisch bewährt.“ Bei dieser Methode sind die Taktzeiten der Maschine gering. Geschwindigkeit ist nicht wichtig. „Wir haben 180 000 DM für diese gebrauchte Maschine bezahlt. Ein vergleichbar genaues Neugerät hätte uns 400 000 DM gekostet“, freut sich Schuster. Die neue Anlage wäre lediglich etwas schneller gewesen.
Zeiss modernisiert auch Fremdgeräte mit eigener Technik. Weil die Oberkochener für Fremdfabrikate nicht mit dem eigenen Namen einstehen wollen, haben sie hierfür in Köln eine neue Firma namens RAM (Retrofit and More) gegründet. „Einige Konkurrenzprodukte haben eine nicht ganz so solide Mechanik wie Zeiss-Maschinen“, erklärt Günter Keck. RAM entwickelt auch Umrüstkits für gängige Messmaschinen anderer Hersteller und arbeitet dabei eng mit dem Mutterhaus zusammen. Die Techniker adaptieren ein neues Wegmesssystem und eine neue Steuerung, die mit 16 oder 32 bit arbeitet, manchmal auch neue Zeiss-Tastköpfe.
„Der Trend geht eindeutig dahin, dass der Kunde nur einen Ansprechpartner haben will“, sagt Günter Keck. „Deshalb übernehmen wir auch den Service für Maschinen, die wir nicht gebaut haben.“
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